# taz.de -- Videospiel „Far Cry Primal“: Wo die wilden Mädels wohnen | |
> Der neue Teil der „Far Cry“-Reihe führt SpielerInnen durch die Steinzeit. | |
> Männer und Frauen sind vor allem eines: Partner im Kampf ums Überleben. | |
Bild: „Far Cry Primal“: Jäger_innen in der Steinzeit | |
Frauen gehören an den Herd, Männer auf die Arbeit. Das sei schon seit | |
Urzeiten so, ist immer noch häufig zu hören, etwa wenn Antifeministen | |
Gender Mainstreaming beklagen. Befürworter des klassischen Rollenmodells | |
stützen die angebliche Natürlichkeit vom Mann als Ernährer und der Frau als | |
Nesthüterin gerne mit der Theorie der urzeitlichen Aufgabenteilung. Dabei | |
fußt diese Vorstellung weniger auf Fakten als vielmehr auf Wunschdenken. | |
Wie es tatsächlich zuging, über einen Zeitraum von mehreren Millionen | |
Jahren, ist faktisch nicht zu belegen. Umso interessanter ist daher, wie | |
sich Videospiel-Schaffende mit dem Thema auseinandersetzen – so wie im | |
neuen „Far Cry Primal“. | |
Die „Far Cry“-Reihe ging vor zwölf Jahren an den Start, damals noch aus der | |
Feder der Coburger Entwickler Crytek. Die Geschichte lehnte lose an H. G. | |
Wells „Insel des Dr. Moreau“ an. Später haben die französischen | |
Spieleentwickler von Ubisoft die Reihe fortgesetzt. | |
Typische Merkmale sind ein verunglückter Protagonist, der in einer offenen | |
Spielewelt hinter dicken Wummen die Freiheit sucht und vom Beobachter zum | |
Teilnehmer wird. Dabei erzählt jeder Teil eine eigene Geschichte – der | |
vierte kritisierte gar die Besetzung Tibets, zeigte aber zugleich, dass im | |
Buddhismus auch nicht alles eitel Sonnenschein ist. Die Handlung machte die | |
Kolonialismuskritik deutlich, musste sich aber auch den Vorwurf des | |
Rassismus gefallen lassen, denn der Topos des edlen Wilden war | |
unverkennbar. | |
## Das Leben ist eine Knochenmühle | |
Der fünfte Teil geht bis in die Mittelsteinzeit zurück. Und in der ist das | |
Leben eine Knochenmühle. In Zentraleuropa wird es mit Ende der Eiszeit | |
wärmer und die Waldflächen nehmen zu. Zwischen Bäumen und Farnen verstecken | |
sich jede Menge gefährliche Räuber. Diese können SpielerInnen entsprechend | |
der Epoche mit Speeren, Keilen und Pfeil und Bogen abwehren. | |
„Far Cry Primal“ setzt ganz auf Urzeit. Zu der Auseinandersetzung mit | |
Naturgewalten kommen Konflikte mit fremden Stämmen. Der Malus an Feuerkraft | |
ist hierbei genau das, was das Genre brauchte. Wenn man nicht einfach mit | |
dem MG draufhalten kann, wird auch ein einzelner Wolf zur ultimativen | |
Bedrohung. Eines jedoch fällt schon in den ersten Minuten auf: Frauen | |
hocken nicht nur in der Höhle und windeln den Nachwuchs. | |
Wenn es im Prolog einem Mammut an den Kragen geht, ist eine Frau Teil der | |
Jagdgemeinschaft. Sie ist ebenso bewaffnet wie ihre männlichen Gefährten – | |
und genauso schnell Raubtierfutter. Etwas später ist eine Waffenbauerin zu | |
sehen. Ubisoft bricht in „Far Cry Primal“ mit der seit Jahrhunderten als | |
gesichert geltenden Vorstellung urzeitlicher Aufgabenteilung und trägt | |
damit neuen wissenschaftlichen Denkanstößen der vergangenen Jahre Rechnung. | |
Besonders eindringlich wurde in dieser Hinsicht eine Ausstellung, die 2015 | |
im Archäologischen Museum Colombischlössle in Freiburg zu sehen war. Thema | |
von „Ich Mann. Du Frau.“: Wie lebten Männer und Frauen in der Urzeit | |
wirklich? | |
Helena Pastor, eine von zwei Direktorinnen des Museums, präzisiert: „Gerade | |
aus der Altsteinzeit existieren kaum Fundstellen. Und über einen so langen | |
Zeitraum bleiben auch nur bestimmte Materialien erhalten. Viele | |
Erkenntnisse der Urzeitforschung sind daher immer auch eine Frage der | |
Deutung.“ Und die haben über Jahrhunderte Männer vorgenommen. | |
## Vorstellung bürgerlicher Geschlechterrollen | |
Als Archäologen im 19. Jahrhundert die Steinzeit das erste Mal genauer | |
unter die Lupe nahmen, sahen sie in den wenigen Funden ihre Vorstellung | |
