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# taz.de -- Freundschaft in der Politik: „Die Deutschen sind konsenssüchtig�…
> Angela Marquardt ist links, Hugo Müller-Vogg hingegen erzkonservativ. Die
> beiden sind Freunde. Wie geht das denn?
Bild: „Müller-Vogg ist speziell, ich bin speziell – vielleicht verbindet u…
taz.am wochenende: Frau Marquardt, Herr Müller-Vogg, warum sind Sie
Freunde?
Angela Marquardt: Wir mögen uns, und wir streiten gern. Müller-Vogg fordert
mich heraus, weil er völlig andere Meinungen hat. Weil wir uns so gut
kennen, denke ich: Sei genau! Aus Streit nimmst du was mit.
Hugo Müller-Vogg: Ich finde es interessanter, mich mit Leuten zu
unterhalten, die anderer Meinung sind, als mit Gleichgesinnten. Und die aus
einer anderen Welt kommen.
Der eine ein Konservativer, die andere eine Linke: Frau Marquardt, Sie
arbeiten in der SPD seit Jahren an Rot-Rot-Grün. Ist der Traum jetzt
ausgeträumt?
Marquardt: Rot-Rot-Grün ist kein Traum, sondern …
Müller-Vogg: … ein Albtraum!
Marquardt: Ja, Herr Müller-Vogg, für Sie ist es ein Albtraum. Ich nenne es
eine Möglichkeit.
Was brächte eine rot-rot-grüne Bundesregierung?
Marquardt: Es gibt einige Projekte, etwa wenn ich an die Bürgerversicherung
denke …
Müller-Vogg: … die Zwangs-AOK …
Marquardt: … an eine andere Rüstungspolitik, an Änderungen bei Hartz IV, an
das Thema Rente oder eine sozial gerechte Umweltpolitik.
Müller-Vogg: Wir würden uns in außenpolitische Abenteuer stürzen, eine
Politik ohne oder gar gegen die Nato versuchen. In Europa würden wir andere
Volkswirtschaften, die sich selbst ruiniert haben, mit deutschen
Steuergeldern aufpäppeln. Deutschland würde ein Betreuungs- und
Bevormundungsstaat, finanziert durch eine gigantische Umverteilung.
Marquardt: Spannend, dass Sie Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit
Bevormundung verbinden. Ich komme aus einem Land, das seine Menschen extrem
bevormundet hat und wenn ich eins überhaupt nicht, nicht mal im Ansatz in
mir trage, dann ist es, Menschen bevormunden zu wollen. Ich will etwas
anbieten.
Müller-Vogg: Mit Bevormundung meine ich staatlich verordnete Political
Correctness.
Frau Marquardt, was befürchten Sie, falls Angela Merkel noch mal mit Union
und FDP regieren könnte und Ihre SPD in der Opposition landet?
Marquardt: Die Demokratie würde leiden. Sie würde noch mehr ausgehöhlt,
aber auch langweiliger und ermüdend. Spannend ist doch an der
Rot-Rot-Grün-Debatte, dass sich alle mit dieser Möglichkeit
auseinandersetzen. Auch wenn die einen sagen: Dann regiert die Stasi mit!
Rot-Rot-Grün könnte demokratische Prozesse wiederbeleben, weil sich viele
stark an dieser Politik reiben würden. Politik sollte wirklich gestalten
nicht nur verwalten. Ich wünsche mir einen Aufbruch.
Müller-Vogg: Mich stört das Argument Langeweile. Die spannendste,
dramatischste Konstellation, die wir in Deutschland je hatten, war die Wahl
am 5. März 1933. Es gab eine extrem hohe Wahlbeteiligung. Viele saßen auf
gepackten Koffern, weil sie wussten: Wenn das schiefgeht, dann ist die
Demokratie zu Ende. Sie hatten ja auch recht mit ihrer Befürchtung. Auf die
Art von Spannung kann ich verzichten. Da habe ich lieber eine stabile
Demokratie, die ein bisschen langweilig ist.
Wenn man Ihnen zuhört, ist da jede Menge Dissens, trotzdem sind Sie
Freunde. Was fangen zwei wie Sie überhaupt miteinander an?
