| # taz.de -- Protest gegen Egoshooter „Far Cry 5“: Der Feind im virtuellen S… | |
| > Die Spieler sind die Guten, die Gegner die Bösen. Feindbilder werden | |
| > hingenommen. Bis man den weißen Christen erschießen muss. | |
| Bild: Gut oder böse? | |
| Der Plan ist perfekt. Auf dem Turm steht der Scharfschütze bereit, im Truck | |
| wartet der Fahrer darauf, das Dorf niederzubrettern. Die Spieler schleichen | |
| derweil den Hang hinunter. Im Dorf leben religiöse Fanatiker, die | |
| ausgeschaltet werden müssen. Ein vertrautes Szenario – in Videospielen | |
| findet es sich immer wieder. Dennoch sorgt das beschriebene Spiel gerade | |
| für Aufregung. Es handelt sich um „Far Cry 5“. Einen sogenannten Shooter �… | |
| manche sagen auch „Ballerspiel“ – der im Februar 2018 erscheinen soll. | |
| Eine Besonderheit bei „Far Cry 5“: Die Gegner sind weiße extremistische | |
| Christen in den USA. Das provoziert. Einige Gamer starteten sogar eine | |
| Petition, die den Entwickler Ubisoft angreift. Es sei antiamerikanisch, was | |
| in diesem Spiel vorgeführt werde, heißt es darin. Diese Abwehrreaktion – | |
| wenn auch nur von einzelnen Spielern – überrascht nicht, konfrontieren | |
| Videospiele die Konsumenten doch eigentlich mit ganz anderen Bildern. Dort | |
| sind die Feinde selten weiß und die Radikalen eher Muslime als Christen. | |
| So bildete der Shooter „The Division“ aus dem Jahr 2016 auf bedrückende Art | |
| ein Stück politische Realität ab: In dem Spiel müssen Menschen mit | |
| Kapuzenpullovern erschossen werden. Nicht erst seit „Black Lives Matter“ | |
| ist das ein politisches Szenario: Vermummte Aufständische aus dem Getto | |
| werden niedergeschossen. Der Kontext ist bei „The Division“ ein anderer. | |
| Die Kapuzenträger sind „Aufständische“. Nach einer rätselhaften Epidemie | |
| ist New York verwüstet. Mit allen Mitteln versucht die versprengte | |
| Regierung, die Kontrolle über die Stadt zurückzugewinnen. Die Spieler sind | |
| Mitglieder einer Spezialeinheit, die diese Regierung wehrhaft machen soll. | |
| „Wehrhaft“ bedeutet in „The Division“, dass die Aufständischen getötet | |
| werden müssen. Doch werden die Spieler zu keinem Zeitpunkt mit der Frage | |
| konfrontiert, ob sie sich eigentlich auf der guten Seite dieser Geschichte | |
| befinden. Wieso ist eine Regierung, die Aufständische tötet, im Recht? | |
| ## Problem gelöst, Spiel beendet | |
| Im Spiel ist es eine einfache Mechanik: Diese Aufständischen greifen die | |
| Spieler an, also müssen sie sich wehren. Videospiele brauchen solche | |
| Mechanismen. Der Sieg steckt hinter einem überwundenen Hindernis. | |
| Videospiele brauchen Gegner. Sind die Gegner tot, ist die Mission erfüllt. | |
| Weiter geht’s. | |
| In „Ghost Recon: Wildlands“, erschienen im März 2017, gehen die Spieler | |
| gegen Drogenbanden in Bolivien vor. Die Spielfläche, die den Landstrich | |
| detailgetreu wiedergibt, hat das Entwicklerstudio Ubisoft viel Geld | |
| gekostet. Denn grafische Details sind in Videospielen noch immer das | |
| Wichtigste. Dass die zumeist aus People of Color bestehenden Gegner nur | |
| eine „Böse Drogendealer“-Schablone darstellen, fällt weniger ins Gewicht. | |
| Eine virtuelle Fortsetzung einer „War on Drugs“-Politik der USA. Besiegt, | |
| Problem gelöst, Spiel beendet. | |
| Die Reihe „Call of Duty“ wiederum macht die Spieler zu Mitgliedern von | |
| Spezialeinheiten, die gegen Terroristen kämpfen müssen. Diese leben oftmals | |
