# taz.de -- Bundestagsdebatte zum Armutsbericht: Armes Deutschland | |
> Jeder Sechste in Deutschland ist armutsgefährdet. Bei der Debatte um den | |
> Armutsbericht versucht die Koalition gar nicht mehr, Einigkeit | |
> vorzutäuschen. | |
Bild: Für die Union kein weitverbreitetes Problem: Armut in Deutschland | |
BERLIN taz | Nun also doch: Der Armuts- und Reichtumsbericht der | |
Bundesregierung ist am Mittwoch im Bundestag zu bester | |
Parlamentsfernsehenssendezeit diskutiert worden. Ursprünglich wollte die | |
Unionsfraktion den immerhin 650-Seiten-starken Wälzer im Regierungsauftrag | |
nämlich nicht zur Debatte stellen. Erst durch hartnäckige Nachfragen, | |
insbesondere aus der Linksfraktion wurde das Thema auf die Tagesordnung | |
gesetzt, wie Linken-Abgeordnete Katja Kipping süffisant erinnerte. | |
Und tatsächlich steckt politischer Sprengstoff in dem Bericht: Obwohl die | |
Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, ist der Anteil der | |
Menschen gewachsen, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens von | |
gegenwärtig 20.342 Euro pro Jahr zur Verfügung haben. Das Medianeinkommen | |
ist der Wert, welcher in der Mitte steht, wenn man alle Jahreseinkommen der | |
Größe nach ordnet. 13 Millionen Menschen, also jeder Sechste, haben demnach | |
nur 12.205 Euro im Jahr zur Verfügung und gelten als armutsgefährdet. 2,5 | |
Millionen Kinder wachsen laut Bericht in armen Familien auf. | |
Die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung verfügen laut Bericht | |
nur über rund 1 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die | |
vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des | |
gesamten Nettovermögens besitzen | |
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles SPD bekannte sich in ihrer letzten | |
Rede in dieser Legislatur zu dem Bericht, der in fünfter Folge von einer | |
Bundesregierung in Auftrag gegeben und vorgestellt wurde. „Der Armut- und | |
Reichtumsbericht bleibt richtig und wichtig“, so Nahles. Und natürlich gebe | |
es noch viel zu tun. Aber da gibt es ja schon Ideen – das | |
sozialdemokratische Wahlprogramm sei voll davon. | |
Überhaupt ließ kein Redner, ob von SPD, Linkspartei oder Grünen, am Ende | |
seiner Redezeit die Gelegenheit für einen kleinen Werbeblock aus, sprich | |
den Verweis auf das eigene Wahlprogramm. Die SPD will in Bildung | |
investieren und die sachgrundlose Befristung – nun also doch – abbauen, die | |
Linke will eine Kindergrundsicherung einführen und eine Mindestrente, | |
ähnlich wie die Grünen. | |
## Union von „SPD-Gejammer“ genervt | |
Nur die Union sah da etwas alt aus. Das Wahlprogramm der CDU wird erst am | |
Montag vorgestellt. Ob Begriffe wie Alters- oder Kinderarmut darin | |
auftauchen, ist allerdings fraglich. In der Debatte warf etwa der | |
CDU-Abgeordnete Kai Whittaker, ein alerter Absolvent der London School of | |
Economics, seiner Vorrednerin Katja Kipping von der Linksfraktion vor, eine | |
billige Dreigroschenoper aufzuführen. „Aber ich verstehe sie ja“, sagt er | |
mitfühlend. „Armut ist Ihr Geschäftsmodell.“ | |
Whittaker sagte, dass Armut in Deutschland eigentlich ein Randphänomen sei. | |
Die Löhne seien in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Gewinne, | |
die Zahl der „Working Poor“ sei niedrig und der Gini-Koeffizient, der die | |
Ungleichheit misst, sei einer der niedrigsten im OECD-Vergleich. Der SPD | |
warf er innere Zerrissenheit vor – wolle sie sich über das Erreichte freuen | |
oder nur Jammern. | |
Das parierte der Abgeordnete Martin Rosemann vom Noch-Koalitionspartner SPD | |
per Nachfrage: ob es genüge sich nur auf den Lorbeeren auszuruhen. Über | |
Whittakers „krude Vorstellungen“ empörte sich auch die SPD-Abgeordnete | |
Daniela Kolbe. | |
Als Ex-Familienministerin Kristina Schröder dann in ihrer allerletzten Rede | |
als Bundestagsabgeordnete über die Berechtigung des Titels „Armuts- und | |
Reichtumsbericht“ philosophierte und zum Schluss kam, das seien doch zwei | |
Phänomene, die nichts miteinander zu tun hätten – „Die Armen haben nichts | |
davon, wenn man den Wohlhabenden etwas wegnimmt, um mehr Gerechtigkeit | |
herzustellen“, hielt es Rosemann und einen weiteren SPD-Abgeordneten nicht | |
mehr auf den Sitzen. Demonstrativ verließen sie den Saal, während die Union | |
Schröder ebenso demonstrativ zum Abschied beklatschte. | |
Grüne und Linkspartei konnten sich zurücklehnen und genießen. Der Armuts- | |
und Reichtumsbericht hatte für sie an diesem Tag seinen Zweck erfüllt. | |
28 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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