Müller-Vogg: Ich fand Angela Marquardt schon bei der ersten Begegnung
interessant und sympathisch. Uns verbindet die „Lindenstraße“ (Müller-Vogg
lacht laut). Konservative wie ich müssen einmal in der Woche 28 Minuten
konzentriertes Gutmenschentum erleben. Eine Serie, wo die Männer alle
Luschen sind und nur die Frauen stark, die Arbeitgeber Verbrecher …
Marquardt: … der Vermieter ist auch ein Verbrecher.
Müller-Vogg: Ja, genau. In der „Lindenstraße“ übernimmt niemand
Verantwortung für das, was er macht. Ob man mit 16 schwanger wird oder
durchs Abitur fällt, weil der Arsch von Lehrer, wie es dann heißt, die
falschen Fragen gestellt hat. Mich amüsiert das. Wir kommentieren manchmal
die „Lindenstraße“ live per SMS.
Warum gucken Sie „Lindenstraße“, Frau Marquardt?
Marquardt: Richtig eingestiegen bin ich in den Neunzigern, weil Klausi
Beimer Nazi war. Das interessierte mich, wie die Geschichte aufbereitet
wird, weil es damals Thema war und weil mich als Linke solche Leute auch
konkret attackiert haben. Uns verbindet auch das Kochen, ich hab schon mal
gekocht für ihn.
Müller-Vogg: Nein, zweimal. Und jedes Mal hervorragend, sage ich Ihnen.
Was gab es?
Marquardt: Beim ersten Mal Seeteufel im Pancettamantel.
Müller-Vogg: Ich hab die Gerichte fotografiert und meiner Frau geschickt,
als Vorlage zum Nachkochen.
Herr Müller-Vogg, als Frau Marquardt 1971 in Mecklenburg geboren wurde,
haben Sie gerade in Mannheim Ökonomie studiert. Wie sahen Sie damals die
DDR?
Müller-Vogg: Ich war mit einer Gruppe der katholischen Jugend das erste Mal
in Ostberlin, Mitte der Sechzigerjahre. Ich spürte eine gewisse Faszination
des Perversen: die Mauer, der Todesstreifen, diese rigorosen
Passkontrollen. Danach bin ich oft, wenn ich in Berlin war, rüber. Ich habe
dort eine junge Frau kennengelernt, wir haben uns auch geschrieben. Und
beide die Erfahrung gemacht, dass Briefe geöffnet wurden – von der Stasi
wie vom Verfassungsschutz.
Mädchen aus Ostberlin: wie im Lied von Udo Lindenberg.
Müller-Vogg: Von dem Mädchen habe ich erfahren, welche Nachteile etwa
kirchentreue Christen hatten. Später bin ich oft auf die Leipziger Messe
gefahren, da war ich in einem Privatquartier bei einer Familie, mit der ich
mich angefreundet hatte. Ich habe denen vor einer Reise nach Leipzig ein
großes Paket geschickt. Wie es das Schicksal wollte, kam das Paket
gleichzeitig mit mir an. Ich werde nie vergessen, wie die Frau das
ausgepackt hat und aus dem Packpapier die Adresse und den Absender
herausschnitt. Als ich sie fragte, warum, antwortete sie: Wenn ich das
jetzt in die Mülltonne tue, weiß der Hausmeister, wer ein Westpaket
bekommen hat. So klein machten die ihre Leute.
Frau Marquardt, wie finden Sie Hugo Müller-Voggs DDR-Bild?
Marquardt: Er hat die DDR zu einer Zeit erlebt, die ich nicht erlebt habe.
Aber was soll ich dazu sagen? Das ist ja ein richtiges Bild. Ich habe als
Kind keine Westpakete bekommen. Mein Opa hatte zwar Verwandtschaft im
Saarland, aber er hat die Pakete immer zurückgeschickt. Mein Opa wollte
diese Pakete nicht annehmen.
Nach der Wende gingen Sie in die PDS. Was hielten Sie von der FAZ, bei der
Müller-Vogg damals Karriere machte?