| in namenlosen Ländern irgendwo im Nahen Osten. Die Menschen werden als arm, | |
| unzivilisiert und vor allem gewalttätig dargestellt. Dass der neueste Teil | |
| der Reihe im Zweiten Weltkrieg angesiedelt sein wird, wirkt da auf | |
| bedenkliche Weise erfrischend. | |
| Der Protagonist Diederich Heßling aus Heinrich Manns „Untertan“ ist sich | |
| sicher, dass er stets richtig handelt. Wenn er ausgrenzt, diffamiert oder | |
| anschwärzt, handelt er in freudiger Gewissheit, dass die Obrigkeit genau | |
| dies von ihm verlangt. Er stellt das System niemals infrage. Videospiele | |
| machen die Spieler zu Untertanen. Sie haben sich dem Ziel des Spiels | |
| unterzuordnen. Sie bewegen sich in einem System, das Gut und Böse, Gegner | |
| und Verbündete festlegt. Besonders sogenannte realistische Spiele | |
| konstruieren Gesellschaften, die unseren ähnlich sein sollen – stellen sie | |
| jedoch nicht in ihrer ganzen Komplexität dar. | |
| ## Die Gegner sind die Anderen | |
| Die Spieler sind Teil der ordnenden Macht, sie dienen dieser. Die Gegner | |
| nicht – und genau darum sind sie Gegner: Die Gegner sind die Anderen, sie | |
| sind die, die das System nicht braucht. Die Spieler sollen nicht zweifeln. | |
| Wenn sie zweifeln, funktioniert das Spiel nicht mehr. Und überhaupt: Wie | |
| sollten Spieler mit Begeisterung siegen, wenn die namenlosen Gegner | |
| plötzlich eine Geschichte hätten? | |
| Heinrich Mann hat in seinem „Untertan“ eine klare Position eingenommen. Es | |
| galt, die Obrigkeitshörigkeit der Deutschen bloßzustellen. Eine so klare | |
| Position müssten Videospiele in ihrem Erzählen freilich nicht einnehmen. | |
| Aber wenn sie den Spielern die Möglichkeit gäben, sich selbst zu | |
| positionieren? Da, wo „Der Untertan“ Mechanismen der Macht bloßlegt, werden | |
| Videospiele eher von ihren Spielmechanismen eingeschränkt. Anstatt immer | |
| wieder diesen Skripten zu folgen, könnten Spiele versuchen, sie zu | |
| durchbrechen. Oder sie im Spiel selbst erlebbar zu machen: Wie entstehen | |
| Feindbilder? Wessen Definition von Gut und Böse sollte man überhaupt | |
| trauen? | |
| Einige Spiele tun das schon. „This War of Mine“ (2014) etwa lässt Spieler | |
| statt zum Soldaten zum Zivilisten in einem Krieg werden. Es geht um das | |
| blanke Überleben in einer zerschossenen Stadt. „Spec Ops: The Line“(2012) | |
| wiederum stellt die Spieler immer wieder vor Fragen. Ihnen wird die | |
| Kontrolle entzogen, sie müssen sich die Perversität des Krieges plötzlich | |
| machtlos anschauen. Doch diese Beispiele sind noch immer die absolute | |
| Ausnahme. Meist bewegen sie sich im Indie-Bereich, der weitaus weniger | |
| Spieler erreicht als die großen Kassenschlager. | |
| Und so ist auch der Schock über „Far Cry 5“ zu erklären. Viele Spieler | |
| kennen nur ein bestimmtes Gegnerbild. Handelt es sich jedoch um christliche | |
| Extremisten, könnten sich die Spieler plötzlich selbst im Gegner | |
| wiedererkennen. Um das zu verhindern, müssen die Gegner im weitesten Sinne | |
| „fremd“ und „anders“ sein. Entmenschlicht, damit es nicht schmerzt, wenn | |
| sie irgendwann tot am Boden liegen. Denn wenn das Spiel eine gute | |
| Physik-Engine hat, dann bewegen sich die Toten äußerst realistisch, wenn | |
| die Spieler sie treten. | |
| 30 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Kreienbrink | |
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