# taz.de -- Urheberrecht in der Wissensgesellschaft: Der Kampf um das digitale … | |
> Verlage und die Union wollen verhindern, dass Dozierende Teile von | |
> Büchern lizenzfrei in ihren „digitalen Semesterapparat“ stellen können. | |
Bild: Laptop oder Buch? Viele Studierende greifen inzwischen eher digital auf d… | |
Karlsruhe taz | Seitenweise Texte lesen müssen StudentInnen auch im Jahr | |
2017. Nur noch selten nehmen sie dafür Bücher und Zeitschriften in die | |
Hand. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will daher die Nutzung | |
digitaler Semesterapparate an Universitäten vereinfachen. | |
Künftig sollen Lehrende den StudentInnen bis zu 15 Prozent eines Buches | |
online zur Verfügung stellen dürfen – ohne Verlage und AutorInnen fragen zu | |
müssen. Das sieht das geplante Gesetz über das Urheberrecht in der | |
Wissensgesellschaft (UrhWissG) vor. Als der Bundestag vorige Woche erstmals | |
darüber beriet, kam Kritik ausgerechnet vom Koalitionspartner CDU/CSU. | |
Eigentlich müssen RechteinhaberInnen gemäß Urheberrecht jeder Verwendung | |
ihrer Werke ausdrücklich zustimmen. Der Gesetzgeber kann aber Fälle | |
zulassen, bei denen das nicht erforderlich ist, etwa bei einer Kopie für | |
private Zwecke. Solche Ausnahmen nennt man „Schranken“ des Urheberrechts. | |
Bereits seit rund zwei Jahrzehnten wird über eine „Wissenschaftsschranke“ | |
diskutiert. Die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in | |
Hochschulen wäre dann generell lizenzfrei erlaubt. | |
Die heute geltende Regelung – der so genannte Wissenschaftsparagraf 52a – | |
stammt aus dem Jahr 2003 und wurde unter Rot-Grün in das | |
Urheberrechtsgesetz eingeführt. Danach dürfen „kleine Teile“ eines Werks | |
für einen „abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ online zugängli… | |
gemacht werden. | |
## Lizenzfreier Basiszugang | |
Was aber sind „kleine Teile“? Darüber wurde lange gestritten. Bis der | |
Bundesgerichtshof (BGH) einen Präzedenzfall vorgelegt bekam: Die Fern-Uni | |
Hagen hatte 4.000 KursteilnehmerInnen Teile des Buches „Meilensteine der | |
Psychologie“ online zur Verfügung gestellt. Es ging um 91 von 527 | |
Textseiten, also rund 17 Prozent des Buches. Der Alfred-Kröner-Verlag, in | |
dem der Sammelband erschienen ist, klagte auf Unterlassung. Das sei kein | |
„kleiner Teil“ des Werks. | |
Der BGH entschied 2013 in einem Grundsatzurteil: Als „kleine Teile“ können | |
maximal 12 Prozent eines Werks lizenzfrei genutzt werden. Zudem soll eine | |
absolute Obergrenze von 100 Seiten gelten, damit bei einem mehrbändigen | |
Werk nicht ganze Bände lizenzfrei genutzt werden können. Und schließlich | |
soll die lizenzfreie Nutzung nur dann möglich sein, wenn der Verlag kein | |
„angemessenes“ Angebot für eine E-Book-Lizenz gemacht hat. Für die | |
Angemessenheit des Angebots komme es, so der BGH, auf die Höhe der | |
Lizenzgebühr, die Auffindbarkeit des Angebots und seine einfache | |
Nutzbarkeit an. Wenn Maas’ Reform scheitert, wird diese Rechtslage | |
fortgelten. | |
Allerdings hat die Große Koalition 2013 in ihrem Koalitionsvertrag | |
angekündigt, sie werde eine „Bildungs- und Wissenschaftsschranke | |
einführen“. Was das bedeuten soll, präzisierte Justizminister Maas im | |
Februar 2017, als er einen Referentenentwurf für das UrhWissG präsentierte. | |
Dort war vorgesehen, dass bis zu 25 Prozent eines Buches ohne Lizenz in | |
elektronische Semesterapparate eingestellt werden dürfen. Im Gegenzug | |
müssen Unis – wie bisher – eine Vergütung an die Verwertungsgesellschaft | |
(VG) Wort zahlen, die diese dann an die RechteinhaberInnen verteilt. | |
Im April wurde Maas’ Vorschlag von der Bundesregierung gebilligt – mit | |
einer wichtigen Einschränkung. Jetzt sollen nur noch 15 Prozent eines | |
Buches lizenzfrei genutzt werden können. Auf den ersten Blick wirkt die | |
Verbesserung daher mickrig. 15 Prozent sind nur 3 Prozent mehr als die vom | |
BGH gewährten 12 Prozent. Die entscheidende Neuerung ist jedoch eine | |
andere: Der lizenzfreie Basiszugang soll auch dann gelten, wenn der Verlag | |
ein „angemessenes“ Lizenzangebot macht. | |
