Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regionale Lebensmittel: Einkaufen bei Hofe
> 2016 kauften 14,6 Millionen Deutsche ihre Lebensmittel direkt beim
> Erzeuger. Viele Kunden schätzen die Nähe zum Landwirt.
Bild: Weidende Milchkühe, zufriedene Hühner: das Bio-Hof-Idyll boomt
Thedinghausen/Aachen taz | Es ist lichthell, angenehm kühl, und es duftet
erdig. Holz dominiert die Auslagen. Am nördlichen Stadtrand von Aachen
liegt Bonnies Hofladen „Frisch vom Erzeuger“ und lockt seit 1995 mit
Gemüsen, Salaten, Obst, einer vollen Käse- und Fleischtheke und Regalen
mit Marmeladen, Wein, fertigen Sülzen, Erdbeersecco, Setzlingen, Blumen. Es
gibt „faire Weidemilch“ und eine Tiefkühltruhe mit nostalgisch verpacktem
„Bauerneis aus den Niederlanden“. Blickfang sind die dicken weißen
Gänseeier.
„Noch ein Papier drum?“, fragt Marion Haarseim an der Kasse, „Erdbeeren
leider erst morgen früh wieder.“ Freundlich ist die 61-Jährige und für ein
Schwätzchen zu haben. Ihr halbes Leben habe sie hier eingekauft, erzählt
sie, jetzt wechsle sie an zwei Nachmittagen die Woche die Seite, mit
Leidenschaft. „Einkaufen soll Spaß machen. Hier haben wir Zeit. Und die
Leute wissen, dass man auch mal einen Moment warten muss, wenn es voll
ist.“
Auch die Kunden suchen das Gespräch, manchmal mit Rezepten und
Verzehrtipps: „Ich würde die Mairübchen in Butter kurz andünsten“– „…
sie lieber knackig roh …“ Eine Kundin meint: „Es ist ein bisschen heile
Welt hier. Mehr mit Muße.“ Keine Massenware, keine Plastikverpackungen,
keine Cent-Preise mit der albernen 9 hinten. Stattdessen kann sich – wer
hier einkauft – mit der Region verbunden fühlen.
Marion Haarseim erzählt von alten Leuten, die nur wegen des Hühnereintopfs
mit Eierstich im Einmachglas kommen. Eine andere Kundin sagt: „Ich mag die
ruhige Art hier im Hofladen. Die Auswahl ist viel größer als auf dem
Wochenmarkt. Und frischer geht’s ja nicht.“ Das stimmt, jedenfalls für die
Ware, die tatsächlich vom Hof kommt. Jetzt im Frühsommer ist es nur ein
Bruchteil. Immerhin ist die Herkunft der Lebensmittel genau angegeben,
anders als auf Wochenmärkten.
## Feinkost statt Fabrikware
Hof klingt so authentisch, so ursprünglich und gesund. Hof als Gegenteil
von Fabrik. In Hofläden gibt es, ob bio oder konventionell: Hofeier,
Hofbutter, Hofsahne, Hofmilch. Käse vom Hof hat sogar eine eigene Website:
hofkaese.de. Dabei bedeutet das Präfix Hof so viel wie Bäcker in
Bäckerbrötchen oder Metzger in Metzgerwurst, also nichts. Nichts über
Qualität, Geschmack, Chemieeinsatz, Tierhaltung. Die Hof-Zuschreibungen
wollen demonstrieren: Dieses Produkt ist von hier, Hausmacher-Feinkost
statt Lebensmittelindustrie. Im Selfkant, dem westlichsten Zipfel des
Landes bei Mönchengladbach, heißt die regionale Milch vom Bauern
konsequenterweise Zipfelmilch.
Hofläden boomen. Etwa 40.000 bis 50.000 Bauernhöfe setzen ihre Produkte zum
Teil ohne Zwischenhändler ab, auf Wochenmärkten und/oder auf dem Hof.
Einige tausend dieser Direktvermarkter (NRW: 1.396 laut
Landwirtschaftsministeriums) haben einen eigenen Laden. 2016 kauften 14,6
Millionen Deutsche Lebensmittel direkt beim Erzeuger; Tendenz weiter leicht
steigend. Längst darf man von einer Hofladenkultur sprechen.
## Sehnsucht nach Landwirten
In einer empirischen Analyse des Departments für Agrarökonomie an der Uni
Göttingen hieß es schon 2006, es gebe ein „Bedürfnis nach mehr Nähe zum
Ursprung der Lebensmittelerzeugung“. Landwirte als Person würden gern „als
sympathisch, vertrauenswürdig, aber auch etwas altmodisch aufgefasst“.