Marquardt: Ich habe Medien erst richtig wahrgenommen, als ich in Berlin
gelebt und im Vorstand gearbeitet habe. Meine damalige Partei, die PDS, ist
nirgends gut weggekommen und ich oft auch nicht.
Müller-Vogg: Erschwerend hinzu kam Ihre grüne Punkfrisur (lacht).
Marquardt: Ja, ich fühlte mich zuweilen ungerecht behandelt, weil unwahre
Dinge über mich geschrieben wurden. So was wie: Sie verherrlicht Gewalt,
sie ist die Verbindung zwischen Autonomen und der PDS – das waren so die
Neunzigerdebatten.
1998 kamen Sie in den Bundestag. Bald lernten Sie den FAZ-Herausgeber Hugo
Müller-Vogg kennen.
Müller-Vogg: Das war 2000 in Heidelberg, eine Art Sommeruniversität, es
ging um Medien und Digitalisierung. Wir waren beide eingeladen. Ich bin da
hin, mit allen Vorurteilen, die man so gegenüber einer PDS-Punkerin hat.
Dann haben wir uns aber auf dem Podium ganz vernünftig unterhalten.
Marquardt: Ich wusste erst mal gar nicht, wer er ist. Mein medialer Fokus
waren Junge Welt, Neues Deutschland, später Jungle World.
Müller-Vogg: Wiedergetroffen haben wir uns am 2. Oktober 2000, als Gregor
Gysi wieder mal eine Abschiedsfeier gab, diesmal vom Fraktionsvorsitz. Ich
war da platziert mit irgendwelchen Vertretern sozialistischer
Bruderparteien. Und plötzlich tippt sie mir auf die Schulter und sagt:
„Tach, Herr Müller-Vogg.“
Und dann?
Müller-Vogg: Wir haben den ganzen Abend geklönt und was getrunken. Und dann
hat sie mir erklärt, dass sie in der PDS demnächst die Macht übernimmt und
bis Ende 2008 entweder Parteivorsitzende ist oder Ministerpräsidentin in
Ostdeutschland. Darauf haben wir gewettet.
Marquardt: Die sechs Flaschen Champagner gingen an ihn.
Müller-Vogg: Sie hat mir den Karton vorbeigebracht, er war innen und außen
mit der Bild-Zeitung beklebt, mit einer Ausgabe, in der eine Kolumne von
mir drin war. Das fand ich ganz toll. Eine Flasche haben wir zusammen
getrunken.
Kommen wir auf die Politik zurück. Ist die AfD rechtsextrem?
Marquardt: Diese Partei stellt die Demokratie infrage. Wenn mir jemand in
Diskussionen in Wahlkämpfen erklärt: Es ist egal, mit wem ihr regiert, ihr
macht sowieso nichts für die Leute. Damit ihr das endlich merkt, wähle ich
AfD. Da gehe ich rein – da dürfen Sie gern lachen, Herr Müller-Vogg – und
sage: Aber deswegen darf man doch keine Nazis wählen.
Müller-Vogg: Ich lache, weil ein Teil der Leute, die Sie jetzt als Nazis
kritisieren, vorher die Linken gewählt haben. Damals fanden Sie das gar
nicht so falsch.
Marquardt: Aber wie Sie wissen, sind die AfD und die Linken nicht gleich.
Müller-Vogg: Doch: Protestwähler sind sich sehr ähnlich. Hauptsache gegen
die da oben.
Marquardt: Es ist ein Unterschied, ob ich aus Protest Nazis wähle oder ob
ich Leute wähle, die für Steuererhöhung, bedingungsloses Grundeinkommen,
kostenfreie Kitas, für Antirassismus stehen.
Müller-Vogg: In der AfD gibt es Nationalkonservative, Ex-CDU-Leute,
Rechtspopulisten, Rechtsradikale, NPD-Fans, Völkische, eine wilde Mischung.
Die generell als Nazis zu bezeichnen, ist mir zu pauschal – und ihre Wähler
erst recht.
Marquardt: Ich habe nicht gesagt, dass alle AfD-Wähler Nazis sind.
Aber Sie würden die AfD als Nazi-Partei bezeichnen?
