| # taz.de -- Whisteblower und Quellenschutz: Geheimnishüter der Leaks | |
| > Kleinste Details in geleaktem Material können Informanten entlarven. Das | |
| > bedeutet eine große Herausforderung für Journalisten. | |
| Bild: Um den Informanten zu schützen, hat Greenpeace die Dokumente komplett ne… | |
| Vor gut einem Jahr wurden Greenpeace 248 Seiten zugespielt – streng geheim | |
| und hochaktuell. Es handelte sich um den Verhandlungsstand des geplanten | |
| transatlantischen Handelsabkommens TTIP. Die Umweltfans wollten die | |
| Unterlagen schnellstmöglich an die Öffentlichkeit leaken, doch ohne dass | |
| dabei Rückschlüsse auf Zuträger hinterlassen werden. Eine Herausforderung, | |
| vor der Manfred Redelfs, Leiter der deutschen Recherche-Abteilung von | |
| Greenpeace, stand. | |
| „Der Quellenschutz war unsere allergrößte Sorge“, erinnert sich Redelfs. | |
| Die Organisation hätte die Dokumente einfach als Scans ins Netz stellen | |
| können. Das wäre der schnellste und für alle Beteiligten auch bequemste Weg | |
| gewesen. | |
| „Uns war aber klar: Die Verhandlungspartner – die Europäische Kommission | |
| und die Regierung der USA – hatten ein massives Interesse, mögliche Leaks | |
| schnell ausfindig zu machen“, sagt Redelfs. „Die Wahrscheinlichkeit, dass | |
| die Dokumente markiert waren, war also extrem hoch.“ | |
| Wie perfide und vor allem weit verbreitet solche Markierungen sind, weiß | |
| die Öffentlichkeit nun spätestens, seit US-Bürgerin Reality Winner | |
| festgenommen wurde. Die ehemalige Mitarbeiterin der US-Luftwaffe soll – als | |
| sie für ein Unternehmen im Auftrag des Inlandsgeheimdienstes NSA gearbeitet | |
| hat – ein streng geheimes Dokument über mutmaßliche Cyberangriffe aus | |
| Russland kopiert und schließlich [1][Journalisten zugespielt haben]. Das | |
| Portal The Intercept hat die Unterlage veröffentlicht – [2][in Gänze als | |
| digitale Kopie]. | |
| Auf die Schliche gekommen sein sollen die Ermittler der Informantin über | |
| Markierungen, die viele handelsübliche Farbkopierer und -drucker auf allen | |
| Papieren hinterlassen. Egal ob in Behörden, Unternehmen oder auch zu Hause: | |
| Kleine und mit bloßem Auge nahezu nicht erkennbare gelbe Punkte, die | |
| kodiert die Seriennummer des Geräts verraten und auch Tag und Uhrzeit des | |
| Kopier- oder Druckvorgangs. Wenn Unternehmen oder Behörden dann noch | |
| erfassen, wer wann und wo etwas ausgedruckt hat – voilà! | |
| ## Ein dramatischer handwerklicher Fehler | |
| „Es liegt natürlich im Interesse der Sicherheitsbehörden, dass über diese | |
| Technik nicht breit diskutiert wird“, sagt Redelfs. Der Rechercheur, der | |
| sich auch in der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche engagiert, hat | |
| allerdings schon vor etlichen Jahren auf einer Fortbildung in den USA von | |
| diesem Phänomen erfahren. „Wir waren damit auch für unsere TTIP-Leaks | |
| sensibilisiert, doch in Deutschland ist mir das auf den | |
| Journalisten-Trainings, die ich selbst besucht habe, bisher noch nicht | |
| untergekommen.“ | |
| Auf dem Jahrestreffen des Netzwerk Recherche am vergangenen Wochenende war | |
| die Empörung über den Vorgang in den USA allerdings groß. Von einer | |
| „Katastrophe“ sprach etwa Spiegel-Journalist Rafael Buschmann, der auf den | |
| „Football Leaks“-Dokumenten sitzt. „Wenn es so sein sollte, dass The | |
| Intercept ein Dokument veröffentlicht hat, auf dem man ein Wasserzeichen | |
| erkennen kann, dann ist das eigentlich der schlimmste Vorwurf nach direkter | |
| Quellenverbrennung, den man investigativen Journalisten machen kann.“ | |
| Buschmanns Kollege Holger Stark, der für das Magazin zuletzt in Washington | |
| war und nun die Investigation bei der Zeit ausbaut, wunderte sich | |
| ebenfalls: „Jeder, der sich mit dieser Materie auskennt, weiß, dass | |
| Dokumente forensische Stempel haben.“ Der aktuelle Fall sieht für ihn nach | |