Schon „die physische Präsenz des Landwirts“ wirke „als
Qualitätsversprechen“.
Der Bio-Hof von Johanna Böse-Hartje in Thedinghausen bei Bremen ist so ein
Idyllversprechen: Großes Hofensemble, mächtige Eichen davor, darunter
überdachte Biertische und -bänke, ein matschiger also naturbelassener
Vorplatz. Dahinter die weiten offenen Ställe der Rinder, die für
Backgroundsound sorgen und höfischen Duft. Mal läuft ein aufgeregtes Huhn
diagonal über den Hof, dann fährt ein Trecker um die Ecke. „Kuhten Tag“
grüßt ein Schild.
Johanna Böse-Hartje, 63, die Eigentümerin des Bioland-Anwesens, führt
herum. Die 600 Hühner, untergebracht in schicken Hühner-Mobilen, „sind
unsere Antwort auf die Massentierhaltung“. Für 40 Cent „reißen sich die
Leute um die Eier“. Im Laden: Kühlschrank, Gemüseauslagen, mittig die Theke
für die eigenen Rinderprodukte. Alles bio. Neben dem Hofladen steht ein
Edelstahltank, Aufschrift „Milch selber zapfen“, 80 Cent der Liter. Der
„RegioMat“ daneben ist ein mechanischer Hofladen mit 24-Stunden-Service für
Käse, Eier, Wurst, eigene Rouladen.
Einmal im Monat findet hier zusammen mit anderen Biobauern der
Öko-Regio-Markt statt. Viele hundert Kunden kommen jedes Mal. Sonntags
öffnet zudem das Hofcafé mit selbst gebackenen Kuchen. „Da hat man Muße,
auch miteinander zu reden und nicht nur einzukaufen“, sagt die Hofchefin.
Was die Leute an Orten wie ihrem so lieben außer der Bioqualität? „Man kann
das schon Sehnsuchtsort nennen. Ein Stück heile Welt. Viele Stammkunden
kennen sich wie eine Großfamilie.“ Und wahrscheinlich sei der Einkauf auch
„Genugtuung fürs Gewissen“. Es gibt auch Hofläden, die sich selbst als
„Sehnsuchtsort“ beschreiben – und dann kann man dort nur online bestellen.
Hauptsache: Hofladen. Ein Sehnsuchtsbegriff. Landlust für den Magen.
Dr. med. Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an
der Uni Göttingen, sagt, Ernährung sei auch Distinktionsmerkmal. „Immer
häufiger geht es um Selbstinszenierung und Zugehörigkeit. So kann ich mich
selbst definieren, mich in einer bestimmten Haltung sehen und zeigen. Ich
kann mich zugehörig fühlen, zugleich von anderen absetzen und damit
Individualität generieren.“ Die richtige Nahrung stelle „sozialen Kitt da�…
Bei Johanna Böse-Hartje macht die Direktvermarktung immerhin 15 Prozent des
Hofumsatzes aus. „Irgendwo nur meine Sachen abzuliefern wäre mir zu
wenig. So viel Resonanz und Kontakte, das ist unbezahlbar.“ Bei ihr gibt es
auch gern eine kleine Dröhnung Weltanschauung obendrauf: „Aber zur Demo
nächsten Monat nach Berlin, da kommt ihr doch mit?!“, solche Sachen sage
sie oft, erklärt Böse-Hartje. „Ich mache allen bei jeder Gelegenheit klar,
dass sie Mitverantwortung tragen.“ Die Kunden seien sehr unterschiedlich:
„Wir beobachten hier auch zunehmend Leute, die genau gucken müssen, wie sie
mit ihrem Geld klarkommen. Aber vernünftige Produkte sind es ihnen wert.“
Bei anderen sei „Biohof-Einkauf auch Statussymbol“: Sie höre oft nur, wie
sie „mit ihren ganz schön lauten Geschossen“ vorgefahren kommen. SUVs meint
sie.
