# taz.de -- Wohlfühlmagazin „hygge“: Ganz einfach glücklich sein | |
> Slow living, Achtsamkeit, im Hier und Jetzt sein. Um 16 Uhr Feierabend | |
> machen. „hygge“ ist Papier gewordener Eskapismus – und das ganz bewusst. | |
Bild: Sonnenuntergang, Müßiggang, Strandkörbe: Das ist das „hygge“-Leben… | |
Der Bahnhofskiosk – unendliche Weiten: Knapp 1.600 Publikumszeitschriften | |
schwappen regelmäßig in die Regale. In loser Folge und streng nach dem | |
Zufallsprinzip stößt das taz-Medienressort in Parallelwelten vor, die | |
manche menschliche Wesen regelmäßig aufsuchen, auf der Suche nach genau der | |
Zeitschrift, die ihrem Leben den ganz speziellen Sinn gibt. Heute: „hygge“, | |
ein Magazin für „einfach glücklich sein“. | |
Wie schaut’ s aus? | |
Sanft. Einfach sanft. Das Titelbild zeigt spielende Kinder an einem See, | |
das Licht der untergehenden Abendsonne glitzert auf der leicht gekräuselten | |
Wasseroberfläche, fast hört man Wasser und Kinder glucksen. So halt. Dazu | |
ein gelber Buchrücken, ein rosa Zeile mit den Themen, auf weißem Grund der | |
Titel „hygge“. Kleingeschrieben – vielleicht, weil man das im Dänischen … | |
macht. Und von dort stammt das Wort. Oder, weil es gerade wieder schick | |
ist, ganz im Sinne des Bauhauses. | |
Das Einzige, was diesen glatten Eindruck bricht, sind die beiden gs in | |
„hygge“, die von unterschiedlicher Schriftart sind. Warum auch immer. Innen | |
sieht es aus, wie ein gut gelayoutetes Instagram-Profil, viele | |
atmosphärische Bilder und klare Linien. | |
Was steht drin? | |
Das Magazin verspricht das einfache Glück. In vier Kapiteln | |
(„Zusammensein“, „Verwöhnt werden“, „Zu Hause sein“, „Draußen s… | |
man, wie man jenes erreicht. Nämlich dadurch, dass man es macht wie die | |
Dän:innen – bekanntlich ein sehr glückliches Volk – und sich an ihrem | |
„Lebenskonzept Hygge“ orientiert: viel mit Freund:innen abhängen, viel | |
kochen, viel Kaffee trinken, viele Kerzen anzünden. Slow living, | |
Achtsamkeit, im Hier und Jetzt sein. | |
Und: Sich nicht für Statussymbole zu interessieren, um 16 Uhr Feierabend zu | |
machen. An sich ganz gut. Doch die Texte triefen vor Glückseligkeit. | |
Gefühlige Berichte, meist aus der Ich-Perspektive, die getreu dem Prinzip | |
Instagram die Realität filtern. Nur das Schöne wird reingelassen, alles | |
Düstere bleibt draußen. Eine Revolution mit diesem Heft: niemals. | |
Im Gegenteil, das Magazin ist Papier gewordener Eskapismus. Und das ganz | |
bewusst: „Es geht darum, mit unseren Lieben zusammenzusein, abgeschirmt von | |
der Welt […]“, heißt es auf Seite 26. Nichts gegen Realitätsflucht, die | |
hilft gegen Wahnsinn. Wer sie gerade braucht, findet in hygge viel | |
Inspiration. Einen größeren Mehrwert bietet das Heft aber nicht – im | |
Gegenteil, mit Lebensweisheiten wie „1 – Das ist der Platz, auf dem die | |
Banane auf den meisten Waagen in der Obstabteilung der Supermärkte steht“ | |
(S. 63) fühlt man sich intellektuell veralbert. | |
Wer liest es? | |
Mütter* oder Väter*, die sich zu einem hippen Lifestyle mit Kind | |
inspirieren lassen wollen und gerne noch was aus Papier in der Hand halten, | |
statt sich die „Inspo“ aus dem Netz zu ziehen. | |
Wer macht es? | |
Chefredakteurin Sinja Schütte zusammen mit einer nach eigenen Angaben viel | |
lachenden und diskutierenden Redaktion in Hamburg. Für die Verlagsgruppe | |
Deutsche Medien-Manufaktur, einem Tochterunternehmen von Gruner+Jahr und | |
dem Landwirtschaftsverlag Münster. | |
Warum kauft man es (k)ein zweites Mal? | |
Im besten Fall muss man es kein zweites Mal kaufen, weil man schon durch | |
die erste Ausgabe vollständig glücklich geworden ist. Wer nicht glücklich | |
wurde, wartet vielleicht auf neue, besser funktionierende Tipps. Aber: Wenn | |
das Lesen nicht glücklich machte – was sagt das dann über die Qualität des | |
Heftes? Ist das mit dem „glücklich sein“ vielleicht gar nicht so einfach, | |
wie das Titelblatt verspricht? Oder steht das in der zweiten Ausgabe? | |
26 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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