| einem „dramatischen handwerklichen Fehler“ aus, der ihn vor allem | |
| irritiert, weil hinter The Intercept Glen Greenwald steckt – ausgerechnet | |
| der Journalist, an den sich NSA-Whistleblower Edward Snowden gewandt hatte. | |
| Greenwald hatte für diesen Kontakt mit Verschleierungs- und | |
| Verschlüsselungstechnologien gearbeitet. | |
| Buschmann und Stark üben sich in Zurückhaltung, wenn es darum geht, | |
| Dokumente ins Netz zu stellen – der Glaubwürdigkeitskrise zum Trotz. | |
| Buschmann sagt jedenfalls, er sei „von diesem Drang weit entfernt, in einer | |
| Transparenzoffensive alles vorzulegen“ – man könne zu leicht etwas | |
| übersehen und Informanten bloßstellen, von Kollateralschäden wie dem | |
| beiläufigen Veröffentlichen privater Daten von reinen Nebenfiguren völlig | |
| abgesehen. | |
| Stark hatte wiederum einst bei der Zusammenarbeit mit Wikileaks und | |
| Portalgründer Julian Assange rund um die Botschaftsdepeschen miterlebt, wie | |
| leichtfertig vor allem Aktivisten bisweilen beim Umgang mit geleaktem | |
| Material sind. „Assange war getrieben von dem Gedanken, die Authentizität | |
| des Materials steht über allem – egal welche Namen darin auftauchen“, | |
| erinnert sich der Journalist. „Wir haben damals argumentiert: Wenn ein Koch | |
| in Libyen auftaucht, der Gaddafi bekocht und gleichzeitig den Amerikanern | |
| Informationen weitergereicht hat, dann gefährdet das potenziell Leib und | |
| Leben.“ | |
| ## James-Bond-Allüren | |
| Dieses Risiko drohte bei den TTIP-Unterlagen gewiss nicht, die Greenpeace | |
| auf dem Tisch hatte. Für die Umweltschützer war aber ohnehin klar, dass sie | |
| die Papiere ins Netz stellen würden. „Wir hatten ja öffentlich die | |
| Geheimhaltung der Verhandlungen kritisiert“, sagt Greenpeace-Rechercheur | |
| Redelfs. „Man hätte uns mit Hohn und Spott überschüttet, wenn wir zwar auf | |
| den Dokumenten sitzen, sie aber zurückhalten würden.“ | |
| Das Ergebnis ist allerdings ein Kompromiss, denn um den Informanten – oder | |
| auch die Informantin – bestmöglich zu schützen, haben sich die | |
| Umweltschützer entschieden, die Dokumente komplett neu anzulegen. „Sehr | |
| auffällig“ seien laut Redelfs etwa Tippfehler gewesen, die teils auch erst | |
| auf den zweiten Blick zu erkennen waren: typografische Ungenauigkeiten wie | |
| ein kleines l statt einem großen I: l und I – je nach Schrifttype nahezu | |
| zum Verwechseln ähnlich, aber eben nicht für das trainierte Auge. | |
| Die Sorge: Jedes Exemplar der Originaldokumente könnte individuelle | |
| Tippfehler haben, damit bei einem Leak klar ist, wer es an die | |
| Öffentlichkeit „durchgestochen“ hat. Die Rechercheure haben deshalb alle | |
| Tippfehler korrigiert, in den Dokumenten aber auch die Zeilenumbrüche | |
| verändert. Außerdem haben sie die Papiere sprachlich vereinheitlicht. | |
| „Das Original war ein wilder Mix aus amerikanischem und britischem | |
| Englisch“, erinnert sich Redelfs. „Das kann natürlich daran liegen, dass | |
| die Verhandlungspartner auf beiden Seiten des Atlantiks saßen – es hätten | |
| aber genauso gut gezielte Markierungen gewesen sein können.“ | |
| Manch ein Kollege habe sich gefragt, welche James-Bond-Allüren die | |
| Umweltschützer da plötzlich entwickelt hätten. Außerdem habe diese | |
| komplette Überarbeitung der knapp 250 Seiten aus reinem Fließtext viel Zeit | |
| gefressen. „Der Druck ist natürlich hoch, man will damit ja auf den Markt | |
| kommen“, sagt Rechercheur Redelfs. „Wer seine Informanten schützen will, | |
| der muss das aber aushalten.“ | |
| 16 Jun 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Geleaktes-NSA-Dokument/!5416918 | |
| [2] https://theintercept.com/2017/06/05/top-secret-nsa-report-details-russian-h… | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bouhs | |
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