Verbände befeuern die segensreiche PR-Wirkung von Hofläden. Die
Landwirtschaftskammer Niedersachsen schreibt: „Die Gemeinschaftswerbung
Einkaufen auf dem Bauernhof ist darauf angelegt, ein markantes Profil zu
vermitteln, mit dem sich Direktvermarkter von allen übrigen Einkaufsstätten
eindeutig unterscheiden.“ Empfehlung für Kunden: „Entfliehen Sie damit der
Globalisierung.“ Beim Lieferservice, sagt ein Berater des größten Ökolabels
Bioland, solle man besser keine Dritten beauftragen. „Vielen ist wichtig,
dass der Lieferant selbst Landwirt oder Gärtner ist. Das schätzen die
Abonnenten und bringen dem Vertrauen entgegen.“
Im Netz buhlen Plattformen wie landservice.de, mein-bauernhof.de und
dein-bauernladen.de um Kundschaft. Sie preisen erntefrische regionale
Produkte, dazu kurze Lieferwege. Wobei: Geliefert wird ja gar nicht. Der
Rest sind Worthülsen: „Hofläden bieten eine ganz andere Qualität an
Fleisch- und Wursterzeugnissen. Gönne Dir den Luxus! Kaufe frisches Obst
und Gemüse beim Erzeuger Deiner Wahl.“ In gleich zwei wissenschaftlichen
Arbeiten findet sich wortgleich der Satz: „Bauernhofimage kann zu
Preiserhöhungen genutzt werden.“
## Erlebniswelt Hofladen
Neben der Direktvermarktung bieten Hofläden manchmal eine eigene
Erlebniswelt: Eis- oder Hofcafé, Feldtage, Kräuterwanderungen und
Strohballenkino, Schnittblumenfelder, Erlebnisbauernhof, Vinothek, einmal
sogar eine „Bio-Schweinothek“. Bei Höfen wie dem von Böse-Hartje kommt no…
Fortbildung dazu. Die Infonachmittage über Öko-Landbau „für Kinder und
Jugendliche von der Kita bis zum Leistungskurs Biologie“ seien „sehr
begehrt“, sagt Johanna Böse-Hartje, immer öfter würde ihr Anwesen auch für
Geburtstage oder Konfirmationsfeiern gebucht.
Beliebt sind auch Selbsterntegärten wie bei Bonnies in Aachen mit ein paar
tausend Quadratmetern gegenüber dem Hofladen, zugeschnitten auf
Stadtmenschen ohne eigenen Garten. Die 28-jährige Sportlehrerin Isabelle
ist mit ihrem anderthalb Jahre alten Sohn Theo gerade hier. Im Hofladen
kauft sie noch etwas Gemüse, „und die Erdbeeren essen wir jetzt beim
Unkrautjäten.“ 45 Quadratmeter hat sie saisongepachtet, Kosten 190 Euro,
vorgesäht mit Erbsen, Hokkaido, Mangold, Feldsalat, Kartoffeln. Im
Winterhalbjahr gebe es wöchentlich die Biokiste vom Ökohof ein paar
Kilometer weiter, im Sommer dominiert Selbstversorgung: „Das ist toll mit
Kind, so sieht er, wo alles herkommt.“ Sie selbst stamme vom Dorf. „Das
passt. Hier ist es ein bisschen wie früher.“ Dann jätet sie. Sohn Theo
gießt derweil mit seiner Minigießkanne die Beete – tropfenweise.
25 Jun 2017
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Landwirtschaft
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Lidl
Bauernverband
Bremen
Grüne
Bio
Genossenschaft
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ökomarke beim Discounter: Bioland gibt Lidl sein Siegel
Lidl verkauft bald Milch von Biobauernverband-Mitgliedern. Fachhändler
kritisieren, dass die Ware weiter umweltschädlich erzeugt wird.
Bauernverband gibt Widerstand auf: Durchbruch für neues Fleischsiegel
Nun schlägt auch der Bauernverband vor, Fleisch danach zu kennzeichnen, wie
das Tier gehalten wurde. Tierschützer begrüßen das.
Modellversuch in Bremens Kitas: Bio-Essen zum Tiefpreis
Ökologische Ernährung in Kindertagesstätten muss nicht teuer sein. Für bis
zu 15 Prozent finanziellem Mehraufwand ist sie möglich.
Kommentar Grüne und Tierwohl: Richtiges Thema, richtige Lösung
Die Grünen wollen den Ausstieg aus der sogenannten Massentierhaltung
durchsetzen. Der ist längst überfällig – auch im Sinne der Verbraucher.
Nachfolgeproblematik in der Biobranche: Mehr Geld, weniger Transparenz
Die Gründer vieler Ökofirmen sind im Rentenalter. Für die Nachfolge
interessieren sich globale Unternehmen – die oft wenig transparent
arbeiten.
Rettung von Öko-Äckern: Landgrabbing für die Guten
Eine Genossenschaft kauft Grundstücke für Biobauern, um die Bodenqualität
zu retten. Lokale Landwirte kritisieren das Konzept.
Tierschutz in der Landwirtschaft: Tierhimmel gegen Hühnerhölle
Agrarfirmen zerstören die Umwelt und quälen Tiere. Da helfen nur mehr
kleine Biohöfe. Ist es so einfach? Wir sind der Sache nachgegangen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.