Marquardt: Ja, dabei bleibe ich auch. Da brauche ich mir nicht nur Höcke
anzusehen. Es reicht, sich die Parteidiskussionen anzugucken, die
Pamphlete, die Anträge. Die Zählung von Homosexuellen, das ganze
Familienbild – das ist für mich rechtsextrem.
Sie gehen da nicht mit, Herr Müller-Vogg?
Müller-Vogg: Nein. Ich halte es für unerträglich, dass die AfD es nicht
schafft, Antisemiten wie Gedeon rauszuwerfen. Oder dass sie den Höcke seine
Ansichten verbreiten lässt, weil sie wissen, der bindet einen Teil der
Wähler. Genauso, wie ich es für unerträglich halte, dass sich Ihr früherer
Verein, Frau Marquardt, nicht aufraffen kann zu sagen, die DDR war ein
Unrechtsstaat. Einen solchen Schnitt wagt die Linke nicht, und auch die AfD
nicht.
Es fällt auf, Herr Müller-Vogg, dass Sie, wenn Sie nach der AfD gefragt
werden, kurz streifen, was an der AfD noch nicht so richtig läuft, und dann
zur Linken übergehen.
Müller-Vogg: Ich weiß, die Gleichbehandlung der ganz Rechten und ganz
Linken gefällt Ihnen nicht. Ich bin ein entschiedener Gegner der AfD, ich
wäre froh, die rutschten unter fünf Prozent. Aber ich finde es genauso
schlimm, dass die Linke nicht wenige in ihren Reihen hat, die heute noch
Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl für sozialistischen Fortschritt
halten.
Marquardt: Es hilft nur der Debatte gar nicht, wenn wir über die AfD
diskutieren, sofort den Bogen zur Linkspartei zu machen.
Müller-Vogg: Na, Sie wollen doch mit denen regieren.
Bleiben wir mal bei der DDR-Vergangenheit. Herr Müller-Vogg, als Sie 2002
gehört haben, dass Angela Marquardt von der Stasi als Informantin geführt
wurde, wie haben Sie da reagiert?
Müller-Vogg: Ich vertrete ja die These der Sozialisation, der Prägung durch
das Umfeld: Wer in einer politischen Familie groß wird, wird von den Eltern
beeinflusst, oder er rebelliert. Ich wurde sozialisiert in einer
katholischen CDU-Familie in Mannheim, hatte ein sehr gutes Verhältnis zu
meinem Vater. Wäre derselbe Vater in Rostock in der SED gewesen, bin ich
nicht sicher, ob ich in den Widerstand gegangen wäre. Deswegen bin ich weit
davon entfernt, jemandem seinen Werdegang vorzuwerfen.
Frau Marquardt, wie ist das für Sie, eine Geschichte zu haben, die nie
vergeht?
Marquardt: Das, was mir 2002 passiert ist, möchte ich so nicht noch einmal
erleben. Bis ich vor zwei Jahren mit Miriam Hollstein mein Buch über meine
Jugend und die Stasi geschrieben und mich auf diese Weise meiner Geschichte
gestellt habe, habe ich eine Riesenangst mit mir rumgeschleppt.
Dass immer jemand die Stasiakte zieht?
Marquardt: Ja. Ich bin damals sogar öffentlich angespuckt worden. Diese
Zeit hat sich in mein Hirn eingebrannt. Im Bundestag hingegen sind 2002
viele auf mich zugegangen, Guido Westerwelle und andere. Aber die
Allgemeinheit hat nicht auf das Alter geschaut, darauf, dass ich eine
Jugendliche war, als ich verpflichtet wurde. Die hat nur Stasi gesehen.
Aber die Verantwortung für mein Handeln als Jugendliche will ich schon
übernehmen.
Steht nicht Ihr Freund Hugo Müller-Vogg genau für diese Denkschule:
Menschen aus der DDR genauso zu beurteilen wie im Kalten Krieg?
Marquardt: Er sieht meine Geschichte differenziert.
Müller-Vogg: Ich war von Ihrem Buch sehr angetan und zugleich sehr
betroffen.
