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# taz.de -- Aktion bei Anhörung von Jeff Sessions: Wenn Lachen eine Straftat i…
> Er sollte Trumps Justizminister werden. Bei Jeff Sessions' Anhörung
> räusperte sich eine Frau. Ihr droht nun eine Haftstrafe von einem Jahr.
Bild: Gern in Pink und mit Krönchen: die Mitglieder von Code Pink (Archivbild …
Washington taz | Wenn Desiree Fairooz lacht, sprudelt es aus ihr heraus.
Sie legt den Kopf in den Nacken, ihre silbrigen Locken tanzen auf den
Schultern, und um ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund bilden sich kleine
Falten.
Was sie am Morgen des 20. Januar hingegen tat, als sie in Washington auf
einem Zuschauerplatz im Russell-Gebäude des Senats saß, war etwas anderes:
Es klang wie ein missbilligendes zweisilbiges Räuspern, das aus ihrem Mund
drängte, als ein Senator aus Alabama den angehenden Justizminister Jeff
Sessions als „tolerant“ bezeichnete und mit den Worten pries: „Er behande…
alle Amerikaner gleich.“
Desiree Fairooz nennt ihre Reaktion „einen Reflex“. Für eine Frau, die ein
paar Plätze weiter saß, war es „kaum hörbar“. Wer das zweisilbige Räusp…
auf den Videoaufzeichnungen des Hearings heraushören will, muss sich
anstrengen. Doch die Polizistin, die Desiree Fairooz wenig später festnahm
und sie zusammen mit ihren Kollegen, die Gummihandschuhe trugen, aus dem
Saal drängte, nahm es anders wahr. „Es war ein sehr lautes Lachen“,
bezeugte sie vor Gericht.
Fünf Monate später könnte dieser Laut aus ihrem Mund Desiree Fairooz hinter
Gitter bringen. Bereits Anfang Mai ist sie von einem Geschworenengericht
der „Störung“ und „Unterbrechung“ des Senats für schuldig befunden wo…
Nur das Strafmaß steht noch nicht fest. Am 21. Juni soll der nächste
Gerichtstermin stattfinden. Bleibt es bei dem Schuldspruch, droht ihr bis
zu ein Jahr Gefängnis. Noch nie wurde ein Demonstrant in den USA für ein
Lachen derart bestraft.
## Lebende Freiheitsstatuen ganz in Rosa
Für Desiree Fairooz und mehr als zwanzig weitere Aktivisten der
Antikriegsgruppe Code Pink, die an jenem Tag aus dem Sessions Hearing
gedrängt und getragen wurden, war es nicht die erste Festnahme. Aber bis
dahin waren es eher „Mickymauseinsätze“, wie sie sagen. Sie führten
manchmal zur Identitätsfeststellung, seltener zu symbolischen Geldstrafen
bis zu 50 Dollar, noch seltener zu ein oder zwei Nächten hinter Gittern.
Aber bei dem Hearing von Jeff Sessions hatten sie nicht erwartet, dass
etwas passieren könnte.
In der Januarnacht vor dem Hearing hatten Fairooz und andere Aktivisten
sich bereits vor Sonnenaufgang an den Eingängen zum Russell-Gebäude
angestellt, um rechtzeitig hineinzukommen. Code Pink hatte entschieden,
dass Jeff Sessions ein besonders unerträglicher Kandidat für die neue
Regierung ist.
In seinen früheren Positionen im tiefen Süden hatte er daran gearbeitet,
das Wahlrecht für Afroamerikaner einzuschränken, hatte einen schwarzen
Anwalt im Ton eines Plantagenbesitzers als „Boy“ bezeichnet und hatte
gewitzelt, dass er Sympathie für den rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan
empfand, bis er erfuhr, dass dort gekifft wurde. 1986 war sein Ruf deshalb
so sehr ruiniert, dass er als Kandidat für das Amt eines Bundesrichters im
Senat scheiterte. Unter anderem sprach sich Coretta Scott King, die Witwe
des ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, damals gegen Jeff
Sessions aus. „Er schüchtert ältere schwarze Wähler ein“, schrieb King in
einem Brief an den Senat.
Wie üblich hatten die Aktivisten von Code Pink ihre Requisiten
zusammengefaltet und in Taschen und unter ihrer Kleidung versteckt: Die
Frauen hatten rosafarbene Kittel und Krönchen, die sie später aufsetzten,
um wie lebende Freiheitsstatuen im Saal zu sitzen. Die beiden Männer
brachten Zipfelmützen und Umhänge des Ku-Klux-Klan mit, die sie sich
überstülpten, um Sessions bei seiner Ankunft im Saal sarkastisch als einen
der Ihren zu begrüßen. „Du wirst für uns Weiße da sein“, riefen sie dem
angehenden Justizminister in Südstaatenenglisch zu.
