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# taz.de -- Kolumne Fast Italien: Zwei Schmatzer für den Nazi
> Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft – sagte Kurt Tucholsky einst.
> Manchmal passiert das sogar vor der linken Stammbar.
Bild: Küsschen!
Moscow Mule in der Gorilla Bar. In der Nachbarkneipe marschiert die
Braunbrut ein. Die Karl-Marx-Büste vor mir am Tresen schüttelt den Kopf.
Ich geh eine rauchen, sage ich zu Ahmet, dem Barkeeper. Die Bar ist voll.
Ahmet nickt, was heißt, er hat ein Auge auf meinen Platz. Es regnet in
Strömen.
Ich habe mich mit dem Rauchverbot arrangiert, schnappe ständig frische
Luft. In der Nachbarkneipe wird deutsch gegrölt. Ich greife in die
Innentasche meiner Jacke, habe die Kippen zu Hause liegen lassen. Der
einzige Zigarettenautomat weit und breit ist in der Kneipe nebenan. Ich bin
starker Raucher. Die Sucht siegt. Ich mache mich auf den Weg, 39 Schritte.
Trete ein. Zig Augenpaare klopfen an meine Schädeldecke, lassen meine
Schläfen pochen.
Heil, sagt einer. Er trägt einen dunkelblauen Anzug wie seine Kameraden
neben ihm. Hey, sage ich und frage einen anderen, wo der Zigarettenautomat
ist. Gradaus und dann rechts, sagt er. Klar, sage ich. Wo sonst? Gradaus
und dann rechts. Der Heil-Typ grinst. Die anderen mit ihm. Es ist ein
sardonisches Grinsen, das sie vereint. Du bist okay, sagt der Obergrinser.
Ich gehe geradeaus und dann rechts, hol die Scheißzigaretten. Vor mir
verlässt ein Paar die Pinte, geht Richtung Gorilla Bar. Ich öffne die
Schachtel, schlendere hinterher. Sie bleiben vor dem Panoramafenster der
Bar stehen.
## Es ist wie in einem Film
Da drin sitzen die Linken und schmieden Pläne. Scheißvoll der Laden. Und
der Besitzer is'n Türke, hat'n Goldarsch, sagt sie. Abfackeln, den
Schuppen, abfackeln, lallt er und sucht mit beiden Händen Halt in der Luft.
Sie nickt. Ich stehe neben ihnen, rauche. 2017, und Europa rudert
Jahrzehnte zurück.
Ich schnippe die Zigarette auf den Boden, nehme den Schädel des
Luftakrobaten mit beiden Händen, ziehe ihn zu mir heran, gebe ihm zwei
Schmatzer auf die Backen, sage: Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft …
Er schlägt in die Luft, ein-, zweimal. Dann trifft er meine Nase. Es
knackt. Blut spritzt. Ich lande auf dem Asphalt. Schemenhaft sehe ich Ahmet
dazwischentreten. Ein Silberrücken, der auf seine Sippe achtet. Seine
kräftige Statur bildet eine natürliche Grenze. Ahmet ist ein alter Linker,
er kennt seine Straße, versucht, die Situation verbal zu entschärfen.
Meine kleine Rockabilly-Lady kommt des Wegs, gepierct, tätowiert, eine
Göttin. Sie sieht mich am Boden liegen, forciert ihren Schritt, stemmt die
Arme in die Hüften, schmettert die Marseillaise. Ahmet lässt das
Beschwichtigen, singt mit. Ich versuch's auch. Es ist wie in einem Film.
Katharina kommt näher, singt fortissimo. Gorilla-Gäste strömen aus der Bar,
summen mit, singen. Die Nachbarn reißen die Fenster auf: A Ruah is!, tönt
es kanonisch über die Straße. Katharina leistet Erste Hilfe, indem sie mich
abknutscht. Rechte und Linke verkrümeln sich. Die Fenster werden
geschlossen.
Moscow Mule für alle, schreit Ahmet und lacht. Katharina und ich barhocken
vor der Büste. Karl Marx nickt. Katharina küsse ich auf den Mund, Karl auf
die Stirn. Man muss Prioritäten setzen.
10 Jul 2017
## AUTOREN
Max König
## TAGS
Fast Italien
Schwerpunkt Neonazis
Karl Marx
Schwerpunkt Antifa
Oktoberfest
Fast Italien
München
Obdachlosigkeit
Opferberatung
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