bürgerlicher Geschlechterrollen bestätigt. Berichte von Ethnologen dieser | |
Zeit, die bei Naturvölkern beobachteten, wie Männer und Frauen gemeinsam | |
jagen, blieben unbeachtet. „Die Urgeschichte ist ein dankbares Feld für | |
diese Form der Legitimation, weil die Annahmen nicht widerlegt werden | |
können“, führt Pastor aus. | |
Dieses System der stillen Normierung wirkt wechselseitig. Wir nehmen an, in | |
der Urzeit den Ursprung der Geschlechterverhältnisse gefunden zu haben – | |
und nehmen diese Prägung mit in die Forschung, die wiederum die Annahme | |
bestätigt. Im Begleitband zur Freiburger Ausstellung nennt Brigitte Röder, | |
Professorin für Ur- und Frühgeschichte und provinzialrömische Archäologie | |
an der Universität Basel, es das „kulturelle Gepäck: das Konzept des | |
zeitgenössischen Geschlechter- und Familienmodells, das angehende | |
ArchäologInnen mitbringen, wenn sie ihr Studium beginnen.“ | |
Dieses Gepäck wird bereits in der Kindheit geschnürt, etwa in Schulbüchern, | |
die immer dieselben Rekonstruktionsdarstellungen der Steinzeit zeigen: | |
Frauen in der Höhle, Männer bei der Jagd. Ist mal ein Mann in der Höhle zu | |
sehen, bemalt er die Wände – schließlich hat er selbst die auf Fels | |
gekritzelten Jagdszenen miterlebt. Der Handabdruck unter der Malerei gilt | |
dabei als Signatur. Neuere Vermessungen der Handabdrücke haben jedoch | |
ergeben, dass diese zum Großteil von Frauen stammen. | |
„Es ist vorstellbar, dass nicht nur die Handabdrücke, sondern auch die | |
Tierzeichnungen und Jagdszenen von Frauen gemalt wurden. Die | |
naturalistische Natur der Tiere, die korrekten Proportionen, die Anatomie | |
usw. legen aber nahe, dass es sich hier um Augenzeugendokumente handelt. | |
Frauen könnten durchaus an der Jagd teilgenommen haben“, erklärt Helena | |
Pastor. | |
Einer Frau die Jagd zu verweigern, obwohl sie ein scharfes Sehvermögen hat | |
und begabt im Umgang mit Pfeil und Bogen ist, wäre strategisch auch | |
unvernünftig gewesen. „Ich persönlich kann mir Gruppenstrukturen | |
vorstellen, bei denen jüngere, belastbare Gruppenmitglieder auf die Jagd | |
gingen, während ältere, kranke oder verletzte Mitglieder sich um den | |
Nachwuchs kümmerten oder Beeren sammelten. Das Kriterium für die Verteilung | |
von Aufgaben war wahrscheinlich Eignung und Begabung, nicht das | |
Geschlecht“, so Pastor weiter. | |
## Spielerisch herausragend | |
Umso erfreulicher, dass Ubisoft vom Zerrbild prähistorischer | |
Sozialverhältnisse abgewichen ist. Eine zentrale Figur der Handlung, Jayma, | |
tritt als erfahrene und respektierte Jägerin des Stammes auf. Von Narben | |
gezeichnet, führt sie jüngere männliche Jäger an, die von ihr lernen | |
wollen. Leider fehlte den Entwicklern der Mut, endlich einmal die | |
steuerbare Hauptfigur Frau sein zu lassen. Dabei führen Titel wie „Tomb | |
Raider“ oder der Shooter „Destiny“ vor, dass auch weibliche | |
Pistolenschwinger den Schurken das Fürchten lehren können. | |
Spielerisch liefert „Far Cry Primal“ herausragendes: Die Landschaft von | |
Oros zeigt nicht nur eine überzeugende Flora und eine vitale Fauna. Auch | |
Lichteffekte, Naturklänge und die eigens entwickelte Sprache, es gibt keine | |
Vertonung ins Englische oder Deutsche, tragen zum Eintauchen in die | |
Spielewelt bei. Diese in der Urzeit anzusiedeln ist für Ubisoft nicht ohne | |
Risiko: Ob die SpielerInnen den neuen Ansatz und den Verzicht auf die | |
klassischen Problemlöser, Kimme und Korn, akzeptieren, bleibt abzuwarten. | |
Der Versuch einer neuen Perspektive nicht nur auf das alte Gaming-Modell | |
des Ego-Shooters, sondern peripher auch auf die Vorstellung urzeitlicher | |
Geschlechtermodelle ist jedoch ein wichtiges Novum. Bürgerliche Ordnung | |
sucht man in dieser Steinzeit zumindest vergeblich. | |
28 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Pepe Delabar | |
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Schwerpunkt Rassismus | |
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