Die beiden Männer waren die Ersten, die aus dem Saal getragen wurden. Eine
Dreiviertelstunde später traf es Desiree Fairooz. Weil die Regeln des
Senats politische Stellungnahmen während laufender Hearings verbieten,
hatte sie ihr mitgebrachtes Schild mit der Aufschrift „Unterstützt
Bürgerrechte. Stoppt Sessions“ längst zur Seite gelegt. Erst als sie aus
dem Saal gedrängt wurde, entfaltete sie es erneut. Das Schild und ihre
Rufe, „Warum werde ich festgenommen? Dieser Mann ist ein Übel! Stimmt nicht
für ihn!“, unterbrachen das Hearing für einen Moment. Auch das werteten die
Geschworenen später gegen sie.
## Martin Luther King, Nelson Mandela, Code Pink
Die historischen Vorbilder für den kreativen, oft theatralischen und
gewaltfreien Widerstand von Code Pink sind Gandhi, Martin Luther King,
Nelson Mandela. Aber Code Pink ist eine von Frauen organisierte Gruppe. Und
weder Demokraten noch Republikaner, weder Geheimdienstler noch Lobbyisten
sind vor ihr sicher.
Die Bewegung Code Pink, die sich im Jahr 2002 gründete, hat Überlebende von
Drohnenangriffen nach Washington eingeladen, hat gegen
Immobilienunternehmen, die Geschäfte mit illegalen Siedlungsbauten in
Palästina machen, demonstriert und hat sich mit bislang drei Präsidenten
angelegt. Gern wird die Gruppe unterschätzt. Das mag an den rosafarbenen
Theaterrequisiten und auch daran liegen, dass die radikalsten Aktionen von
älteren Frauen angeführt oder in Alleingängen durchgeführt werden.
„Wir haben die meiste Zeit und wir haben weniger zu verlieren, als die
Jungen“, erklärt die 65-jährige Medea Benjamin, eine der Gründerinnen von
Code Pink. Benjamin hat sowohl Präsident Barack Obama – wegen der
Situation der hungerstreikenden Gefangenen in Guantánamo – als auch
CIA-Chef John Brennan – wegen der Drohnenangriffe auf Zivilisten im Jemen –
mit Zwischenrufen zur Rede gestellt. Bei einer Rede des CIA-Chefs stemmte
sich die zierliche Frau im rosa Outfit, um mehr Redezeit zu gewinnen, mit
Händen und Füßen gegen einen Türrahmen, durch den die Ordner sie aus dem
Saal tragen wollten.
So wie Desiree Fairooz, die Frau mit dem illegalen Lachen, die erstmals von
sich reden machte, als sie im Oktober 2007 bei einem Hearing von Condoleeza
Rice im Kongress von ihrem Sitz sprang, nach vorne lief und ihre mit
falschem Blut beschmierten Hände ganz nah an den Kopf der damaligen
Außenministerin hielt. „Kriegsverbrecherin!“, rief sie, als sie aus dem
Saal getragen wurde.
## Der Irakkrieg rüttelte sie auf
Desiree Fairooz ist kein Gründungsmitglied von Code Pink. Bis Anfang des
letzten Jahrzehnts konzentrierte sie sich auf ihre Familie und die Arbeit
als Kinderbibliothekarin in Arlington, einem Vorort von Dallas. Dann
rüttelte der Krieg gegen den Irak sie auf. Sie wusste mehr über die
Geografie des Mittleren Ostens als die meisten ihrer Landsleute.
Schon als Kind hatte sie sich nicht ganz zugehörig und eher zu Leuten in
anderen Ländern hingezogen gefühlt. Als Studentin lebte sie ein Jahr in
Mexiko. Dann heiratete sie einen Mann aus Bahrain. Doch weder bei ihm noch
bei Nachbarn und Kollegen in Texas fand sie Verständnis für ihre Empörung
über den Irakkrieg. „Kaum jemand wollte sich weit aus dem Fenster lehnen“,
sagt sie. Ihr damaliger Mann befürchtete „Ressentiments gegen Immigranten“.
Dann stieß Desiree Fairooz zur ersten Kerzenwache ihres Lebens für
irakische Kriegsopfer. Und sie erfuhr von Cindy Sheehan, der Mutter eines
im Irak gefallenen US-Soldaten, die von Präsident George W. Bush wissen
wollte, wofür ihr Sohn gestorben sei. Im Sommer 2005 nahm Desiree Fairooz
eine Woche Urlaub von ihrer Bibliothek, um zu dem nach dem gefallenen Sohn
benannten Protestlager „Casey“ zu fahren, direkt vor Bushs Sommerresidenz.
Camp Casey änderte ihr Leben. Anfangs verkaufte Desiree Fairooz Cookies.
