| # taz.de -- Die Wahrheit: Jemand meckern? | |
| > Sprachkritik: Stummelsätze sind derzeit schwer modern und bieten die | |
| > Möglichkeit, in kindliches Lallen zurückzuverfallen. | |
| Bild: Je länger die Zunge brennt, desto kürzer werden die Sätze. Bis nur noc… | |
| Kinder lernen erst einzelne Wörter zu sprechen, dann kurze Sätze zu bilden | |
| und schließlich Ungetüme zu bauen, wie sie nicht erst Mark Twain | |
| zusammengefummelt hat. Schon 1824 wurde in einem Buch mit dem Titel „Neues | |
| Museum des Witzes“ dieses Zitat „aus einem Bericht“ verewigt: „Dem P…… | |
| eine weitläufige Instruction, von welcher das Vergleichs-Instrument, | |
| welches der Commissarius, der überhaupt die Verhandlung, die sich in die | |
| Länge zog, leitete, verfaßt hatte, abcopiert war, mitgetheilt.“ | |
| Der Satz ist, des Zweifels, ob der Herausgeber, wie zu vermuten ist, | |
| nachgeholfen hat, ungeachtet, correct. Alle Relativsätze werden korrekt mit | |
| Pronomen eingeleitet – die taz aber schreibt über Flüchtlinge, „bei denen | |
| man von einer Ausweisung Abstand nehmen wollte und ihnen eine | |
| Aufenthaltserlaubnis erteilte“. Abstand genommen wurde auch vom zweiten | |
| Relativpronomen: „und denen man eine Aufenthaltserlaubnis erteilte“, sollte | |
| es heißen. | |
| Oder? Richtig und falsch sind nämlich nicht jedes Mal auseinanderzuhalten. | |
| Formt man den Relativ- zum Hauptsatz um, stimmt es plötzlich: „Man wollte … | |
| Abstand nehmen und erteilte ihnen eine Aufenthaltserlaubnis.“ | |
| ## Verhuschte Schulgrammatik | |
| Oder ein anderes Beispiel: „In diesem Kasten standen mehrere Geranium- und | |
| Goldlacktöpfe, zwischen denen hindurch die Sperlinge huschten und sich in | |
| großstädtischer Dreistigkeit auf den am Fenster stehenden Küchentisch | |
| setzten.“ Erheischt die Schulgrammatik nicht „huschten, die sich“? Die | |
| Probe aufs Hauptsatzexempel zeigt, dass dem Erheischen nicht stattgegeben | |
| werden muss: „Die Sperlinge huschten zwischen ihnen hindurch und setzten | |
| sich.“ Ist ja auch ein Satz von Theodor Fontane! Aus seinem Roman „Frau | |
| Jenny Treibel“. | |
| Aber heute geht es sowieso einfacher, etwa in der taz: „All die | |
| Befürchtungen, heute noch riesig, könnten bis dahin schrumpfen“ – was imm… | |
| das Thema des Satzes, eben zu lesen, war: Die traditionelle Grammatik, | |
| gestern noch verbindlich, spielt keine Rolle bei diesem Relativsatz, heute | |
| ohne Relativpronomen und sogar ohne finites Verb. | |
| Überhaupt sind unvollständige Sätze populär, zum Beispiel Fragesätze ohne | |
| Fragepronomen und ebenfalls ohne Verb: „Donna Langley ist eine der | |
| mächtigsten Figuren im immer noch von Männern beherrschten Hollywood. Das | |
| Geheimnis ihres Erfolgs?“ Was hier dem Spiegel recht, ist der taz billig: | |
| „Am Freitag wurde ein russisches Marinegeschwader um den U-Bootjäger | |
| ,Nordmeer’ gesichtet. Irgendjemand Angst?“ | |
| Sogar das Subjekt, sonst notwendig, ist verzichtbar. „So stolz, Teil dieses | |
| Teams zu sein“, twittert ein Sportler laut Göttinger Tageblatt. Oder: | |
| „Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden erwarten von den Bürgern | |
| Zustimmung und Verständnis, zum Beispiel beim Ankauf sogenannter | |
| Steuer-CDs. Nachvollziehbar“ (taz). Nachvollziehbar: Im ersten Fall wegen | |
| der Kürze eines Tweets. Im zweiten Fall wurde das Adverb aus dem ganzen | |
| Satz herausgelöst, damit es wie eine Signalkerze seine riesengroße | |
| Bedeutung erstrahlen lässt und alle Leser die wichtige Meinung des Autors | |
| mitkriegen. Nachvollziehbar?! Ärgerlich! | |
| Aber die eigene Meinung, so stolz auf sie, müssen alle wissen und teilen! | |
| „Dmitri Rogosin kann nichts für sich behalten. Bissig, militant und | |
| rücksichtslos, eine Armada von 90.000 Anhängern schätzt die Tweets, die der | |
| Supervisor der russischen Rüstungsindustrie versendet“ (taz). Sanft, | |
| freundlich und rücksichtsvoll nachgefragt: Beziehen sich die Adjektive auf | |
| die Person oder die Tweets? Oder sogar auf seine 90.000 Anhänger? | |
| ## Kurzatmige Kurzsätze | |
| Wenigstens schreibt die taz nicht: „Bissig. Militant. Rücksichtslos. Eine | |
| Armada von 90.000 Anhängern. Schätzt die Tweets.“ Solche Kurzsätze sind | |
| besonders modern. Statt „Er ist schnell, unbürokratisch und jederzeit | |
| verfügbar“ heißt es in der TK aktuell über einen neuen Webdienst: „Er ist | |
| schnell. Unbürokratisch. Und jederzeit verfügbar.“ Ob vielleicht ein | |
| Kassenarzt diese redaktionelle Kurzatmigkeit behandeln kann? | |
| Früher bildeten Sätze eine Art Sinneinheit. Aber. Es geht auch anders. Das | |
| merkt man, wenn man die Stummelsätze zitiert, wie sie geschrieben werden, | |
| nämlich – weil nicht mit Komma, Gedankenstrich, Doppelpunkt angeschlossen – | |
| ohne Kontext: „Wenn in Leuna wieder an der Geheimformel gebastelt wurde und | |
| seltsame Gase die Luft schwängerten.“ „Auch die aus schwierigen deutschen | |
| Familien.“ „Und Liz Mohn, die Witwe des Bertelsmann-Patriarchen Reinhard | |
| Mohn.“ „Mit viel Verbiegen.“ „Obwohl.“ „Nun.“ „Aber.“ „Und.… | |
| Am Ende wird man wieder zum Baby, das nur einzelne Wörter spricht. | |
| Irgendjemand nein? | |
| 29 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Köhler | |
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