| # taz.de -- Die Wahrheit: Die strohblonden Provokateure | |
| > Wahrheit-Recherchen zeigen: Die AfD unterwandert ganz gezielt die anderen | |
| > Bundestagsparteien. | |
| Ein kleiner, plüschiger Saal in einem heruntergekommenen Hotel, das nicht | |
| genannt werden möchte, irgendwo am Rande der Stadt. Die AfD hat kurz nach | |
| der Wahl zum ersten Unterwandertag geladen – einem Treffen aller | |
| parteiinternen V-Leute. | |
| Gut achtzig bis neunzig Mitglieder sind der Einladung gefolgt und | |
| zusammengekommen, auch Markus Müller-Möller (der Name ist | |
| selbstverständlich geändert) ist mit dabei. Er trägt einen angeklebten | |
| Schnauzbart und eine falsche Plastiknarbe auf der Wange, um nicht erkannt | |
| zu werden, dazu eine blonde Perücke. Blond sein ist wichtig bei diesem | |
| Treffen, fast alle hier sind blond oder haben einen modischen | |
| Kurzhaarschnitt. Müller-Möller ist stellvertretender Leiter einer | |
| Musikschule, die er gerade unterwandert hat, dabei hat er mit Musik gar | |
| nichts am Hut. „Ich kann nicht mal ein Instrument spielen“, gibt er | |
| schmunzelnd zu, „geschweige denn Noten lesen.“ | |
| Was früher der von den Linken ausgerufene „Gang durch die Institutionen“ | |
| war, ist heute die Unterwanderung von rechts. | |
| Zur Begrüßung tritt Dr. Otto Krappich ans Pult, er ist Leiter der Abteilung | |
| U und hält eine begeisterte Motivationsrede. Auch er hat sich verkleidet – | |
| als Alter Fritz, aber nicht nur, um sein Inkognito zu wahren. Die | |
| preußische Uniform ist Krappichs Berufskleidung, er zeigt als Stadtführer | |
| Touristen die Hauptstadt und hatte heute keine Zeit mehr, sich vor dem | |
| Unterwandertag umzuziehen. Parteiintern nennen sie ihn scherzhaft den AfD | |
| der AfD, den „Altenfritz für Deutschland“. Vor ein paar Tagen erst hat er | |
| erfolgreich einen Literaturverein unterwandert, berichtet er, und ist nun | |
| dessen Vorsitzender. | |
| ## AfD bald weltweit? | |
| Die AfD unterwandert derzeit viele Kultur- und Bildungseinrichtungen, vom | |
| kleinen Kiezverein um die Ecke angefangen, bis hin zum Goethe-Institut. | |
| Krappich verkündet, die AfD habe bald in allen Goethe-Instituten in der EU | |
| Parteimitglieder. „Und wenn wir es weltweit geschafft haben und Frau Weidel | |
| … äh, Merkel erneut Kanzlerin ist, sitzen wir schon an den richtigen | |
| Schalthebeln bereit“, ruft Krappich in die Menge, „und dann benennen wir | |
| das Kanzleramt nach unserer großen ostpreußischen Heimat- und | |
| Balladendichterin in ‚Agnes-Miegel-Institut‘ um.“ Sein Lachen geht in | |
| begeistertem Applaus und Jubel unter. | |
| Unterwandern ist keine neue Idee. Die meisten von uns kennen Unterwanderung | |
| als Undercover-Missionen aus US-Filmen wie „The Departed“ oder Serien wie | |
| „The Wire“. Unterwandert wird aber auch in Deutschland. BKA, LKA, | |
| Verfassungsschutz, von den deutschen Abteilungen des Mossad, der CIA oder | |
| dem KGB ganz zu schweigen – alle unterwandern, teilweise sich gegenseitig. | |
| Jahrelang unterwanderte sogar die NPD den Verfassungsschutz. Und es gibt | |
| Hinweise, dass auch die Medien unterwandern: Um überhaupt zum | |
| Unterwandertag der AfD eingeladen zu werden, mussten zwei | |
| taz-Redakteurinnen fast ein Jahr lang die Junge Freiheit unterwandern. | |
| ## Die GröKoZ kommt | |
| Seit 2015 unterwandern die Rechten nun schon. Gezielt hat die AfD in den | |
| letzten Monaten und Jahren eigene Mitglieder in CDU, CSU und FDP | |
| einschleusen können. „Und nächste Woche ist Schluss mit der GroKo“, ruft | |
| Dr. Krappich zum Schluss seiner Rede, „dann kommt die GröKoZ – die Größte | |
| Koalition aller Zeiten. Und in zwei Jahren, wenn Frau Merkel zurücktritt, | |
| wird unsere Außenministerin Weidel sie ablösen.“ | |
| Ob das gelingt, steht noch in den Sternen, denn die AfD, andere rechte | |
| Parteien und Thinktanks sind nicht allein. Alle großen Parteien machen | |
| inzwischen beim Unterwandern mit. Markus Müller-Möller kommt ursprünglich | |
