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# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Im September
> Die Brise dieses Septembermorgens ähnelt jener am Tag meiner Ankunft in
> Deutschland – ebenso wie die Sehnsucht, die sie weckt.
Bild: Ein Berliner Flughafen im September
Heute Morgen wurde ich von einem kalten Hauch geweckt. Ich hatte das
Fenster offen stehen gelassen. Normalerweise schließe ich es, bevor ich
schlafen gehe. Die leichte Brise genügte offensichtlich, um viele Bilder
und Erinnerungen aus alten Zeiten in mir hervorzurufen.
Der September war stets ein entscheidender Monat in meinem Leben. In jenem
Monat wurde ich in einem syrischen Dorf an der Küste unweit von Latakyia
geboren. Dort entstanden in meinem Gedächtnis und in meinem Herzen die
ersten Bilder des Leben.
An jener Küste und in jenem Dorf wuchs ich auf und begann Jahr für Jahr zu
beobachten, wie der Herbst über die Hänge unseres Ortes kam und die frisch
abgeernteten Stoppelfelder von goldgelb zu gelbbraun und die
Essigbrotbäumen karminrot verfärbte. Abends legte sich gar ein ganzes
Farbenmeer auf die Weingärten, wo noch ein paar vereinzelte Trauben hingen,
die bei der Ernte nicht reif genug waren – als hätten sie beschlossen, am
Rebstock, ihrer Heimat, zu bleiben, und bis zum Wintereinbruch nicht zu
reifen.
Im September half ich den Frauen meiner Familie bei der Herstellung der
Wintervorräte aus grünen und schwarzen Oliven, Makdous und allerlei anderer
Sachen. Makdous ist eine syrische Spezialität aus kleinen, gekochten
Auberginen, die mit Walnüssen, roten Peperoni, Knoblauch und Mandeln
gefüllt und anschließend in ein Glas geschichtet und mit Olivenöl bedeckt
werden.
## Die Farben des syrischen Herbsts
Wie andere syrische Spezialitäten ist Makdous Teil der syrischen Identität.
Im Essen spiegeln sich sicherlich der Geschmack und die Tradition,
vielleicht auch die Laune der Menschen wieder. Darüber hinaus ist es eine
Form des Bezugs zur Lebensumwelt.
Im September 2013 beschloss ich, aus Damaskus zu fliehen. Auf dem Weg in
den Libanon über die Berge sah ich die ganze Zeit die Farben des syrischen
Herbsts.
Ein Jahr nachdem ich Damaskus verlassen hatte, ebenfalls im September,
landete ich auf einem Berliner Flughafen. An jenem Tag ähnelten die
Temperaturen und die Sehnsucht denen bei meinem Erwachen am heutigen Tag.
In einem anderen September ging ich die Berliner Sonnenallee entlang.
Plötzlich erblickte ich in einem der arabischen Geschäfte eine Kiste mit
kleinen Auberginen, und zwar von der Sorte, die wir in Syrien für die
Zubereitung von Makdous verwendeten. Ohne groß darüber nachzudenken, wie
ich sie logistisch nach Hause bringe, kaufte ich die ganze Kiste. Nachdem
ich die Logistik geklärt hatte, brauchte ich noch eine ganze Woche, um alle
notwendigen Utensilien zu besorgen, um Makdous zuzubereiten. Denn außer den
Auberginen hatte ich zunächst nichts. Doch dann hatte alles beisammen und
konnte zur Tat schreiten.
Um den Anlass gebührend zu feiern, lud ich meine besten Freunde zum
Frühstück ein. Mitten auf dem Tisch stand ein riesiges Tablett mit dem
berühmten Makdous nach syrischer Art.
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman
26 Sep 2017
## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
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