Dann lernte sie die Gründerinnen von Code Pink kennen, und ihre eigenen
Aktionen wurden mutiger. Nach ihrer Rückkehr verteilte sie
Entlassungsschreiben an republikanische Politiker in Texas, hängte
Antikriegstransparente an Hausfassaden und unternahm ihre ersten Reisen zu
Protesten in Washington. 2007 – da war ihre Ehe zu Ende und ihre beiden
Söhne waren erwachsen – zog sie ganz nach Washington um. Sie wurde die
„Hausmutter“ von Code Pink und übernahm die Leitung des Hauptsitzes der
Gruppe im Regierungsviertel Capitol Hill. Sie vermittelte Schlafplätze an
Aktivisten, organisierte Treffen und dachte sich Aktionen aus.
## Zulauf durch Trump
Die republikanischen Bundesstaaten wie Texas blieben auf der Linie des
US-Präsidenten Bush. Doch in den großen Städten an den Küsten blühte in
jenen Bush-Jahren die stärkste Antikriegsbewegung seit Vietnam. Desiree
Fairooz glaubte fest daran, dass der Irakkrieg bald zu Ende sein würde.
„Ich war naiv“, sagt sie.
Mit Präsident Barack Obama, den Code Pink im Wahlkampf unterstützt hatte,
sackte die Friedensbewegung wieder in sich zusammen. „Die Leute blieben zu
Hause, sie dachten, ihr Problem sei gelöst“, sagt Desiree Fairooz. Obama
reduzierte zwar die Präsenz von US-Bodentruppen, doch zugleich weitete er
den Drohnenkrieg auf sieben Länder aus. Trotzdem schrumpften bei Code Pink
die Zahl der Ortsgruppen von 300 auf nur noch 20 zusammen. Die Gruppe
musste ihr Haus in Washington aufgeben, Desiree Fairooz suchte sich wieder
einen Job als Bibliothekarin. Mehrere Jahre blieb sie radikalen Aktionen,
bei denen Festnahmen drohten, fern: „Am Morgen danach warteten doch die
Kinder in der Bibliothek auf mich.“
Nach Obama rechnete auch Code Pink mit einem Wahlsieg von Hillary Clinton
und stellte sich auf harte Auseinandersetzungen mit der „Falkin“ ein. Aber
es kam Donald Trump, der seine wenigen für Kriegsgegner positiven
Ankündigungen – darunter die Erklärung, die Nato sei überflüssig – bald
zurückzog und stattdessen eine Erhöhung des Militärhaushalts und das größte
Waffengeschäft der Geschichte mit Saudi-Arabien anbahnte. Mit Trump bekommt
auch Code Pink wieder Zulauf. „Die Leute ignorieren Kriege so lange, bis
jemand aus ihrem eigenen Umfeld getötet wird“, sagt Fairooz.
## Wer plant eine Festnahme?
Einen Tag nach dem Memorial Day, an dem Tausende Kriegsveteranen in die
US-Hauptstadt gekommen sind, um der Gefallenen zu gedenken, und an dem
Trump auf dem Kriegsgräberfriedhof von Arlington versprach, das Land werde
jene, die das „äußerste Opfer“ geben, „noch in tausend Jahren ehren“,…
Desiree Fairooz und einige Hundert Mitstreitende, darunter pazifistische
Veteranen, zu einer Antikriegsdemonstration nach Washington gekommen.
Desiree Fairooz ist neuerdings Rentnerin und wohnt mit ihrem neuen Freund –
„ein wunderbarer Mann“ – in Virginia auf dem Land. Sie und Lenny Bianchi
turteln wie frisch Verliebte. Gemeinsam halten sie vor dem Weißen Haus ein
Transparent mit der Aufschrift „Resist“ – Widerstehe – hoch. Immer wied…
gehen Demonstrierende, die aus allen Teilen der USA angereist sind, auf die
zwei zu und bedanken sich bei ihnen.
An jenem Januarmorgen, als die beiden in der Schlange vor dem Senat standen
und die übliche Code-Pink-Frage kam: „Wer plant eine Festnahme?“, meldeten
sie sich nicht. Sie dachten nicht, dass sie sich in den Augen der Justiz
anschickten, straffällig zu werden. Sie betrachteten ihre geplanten
Aktionen als von der Verfassung geschützte Meinungsäußerungen. Lenny
Bianchi, der bei dem Hearing als Ku-Klux-Klan-Mitglied auftrat, wurde im
selben Verfahren wie Desiree Fairooz ebenfalls für „schuldig“ befunden.
Auch ihm droht nun Gefängnis.
Eigentlich wollten die beiden nach Italien umziehen. Den Schatten, der nun
über ihrem Idyll hängt und den andere als Einschüchterungsversuch
verstehen, nennen sie „störend“.
17 Jun 2017
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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