# taz.de -- Die Wahrheit: Der finale Rhön-Report | |
> Im Grenzgebiet zwischen Thüringen, Bayern und Hessen zeichnet sich ein | |
> „Ende der Geschichte“ aber nicht ab. Eine Heimatkunde. | |
Bild: Ist es in der Rhön so schön wie hier bei Rosenheim in Bayern? | |
„Schön ist die Rhön, doch schöner wär sie ohne Rhöner,“ meinte der | |
Gauleiter von Unterfranken, Otto Hellmuth, und ließ alle Rhöner rassisch | |
vermessen. Die Rhön, die sich über Teile von Hessen, Thüringen und Bayern | |
erstreckt, gehörte damals zur ärmsten Region Deutschlands, immer wieder kam | |
es zu Hungersnöten. In den zwanziger Jahren erbarmte sich die Sowjetunion | |
und schickte Waggons mit Mehl in die Rhön. Nach der arischen Vermessung | |
wurde der größte Teil der Rhöner in den Arbeitsdienst gezwungen. | |
Noch immer steht am Schwarzen Moor das steinerne Tor des Rhöner | |
Arbeitslagers. Es wurden Moore trocken gelegt, Straßen gebaut und die Äcker | |
entsteint. Sodann wurden die wenigen arisch reinen Rhöner in Erbhöfe | |
gesetzt, auf denen sie eine industrialisierte Landwirtschaft betreiben | |
sollten. Das war der „Hellmuth-Plan“. Die Erbhofbewirtschafter schweigen | |
sich noch heute darüber aus. | |
Die landlos gewordenen Kleinbauern wurden auf der größten Baustelle Europas | |
konzentriert: Ein Truppenübungsplatz am Rhöndorf Wildflecken, wo dann für | |
den Russland-Feldzug geübt wurde. Zuletzt setzte man auch sowjetische | |
Kriegsgefangene ein, viele starben. Im Mai 1945 brachte man 20.000 Polen in | |
Wildflecken unter, von denen 544 starben. Danach übten dort die Amis und | |
dann auch die Bundeswehr. Es gab 20 Bars und Bordelle in Wildflecken. Und | |
die eine oder andere Bardame gebar früher oder später ein „Besatzerkind“. | |
Der Leiter der Holzbildhauerschule im nahen Bischofsheim überredete einige | |
Mütter, ihre Kinder auf seine Schule zu schicken. | |
Die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete Holzschnitz-Lehranstalt in der | |
Bayerischen Rhön, wie ebenso die wenig später gegründete in der | |
Thüringischen Rhön, in Empfertshausen, waren eine Not- und | |
Qualifizierungsmaßnahme für die armen Kleinbauern der Region, die im Winter | |
Schuhe und Löffel schnitzten, um einigermaßen zu überleben. | |
Mit der industriellen Herstellung solcher Dinge fiel ein wichtiger | |
Nebenerwerb für sie weg. Auf den Schulen sollten die begabtesten | |
Kleinbauern- und Holzfällersöhne sich für neue Produkte und Märkte | |
fitmachen. Die beiden Rhöner Lehranstalten werden noch heute staatlich | |
gefördert. Gelegentlich arbeiten sie für die Kirche, zu DDR-Zeiten schufen | |
sie sogar für den Vatikan. Ansonsten stehen in der Rhön sehr viele | |
Tierplastiken in der Gegend herum. | |
## Eye-Catcher Rhön | |
Einer der bayerischen Schüler veranstaltete 2003 ein internationales | |
Bildhauersymposium auf der Lichtenburg von Ostheim. Das war nichts | |
Kontemplatives: Alle arbeiteten mit Motorsägen und machten einen | |
irrsinnigen Krach. Einige Bildhauerinnen in Badeanzug und mit | |
Schalldämpfern auf den Ohren waren allerdings echte „Eye-Catcher“. | |
Wie ich später erfuhr, wurde der Veranstalter danach Dozent an der | |
Bischofsheimer Holzschnitzschule. Zuvor hatte man ihm eine Bewerbung | |
abgelehnt. Er schimpfte, dass man sich wieder einmal für das Traditionelle | |
– „Tilman Riemenschneider“ – entschieden hätte. | |
Solch Kirchenkunst steht dort vielfach auch bei den selbstständigen | |
Schnitzern in Schaufenstern zum Verkauf an die Touristen. Die Engel und | |
Madonnen sind jedoch meist nicht mehr handgeschnitzt. Das macht nun eine | |
computergesteuerte Maschine, die die Figur in jeder Größe und in null Komma | |
nix herstellt. Die Holzschnitzer müssen nur noch Augen und Ohren | |
nacharbeiten. | |
In der „Theaterstadt“ Meiningen erwarb ich ein Buch über die lokalen NVA- | |