Marquardt: Aber Ihnen gefiel das Cover nicht. Ich hätte mich von der
falschen Seite fotografieren lassen. Er meinte das Piercing und sagte: Sie
wollen doch ernst genommen werden.
Müller-Vogg: Ich vermutete, dass Sie mit dem Piercing bei manchen
SPD-Genossen nicht gut ankommen.
Andere Leute irritiert ein Einstecktuch, Herr Müller-Vogg.
Müller-Vogg: Deshalb trage ich extra für die taz heute eine Krawatte.
Ist es nicht einfach auch ein guter Deal? Das Dissensduo: viel
interessanter als Müller-Vogg oder Marquardt allein.
Marquardt: Das hat Hugo Müller-Vogg nicht nötig.
Müller-Vogg: Angela Marquardt ebenso wenig. Aber ich bin schon mehrfach bei
SPD-Veranstaltungen von hochrangigen Genossen sehr distanziert begrüßt
worden, wenn ich zusammen mit ihr auftauchte, auch kürzlich beim
Vorwärts-Fest. Derselbe SPD-Mann hat sich später mit mir allein sehr
freundlich unterhalten.
Marquardt: Ich vergesse nie, wie ich für eine Rot-Rot-Grün-Veranstaltung
vorgeschlagen habe, ihn als Moderator zu gewinnen. Die haben mich alle
total entsetzt angeguckt. Der Toni Hofreiter ist Sturm gelaufen (sie
grinst). Aber wir fanden niemanden. Und Hugo Müller-Vogg sagte sogar: Für
Sie mache ich es ohne Honorar.
Und waren die Rot-Rot-Grünen mit dem Moderator zufrieden?
Marquardt: Toni Hofreiter hat danach jedenfalls gesagt, okay, ich hab mich
getäuscht.
Müller-Vogg: Er hat mich hinterher sogar im Bundestagsauto mitgenommen.
Wenn Ihr Freund als Kommentator auftritt: Haben Sie da gar keine
Schmerzgrenze, Frau Marquardt?
Marquardt: Ich mag zum Beispiel nicht, was er bei Tichys Einblick über
Flüchtlinge und dass er dort überhaupt schreibt. Roland Tichy bedient in
seinen Beiträgen rhetorisch Pegida und die AfD. Leider unterstützt er sie
aktiv mit seinem Magazin. Ich finde das verantwortungslos,
antidemokratische Bewegungen in ihrem eindimensionalen Weltbild zu
bestätigen.
Müller-Vogg: Ich schreibe ja nicht nur für Tichys Einblick, sondern auch
für Huffington Post oder Cicero. Tichys Einblick ist ein
liberal-konservatives Onlinemagazin, in dem auch Necla Kelek, Norbert Blüm,
Hamet Abdel-Samad, Kristina Schröder oder Nicola Beer schreiben. Weil es
mit vier Millionen Impressions im Monat erfolgreich ist, wird es in die
rechte Ecke gerückt – eine auf der politischen Linken erprobte Methode. Ich
bin auch nicht mit allen Beiträgen dort einverstanden.
Marquardt: Da bin ich aber froh …
Können Sie sich auf Müller-Vogg verlassen?
Marquardt: Als ich aus der PDS draußen und in der SPD noch nicht richtig
angekommen war, niemand etwas von mir wollte und mir auch niemand einen Job
gegeben hat, da hat Herr Müller-Vogg gesagt: Ich schau, was ich tun kann.
Er hat dann im Wahlkampf 2009 dafür gesorgt, dass ich mit ihm ein
Video-Battle für N24 machen konnte. Das war wichtig für mich. Die berühmte
Solidarität, die die Linken immer vor sich her tragen, da wartet man
manchmal lange drauf. Müller-Vogg hält Wort.
Herr Müller-Vogg, Sie sind 2001 bei der FAZ geschasst worden als
Herausgeber – vielleicht nach einer Auseinandersetzung mit ihrem damaligen
Kollegen Frank Schirrmacher …
Müller-Vogg: Es gab überhaupt keine offene Auseinandersetzung, weder mit
Schirrmacher noch mit einem anderen Herausgeber. Ich wurde im Dunkeln
erdolcht – von hinten.
