# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Hund! | |
> Täglich wiederholte sich in der Nachbarzelle dasselbe Ereignis: Der | |
> Gefangene bat um Wasser, der Wärter schlug ihn. | |
Bild: Der Mann klopfte unentwegt gegen die Tür seiner Zelle, während er den W… | |
Nachdem einige Tage vergangen waren, seitdem ich in Haft genommen wurde, | |
bemerkte ich, dass sich ein Ereignis täglich fast zur selben Zeit | |
wiederholte. Ich konnte nämlich die Gespräche der Häftlinge in den | |
Nebenzellen hören, dabei fiel mir die Stimme eines erschöpften Mannes auf. | |
Der Mann klopfte unentwegt gegen die Tür seiner Zelle, während er den | |
Wärter anflehte: „Bitte, mein Sohn, gib mir doch nur einen Schluck Wasser.“ | |
Die Bitte wiederholte er, bis der Wärter zurückbrüllte: „Sei still, du | |
Hund. Hunde kriegen nichts zu trinken. Trink deinen Urin oder den deiner | |
Mutter!“ | |
Warum glaubte der Wärter, dass Hunde nichts zu trinken brauchen? Das fragte | |
ich mich jedes Mal, wenn ich hörte, wie der Wärter die Gefangenen als Hunde | |
beschimpfte. | |
Die ältere erschöpfte Stimme gab nicht auf, bis der Wärter sich dem | |
Widerstand des Gefangenen beugte. Dann schloss der Wärter die Zelle auf und | |
heulte den Mann wie ein Wolf an: „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst still | |
sein, du Hund? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst deinen Urin oder den | |
deiner Mutter trinken?“ Dann hörte ich, wie er heftig auf den Körper des | |
Häftlings einschlug. Und wenn er mit den Schlägen fertig war, sagte er: | |
„Jetzt kriegst du etwas zu trinken; du Hund.“ | |
Bei diesen und ähnlichen Situationen ging ich auf Zehenspitzen vorsichtig | |
Richtung Zellentür, damit der Wärter mich nicht bemerkte. Es war ein | |
kleines Loch in der Tür. Ich könnte nicht den ganzen Körper des Wärters | |
sehen und auch nicht den des Häftlings. Den Wärter erkannte ich an seinen | |
Kleidern. Der Häftling war nur mit einer zerschlissenen, mit Blut | |
beschmierten Unterhose bekleidet. | |
## Aus Versehen verhaftet | |
Dieses Ereignis wiederholte sich tagaus, tagein. Eines Tages bestellte mich | |
der Gefängnisdirektor zu sich zum Verhör. Der Wärter kam wie immer in meine | |
Zelle und verband mir die Augen, bevor er mich dem Gefängnisdirektor | |
vorführte. Dort nahm er mir die Augenbinde ab und befahl mir, in einer Ecke | |
stehen zu bleiben, bis der Direktor seine Arbeit erledigt hatte und mich zu | |
sich heranwinkte. Ich bemerkte, dass der besagte Direktor gerade dabei war, | |
einem alten, sichtbar geschwächten Mann die Habseligkeiten auszuhändigen, | |
die er bei seiner Festnahme bei sich trug. Es waren ein Gürtel, eine | |
Armbanduhr und ein Geldbeutel; ein alter Geldbeutel. | |
Der Häftling war um die 70 Jahre alt, er zitterte am ganzen Körper, seine | |
Hose war ziemlich weit. Er hielt sie am Gürtel und ich erschrak sehr | |
darüber, wie abgemagert er war. | |
Ich versuchte nicht zu weinen und wollte Stärke zeigen. Doch mein Stolz war | |
nicht von langer Dauer. Denn als der Mann zu sprechen begann, merkte ich, | |
dass er der Mann mit der müden Stimme aus der Zelle nebenan war. Er | |
bedankte sich leise und höflich beim Direktor mit den Worten: „Danke, mein | |
Sohn.“ | |
Der Direktor des Gefängnisses sagte ihm, bevor er ihn entließ: „Hör zu, | |
wenn du hier rauskommst, erzähl bloß nichts Schlechtes über uns. Du musst | |
wissen, dass wir dich aus Versehen verhaftet haben. Es war bloß eine | |
Namensverwechslung.“ | |
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman | |
3 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Kefah Ali Deeb | |
## TAGS | |
Nachbarn | |
Krieg | |
Gefängnis | |
Syrischer Bürgerkrieg | |
Nachbarn | |
Nachbarn | |
Nachbarn | |
Hier und Dort | |
Fluchtrouten | |
Hier und Dort | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Nachbarn: Im September | |
Die Brise dieses Septembermorgens ähnelt jener am Tag meiner Ankunft in | |
Deutschland – ebenso wie die Sehnsucht, die sie weckt. | |
Kolumne Nachbarn: „Für den Beamten, der mich folterte“ | |
Wer in Damaskus festgenommen und misshandelt wird, ist froh, wenn er aus | |
dem Gefängnis kommt – mit oder ohne Widmung an den Folterknecht. | |
Kolumne Nachbarn: Der Kaffee und ein Gesang | |
Der Duft von Kaffee ist wie eine Truhe, in der man sein Gedächtnis | |
aufbewahrt. Er weht von Damaskus bis Berlin und weckt Erinnerungen. | |
Kolumne Nachbarn: Eines Nachts | |
Dieser Durst. Diese Blicke. Diese Angst. Und dann auch noch die Stimme, die | |
versagt! Ich muss schnell die Polizei rufen. Doch wo ist mein Telefon? | |
Kolumne Nachbarn: Ein Blick zurück würde reichen | |
Auf der Schmugglerroute ist kein Platz für alle Gedächtnisdetails. Die | |
Schubladen und die Fotoalben musste ich zurücklassen. | |
Kolumne „Nachbarn“: Nach dem Sarin-Massaker | |
Bitte, liebe Nachbarn, lassen Sie Ihre Kinder die Bilder unserer Kinder | |
nicht anschauen. Werden Sie nicht zu Zeugen eines Verbrechens. |