und Stasiaktivitäten, die sich auf den „antiimperialistischen Schutzwall“ | |
im Abschnitt Rhön richteten – aber schnell nachließen. So berichtete etwa | |
André Kubiczek, der bei der Hubschrauberstaffel 16 in Meiningen stationiert | |
war: „Fast jeder auf dem Flugplatz trug am Tag, an dem die Öffnung der | |
Mauer verkündet wurde, einen Bart: die Piloten, die Offiziere, die | |
Soldaten. Der Stabsfeldwebel schickte mich in den Kurzurlaub, damit ich mir | |
das Begrüßungsgeld abholen könne.“ | |
## Auf westdeutscher Seite | |
Auch das Pflanzenschutzamt Meiningen setzte Hubschrauber ein, unter anderem | |
zur „aviochemischen“ Bekämpfung des Unkrauts „an der Staatsgrenze West�… | |
Herbert Mesch erstattete Bericht: 1966 war „der Kontrollstreifen am | |
Niemandswäldchen so stark verunkrautet, dass es jedem ungesehen gelingt, | |
die DDR illegal zu verlassen. Unkraut-Ex kann aber momentan nicht | |
eingesetzt werden.“ Einige Offiziere der NVA nahmen Verbindung zum | |
Bundesgrenzschutz auf und „sind öfters zu Einkäufen auf westdeutscher Seite | |
gewesen“. | |
1976 wurde bei einem Hubschraubereinsatz ein „Getreidefeld in der BRD“ in | |
Mitleidenschaft gezogen. Zuvor war bereits eine „Kuh der LPG Hermannsfeld“ | |
vergiftet worden. Ab 1978 wurde zwar sorgfältiger gearbeitet und „der | |
Pflanzenwuchs restlos beseitigt. Als Folge traten jedoch örtlich erhebliche | |
Erosionen auf.“ Zudem gab es „gesicherte Erkenntnisse, dass die | |
Agrarflieger im Blickpunkt feindlich-negativer Kräfte“ standen. Dazu wurde | |
die diffizile Klärung der Frage „Wer ist wer?“ aufs Nachhaltigste | |
intensiviert. | |
1985 wurde im Auftrag der LPG Herpf die Kartoffel-Krautfäule aus der Luft | |
bekämpft, dabei kam es bei einer Forellenaufzuchtanlage zu einem | |
„Fischsterben“. Im Jahre 1987 setzte man dann bulgarische Piloten zur | |
Walddüngung und Bekämpfung von Waldschädlingen ein. Dazu wurden fünf | |
sowjetische und zwei bulgarische Hubschrauber gechartert. Allerdings gingen | |
„die Charterbesatzungen nicht mit der gleichen Einstellung an die | |
Sicherheit heran“. | |
An der juristischen Hochschule Potsdam befassten sich zwei Diplomarbeiten – | |
von Major Weiß und Major Eisenkolb – mit diesem Problem. „Vermutlich hatten | |
viele Agrarpiloten irgendwelche Weibergeschichten. Frauen liefen ihnen | |
hinterher, ob ledig oder ob verheiratet. Das Fliegen faszinierte. Im Bett | |
waren sie sicher nicht besser als andere.“ | |
Herbert Mesch wollte in dieser Hinsicht jedoch keine Namen nennen, er blieb | |
aber bei seinen Anschuldigungen: „Die Agrarpiloten flogen manchmal gerne | |
eine Kurve mehr oder besprühten benachbarte Kleingärten, aus Dummheit oder | |
eben so.“ Die Betroffenen konnten danach ihr „erntereifes Obst und Gemüse�… | |
vergessen. | |
1988/89 vermehrten sich die Disziplinprobleme bei den ausländischen | |
Piloten: „Die Bulgaren hatten immer Durst, zwölf von 16 waren meist | |
besoffen. Besoffen sind die Piloten auch bedenkenlos geflogen. Die | |
Arbeitsleistungen der Russen waren bedeutend besser als die der Ukrainer.“ | |
Sie haben „zwar auch getrunken, sind aber nur nüchtern geflogen, bekamen | |
gutes Essen und deutsche Weiber hatten sie noch obendrauf. Die flogen ihnen | |
zu“, bilanzierte Herbert Mesch. | |
Nach der Wende wurde der Agrarflug, der zu Interflug gehörte, abgewickelt. | |
2003 berichtet das thüringische Freie Wort: „Auf dem verlassenen | |
Hubschrauber-Flugplatz in Masserberg standen die Cannabis-Pflanzen in Reih | |
und Glied“, die Zeitung sprach von einer „fabrikmäßigen Drogenproduktion�… | |
Die „Kreispflanzenschutzstelle Meiningen“, die dagegen hätte vorgehen | |
können, gab es auch nicht mehr. | |
2 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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