# taz.de -- Kolumne Nachbarn: „Für den Beamten, der mich folterte“ | |
> Wer in Damaskus festgenommen und misshandelt wird, ist froh, wenn er aus | |
> dem Gefängnis kommt – mit oder ohne Widmung an den Folterknecht. | |
Bild: Neue syrische Banknote, einem Massenmörder gewidmet | |
Kniend mit dem Gesicht zur Wand, mit verbundenen Augen und den Händen | |
hinter meinem Rücken in Handschellen, wurde ich bei meiner letzten | |
Verhaftung in Damaskus von den Sicherheitsbeamten vernommen. | |
Einer der Beamten fragte mich nach meinem Handy, nachdem er es vergeblich | |
in meiner Handtasche gesucht hatte. Ich sagte, es sei womöglich auf die | |
Straße gefallen, als sie mich zogen. Bevor ich den Satz zu Ende sprach, | |
trat er mir so heftig in den Rücken, dass ich dachte, meine Wirbel | |
zerbersten. | |
Er fragte mich nach einigen Personen. Ich antwortete, dass ich sie nicht | |
kenne, und erwartete gleich den nächsten Tritt; doch er enttäuschte mich. | |
Meine Freude war nicht von langer Dauer, denn ich spürte, wie sich eine | |
Hitzequelle meinem Gesicht näherte und meine Lippen bügelte, während zwei | |
Hände meinen Kopf festhielten. | |
Er sagte: Früher oder später wirst du dich schon an die Namen erinnern. | |
Nach der ersten Folterrunde machten die Sicherheitsbeamten eine Pause. | |
Meine Lippen brannten noch, während ich sie ableckte, um den Schmerz zu | |
lindern. | |
Ich hörte Schritte auf der Treppe näher kommen. Zuerst dachte ich, jetzt | |
beginnt eine neue Folterrunde. Eine Hand packte mich am Arm und zog mich | |
hoch. Eine Stimme forderte mich zum Aufstehen auf. | |
Ich erhob mich und ging ein paar Schritte nach vorn. Die Hand ließ mich | |
los. Ich hörte, wie ein Stuhl geschoben wurde. Die Stimme sagte: Setz dich. | |
Er überraschte mit der Frage: Geht es dir gut? | |
Ohne groß nachzudenken entgegnete ich: Nein. | |
Er fragte: Warum? | |
Ich sagte: Nimm mir die Handschellen und die Augenbinde ab und lass mich | |
mit dir von Angesicht zu Angesicht sprechen. | |
Obwohl ich nicht damit rechnete, dass er meine Forderung erhört, nahm er | |
mir Handschellen und Augenbinde ab. | |
Ich brauchte etwas Zeit, bis ich wieder normal sehen konnte. Inzwischen | |
setzte sich der Beamte mir gegenüber hinter seinen Schreibtisch. Er war um | |
die sechzig, trug eine schwarze Hose und ein graues Hemd. Seine Haare | |
schienen frisch gefärbt zu sein, denn ich sah noch Farbreste auf seiner | |
Stirn. Er erkundigte sich nach meinem Namen, Studium, Alter und allgemeinen | |
Angaben. Anschließend brachte er mich zu seinem Vorgesetzten, der etwas | |
jünger aussah als er. Mich irritierte der plötzliche Wandel im Verhalten | |
der Beamten. | |
Der Vorgesetzte verhörte mich stundenlang ohne Gewalt anzuwenden. Ich | |
erfuhr, dass die UN-Vertretung in Damaskus inzwischen von meiner Verhaftung | |
erfahren hatte, denn ich war beim Verlassen des UN-Büros verhaftet worden. | |
Dies war offensichtlich der Grund für diesen Verhaltenswandel. | |
Als der Vorgesetzte mit dem Verhör fertig war, sagte er zu mir, ich würde | |
noch in der Nacht freigelassen werden und sie hätten mich eigentlich nicht | |
verhaften wollen. Er warnte mich davor, der Presse von der Festnahme zu | |
berichten. Ich sei lediglich zu Besuch auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen. | |
Ich nickte. | |
## In aller Liebe | |
Er rief einen der Mitarbeiter, die vor der Tür standen, zu sich, ordnete | |
meine sofortige Freilassung und die Rückgabe meiner Habseligkeiten an. Der | |
Mitarbeiter brachte mich zu dem Beamten, den ich davor getroffen hatte. Der | |
Inhalt meiner Handtasche samt einem von mir verfassten Kinderbuch, das er | |
in der Hand hielt, lag auf seinem Schreibtisch. | |
Er sagte, er habe schon ein paar Seiten aus dem Buch gelesen und sie hätten | |
ihm gefallen; er würde es gern seinem Enkelkind schenken. Ich antwortete | |
kurz angebunden: Gut, behalt es. Plötzlich sagte er: Schreib mir eine | |
Widmung, bitte! | |
Hatte ich mich verhört? Was sollte ich dem Sicherheitsbeamten schreiben, | |
der mich festnahm und foltern ließ? Sollte ich etwa schreiben: „In aller | |
Liebe“, „Für den Sicherheitsbeamten, der mich verhaftete und folterte, in | |
tiefer Verbundenheit“ oder vielleicht „ Bis bald“? Er bemerkte meine | |
Irritation, reichte mir das Buch mit einem Stift und sagte: „Schreib doch, | |
bitte“. | |
Ich nahm ihm Stift und Buch aus seiner Hand und schrieb: „Wir alle werden | |
sterben; doch Syrien wird leben!“ | |
Während er meine Worte las, verließ ich die Sicherheitszentrale und lief | |
durch die Straßen nach Hause. Es war nach zwei Uhr morgens. Alles war | |
still; kein Taxi weit und breit. Ich war der einzige Mensch auf der Straße | |
und hörte den Krieg in der Ferne. | |
Aus dem Arabischen: Mustaf Al-Slaiman | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Kefah Ali Deeb | |
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