Und genau hier setzt die Kritik aus der CDU/CSU-Fraktion an, die die alte | |
Regelung behalten will: Immer wenn der Verlag ein angemessenes Angebot | |
macht, muss derzeit die Uni einen Vertrag mit dem Verlag schließen und kann | |
das Werk dann nicht lizenzfrei nutzen. Maas’ Vorschlag sei eine „Absage an | |
die freie Marktwirtschaft“ und könnte Verlagen und AutorInnen | |
wirtschaftlich ruinieren, so der CDU-Abgeordnete Stefan Heck. | |
## Alte Regelung lebensfremd | |
Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek konterte: Wenn es weiter einen Vorrang | |
der Lizenzangebote gebe, dann bleibe die bestehende Rechtsunsicherheit | |
bestehen, „weil niemand weiß, was denn ein ‚angemessenes‘ Angebot ist“. | |
Auch Minister Maas gibt sich kämpferisch: „Diese lebensfremde Regelung | |
schaffen wir ab.“ | |
Die Höhe der Vergütung regelt der Gesetzentwurf nicht. Vermutlich wird es | |
auf derzeit branchenübliche 0,8 Cent pro Seite und StudentIn hinauslaufen. | |
Wenn zum Beispiel 40 Seiten aus einem Buch für eine Vorlesung mit 150 | |
StudentInnen bereitgestellt werden, müsste die Uni 48 Euro an die VG Wort | |
bezahlen, wenn alle Studierenden das Angebot nutzen. | |
Eine detaillierte Einzelabrechnung („Wer hat auf wie viele Seiten des | |
Buches zugegriffen?“) wird im Gesetzentwurf allerdings nicht | |
vorgeschrieben. Die Verwaltung der Semesterapparate solle möglichst wenig | |
Arbeit machen, sonst würden die Dozierenden eher darauf verzichten. | |
## Ist die Existenz der Wissenschaftsverlage bedroht? | |
Das hatte auch ein Modellversuch an der Uni Osnabrück ergeben. Deshalb war | |
im vergangenen Dezember auch ein Rahmenvertrag zur Einzelabrechnung am | |
Widerstand der Unis gescheitert. Den Vertrag hatten VG Wort und die Länder | |
ausgehandelt. Im Gesetzentwurf der Regierung werden nun ausdrücklich auch | |
Pauschalzahlungen oder eine Berechnung anhand „repräsentativer Stichproben“ | |
zugelassen. | |
Ist nun aber wirklich die Existenz der Wissenschaftsverlage bedroht? Das | |
Justizministerium glaubt das nicht. Eine einfache und rechtssichere | |
Regelung werde vielmehr die Einnahmen, die über die VG Wort verteilt | |
werden, deutlich erhöhen. Doch selbst wenn damit ein Rückgang verkaufter | |
Bücher und Lizenzen kompensiert werden könnte, wird das die Verlage nicht | |
besänftigen. Denn nach aktueller BGH-Rechtsprechung stehen die | |
VG-Wort-Einnahmen ausschließlich den AutorInnen der Bücher zu. Diese können | |
allenfalls freiwillig etwas an ihre Verlage abgeben. | |
Die Bundesregierung will das Gesetz noch in dieser Wahlperiode | |
beschließen. Letzte reguläre Sitzungswoche ist Ende Juni. Im März 2018 soll | |
das Gesetz dann in Kraft treten. Nächster wichtiger Termin ist die Anhörung | |
im Rechtsausschuss am 29. Mai. | |
24 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Uni | |
Universität | |
Studierende | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | |
Innovation | |
Bundestag | |
Lehrer | |
Europa | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urheberrecht in Deutschland: Die „FAZ“ hat Archiv-Angst | |
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung bedrohe die „freie Presse“, schreibt | |
die Zeitung. Bei genauem Hinsehen überzeugen die Vorwürfe nicht. | |
Leitlinien des Hightech-Forums: Alter Wein in neuen Schläuchen | |
Das „Hightech-Forum“ der Bundesregierung stellte seine | |
innovationspolitischen Leitlinien vor. Dabei geht es auch um Akzeptanz für | |
neue Technologien. | |
Verbot von Kinderehen: Experten zerreißen Gesetzentwurf | |
„Man darf hier nicht alle über einen Kamm scheren“: Der Vorschlag aus dem | |
Justizministerium stößt bei einer Kommission auf heftige Kritik. | |
JunglehrerInnen im Referendariat: Und plötzlich sind da Schüler! | |
Nach dem Studium kämpfen sich angehende LehrerInnen durch das | |
Referendariat. Eine Doku zeigt, wie drei von ihnen nach ihrer Rolle suchen. | |
Buch über Europas Zukunft: Eine neue Republik | |
Vom gleichen Wahlrecht zum gleichen Recht auf soziale Sicherheit: Die | |
Politologin Ulrike Guérot beschreibt einen Weg zur Republik Europa. |