| aus der FDP. Im letzten Jahr sollte er die Linke unterwandern, wurde von | |
| denen zu den Grünen geschickt, jetzt unterwandert er die AfD im Auftrag der | |
| Grünen. Glaubt er jedenfalls. „Ganz so sicher bin ich mir nicht mehr“, sagt | |
| er, „aber es könnte sein, dass mich vorher schon irgendwer losgeschickt | |
| hatte, um die FDP zu unterwandern. Vielleicht die CSU oder die Linken.“ Er | |
| zuckt mit den Schultern. | |
| Wie ihm geht es auch anderen Politikerinnen und Politikern – Kretschmer, | |
| Lindner, Wagenknecht sind nur ein paar der bekannten Namen. Ihnen rutschen | |
| in Interviews aus Versehen immer wieder parteifremdes Gedankengut und | |
| extreme Positionen heraus. Unvergessen der Wahlkampfauftritt eines | |
| SPD-Ministerpräsidenten vor ein paar Wochen, dem sein Assistent bei einer | |
| Wahlkampfrede gerade noch rechtzeitig den richtigen Parteinamen zuflüstern | |
| konnte, als dieser bei „Liebe Genossinnen und Genossen. Wir von der …“ ins | |
| Stocken geriet. | |
| Wissenschaftler wollen jetzt herausgefunden haben, dass es sein kann, dass | |
| die deutschen Parteien überhaupt nicht so viele Mitglieder haben, wie | |
| bislang angenommen. Statt der etwa 1,5 Millionen Mitglieder könnten es nur | |
| 500.000 Personen sein. So lässt sich vielleicht auch der immense | |
| Mitgliederzuwachs der SPD in den ersten Wochen erklären, nachdem Martin | |
| Schulz Parteivorsitzender geworden war. | |
| ## Falsches Parteibuch | |
| „Wahrscheinlich ist kein einziger der neuen Mitglieder auch nur im | |
| entferntesten SPD-Anhänger, wahrscheinlich sind das alles Mitglieder aus | |
| anderen Parteien“, meint der Duisburger Parteienforscher Lukas Kowalske. | |
| „Vielleicht ist jeder in vier oder fünf Parteien gleichzeitig Mitglied“, | |
| fügt er hinzu. „Das ist normalerweise nicht erlaubt, außer bei Die Partei. | |
| Aber wer wollte das kontrollieren? Man muss halt nur aufpassen, dass man | |
| bei einem Parteitag oder sonst einer Sitzung nicht das falsche Parteibuch | |
| in der Tasche hat“, sagt Kowalske. Und ganz wichtig ist natürlich auch hier | |
| die Diskretion. | |
| „Natürlich hab ich manche der Nasen hier auch schon woanders gesehen. Hier, | |
| der Kollege da …“, Markus Müller-Möller zeigt beim Unterwandertag auf ein… | |
| jungen Blondschopf im Anzug, „… der unterwandert gerade die Grünen, und der | |
| da hinten …“, er deutet auf einen älteren Glatzkopf, „… der unterwande… | |
| gerade die CSU, als ich bei denen war.“ Da sei es selbstverständlich sehr | |
| wichtig, keinen der anderen zu verpfeifen, denn vermutlich haben die | |
| Müller-Möller auch schon gesehen und könnten ihn nun ebenfalls auffliegen | |
| lassen. | |
| ## Dafür und dagegen | |
| Unterwandern bringt auf die Dauer großen psychischen Stress mit sich, das | |
| merkt Müller-Möller seit ein paar Wochen am eigenen Leib: „Ja, es gibt so | |
| Sitzungen und Diskussionsrunden, gerade auch auf Landes- oder | |
| Kommunalebene, da weiß ich gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Bin ich | |
| jetzt eigentlich für Flüchtlinge … äh, Flüchtende … äh, Geflüchtete, … | |
| bin ich gegen sie? Bin ich für die Obergrenze oder besser für eine | |
| Untergrenze? Will ich das bedingungslose Grundeinkommen oder bin ich für | |
| Hartz IV? Bin ich linker Antisemit oder bin ich rechter Antisemit? Sage ich | |
| ‚Neger‘ als rassistischen Ausdruck oder mit einer gewissen vorwurfsvollen | |
| Entrüstung, oder meine ich es gar ironisch?“ | |
| Müller-Möller seufzt. „Ich bin froh, dass die Bundestagswahl endlich vorbei | |
| ist und ich wieder in meine alte Partei zurückkehren kann – wenn ich nur | |
| wüsste, welche das ist. Hoffentlich nicht die SPD.“ | |
| So wie er denken wahrscheinlich manche Menschen, die uns derzeit noch so | |
| hoffnungsvoll von den überall herumstehenden alten Wahlplakaten zulächeln. | |
| 30 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael-André Werner | |
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