Und Sie, Frau Marquardt, haben sich entfremdet von der PDS, sind 2003
ausgetreten. Diese Entfremdung von, dieser Bruch mit Institutionen, von
denen Sie jeweils lange geprägt wurden, ist das Ihre Gemeinsamkeit?
Müller-Vogg: Nein. Ich weiß ja bis heute nicht, warum die Herren
Herausgeberkollegen mich bei der FAZ rausgeworfen haben. Frau Marquardt
hingegen hat sich bewusst entschieden, mit der PDS Schluss zu machen. Der
Vergleich stimmt nicht.
Sind Sie beide Außenseiter?
Müller-Vogg: Wir sind beide unabhängig, das kann man schon sagen. Natürlich
haben mich einige Opportunisten nach meinem Rauswurf nicht mehr gekannt. So
what? Dafür sind viele neue freundschaftliche Beziehungen entstanden. Wenn
Sie die Gästeliste meines jährlichen Saumagen-Essens in Bad Homburg
kennten, würden Sie mich nicht für einen angeblichen Outcast halten.
Marquardt: Mein Freundeskreis geht von Gregor Gysi bis Hugo Müller-Vogg.
Das würde ich nicht als Außenseitertum bezeichnen. Ich würde mich und
meinen Weg eher speziell nennen. Hugo Müller-Vogg ist speziell, ich bin
speziell, vielleicht verbindet uns das. Und wir wollen beide was. Er will
gehört werden. Und ich möchte vorankommen. Ich bin noch zu jung, um nur
speziell zu sein. Vor ein paar Jahren hätte ich das so sicher nicht
ausgesprochen, ich hatte Ängste in mir. Heute weiß ich, was ich kann und
dass ich mehr kann. Und das würde ich in der Politik gern stärker unter
Beweis stellen.
Ist die Gesellschaft streitscheu?
Marquardt: Eher streitmüde, weil Streit so negativ konnotiert ist. Scheu
sind die Leute dort, wo sie keine Argumente haben. Dort grenzt man lieber
aus.
Müller-Vogg: Die Deutschen sind konsenssüchtig. Die Leute reden eher über
ihre Sexualpraktiken als darüber, wen sie wählen. Wer würde bei uns ein
Wahlplakat in den Vorgarten stellen, wie das in den USA praktiziert wird?
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Deutschen große Koalitionen mögen.
Das hat eine lange Tradition. Schon Hindenburg ließ im
Präsidentschaftswahlkampf eine Münze verteilen, auf der stand: Für den
Staat beide Hände. Aber keine für die Parteien.
Ist es in den letzten Jahren seltener geworden, dass Menschen sich mögen,
die politisch sehr weit auseinander sind?
Müller-Vogg: Im Bundestag gibt es einige Freundschaften über Parteigrenzen
hinweg. Mich erinnert der Bundestag da manchmal an Professional Wrestling.
Die legen sich aufs Kreuz, die schreien vor Schmerz – und anschließend
gehen sie ein Bier trinken.
Warum siezen Sie beide sich eigentlich?
Müller-Vogg: Ich bin mit dem Du sehr sparsam. Sie Rindvieh, das sagt man
nicht so leicht wie: du Rindvieh. Ich habe einen guten Freund, mit dem bin
ich seit fünfzig Jahren per Sie, da wäre es auch komisch, das noch zu
ändern.
Marquardt: Mit der Schauspielerin Inge Meysel, mit der ich befreundet war,
hab ich mich auch gesiezt. Sie hatte dann irgendwann mal du gesagt, das
rutschte ihr so raus, aber ich habe sie trotzdem weiter gesiezt.
Das Sie ist Ihnen ein Zeichen der Wertschätzung?
Müller-Vogg: Bei mir ja. Frau Marquardt respektiert, dass ich als der viel
Ältere ihr das Du noch nicht angeboten habe. Wenn wir unser Zwanzigjähriges
feiern, können wir mal drüber reden.
20 Jun 2017
## AUTOREN
Anja Maier
Georg Löwisch
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Konservative
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