Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grüne Perspektiven in Bund und Ländern: Aufbruch nach Jamaika?
> Robert Habeck bereitet in Schleswig-Holstein geschickt eine
> Jamaika-Koalition vor. Ist das ein Zukunftsbündnis für Berlin? Eine
> Erkundung.
Bild: Noch lacht sie – Simone Peter
Berlin taz | Das Büro der Grünen-Chefin im dritten Stock eines Altbaus in
Berlin-Mitte ist eine gute Adresse, um einfach mal nachzufragen. Also,
liebe Frau Peter, kann da was gehen mit Grünen, Union und FDP nach der
Bundestagswahl?
Simone Peter, 51, macht erst mal einen Witz und nickt zum Fachbuch zur
Energiewende hinüber, das aufgeklappt auf ihrem Tisch liegt. „Das fossile
Imperium schlägt zurück“. So ungefähr müsse man sich die Arbeit in einem
Jamaika-Bündnis vorstellen. Sie lacht, aber man ist sich nicht sicher, ob
nicht ein bisschen Ernst mitschwingt.
Jamaika im Bund, das bedeutete ja, dass Peter in einem Koalitionsausschuss
mit Seehofer und Lindner zusammensäße. Hier eine überzeugte
Menschenrechtspolitikerin, dort der Obergrenzen-Fan aus Bayern und der
turboliberale Steuersenker.
Die Grünen-Chefin wirbt für eine Vermögensteuer und engagierte
Sozialpolitik, kommende Woche fliegt sie nach Lampedusa, um sich vor Ort
über die Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer zu informieren.
Gibt es die produktiv-friedliche Koexistenz im feindlichen Lager?
## Offenheit in alle Richtungen
Himmelweit lägen die Positionen von Grünen und CSU auseinander, sagt Peter.
Und zählt auf: Seehofer stehe für eine Innen- und Asylrechtspolitik, die
nichts mit der Idee einer offenen und vielfältigen Gesellschaft gemein
habe. Der Anspruch der Grünen sei, Ökologie mit der sozialen Frage zu
verbinden. „Dieses Bündnis wäre für Grüne sehr risikoreich.“ Jamaika we…
Schleswig-Holstein als Modell für den Bund zu propagieren greife zu kurz,
sagt Peter. Vergleichbar sei das nicht. So weit, so erwartbar.
Aber Simone Peter, die Vorsitzende, sagt eben auch: „Einen Ausschluss von
Jamaika im Bund wird es auf unserem Bundesparteitag im Juni nicht geben.“
Auch die beiden Spitzenkandidaten, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt,
setzen auf Offenheit in alle Richtungen. Vielleicht geht also doch etwas.
Die Grünen im Bund schauen im Moment mit gemischten Gefühlen in den hohen
Norden. Manche geraten ins Schwärmen, andere sind verstört, wieder andere
haben Angst in den Augen. Die nüchterne Spitzenkandidatin Monika Heinold
und der vitale Tausendsassa Robert Habeck schmieden gerade ein Bündnis, das
den aufregenden Charme des Neuen versprüht. „Mit Jamaika wäre der Norden
innovativ, wohlhabend und lässig“, [1][begeistert sich ein Leitartikler] in
der liberal-konservativen Welt.
Peter und ihre ParteifreundInnen wissen, dass Schleswig-Holstein als
Role-Model für Berlin verhandelt werden wird. Spätestens wenn in einigen
Wochen der Koalitionsvertrag in Kiel steht – und dafür spricht eigentlich
alles –, dann startet die Diskussion über Jamaika im Bund. Allein das
Setting spricht dafür. Die Schulz-SPD liegt in Umfragen wieder klar hinter
der Merkel-CDU, die AfD erschwert Zweierbündnisse.
## Die einen schlimm, die anderen schlimmer
Die entscheidende Frage könnte deshalb im September lauten: Kommt wieder
eine langweilige Große Koalition? Oder ringen sich die Grünen zu Jamaika
durch? Wichtige Argumente sprächen für das Experiment. Die GroKo als
Dauerzustand stärkt die Rechten, das zeigt das Beispiel Österreich. Und
Jamaika bliebe den regierungswilligen Grünen als einzige Machtoption.
Sicher ist aber auch: Ein solcher Lagerwechsel bleibt hochgefährlich. In
der Parteizentrale stapeln sich Befragungen, die belegen, dass grüne
WählerInnen Union und FDP in herzlicher Abneigung verbunden sind. Die tief
sitzende Antipathie war einer der Gründe, warum sich die Grünen 2013 in
ihrem Wahlprogramm zur SPD bekannten. CDU und CSU blockierten den grünen
Wandel, hieß es darin. Die FDP sei sogar „eine Kampfansage“ an ebenjenen.
Die einen schlimm, die anderen schlimmer. So denken viele bis heute. Im
linksgrünen Flügel glauben manche, Jamaika könnte die in ihre Inhalte
verliebte Ökopartei zerstören.
Ein wichtiger Bundestagsabgeordneter zischt durch die Zähne: „Das macht
kein Linksgrüner mit.“ Eine gut vernetzte Parteilinke zögert keine Sekunde.
„Mit der FDP? Nicht mit mir.“ Ein anderer Abgeordneter sagt: „Ich habe
keine Lust, meinen Finger für die Verdopplung des Verteidigungsetats zu
heben.“
## Tanz auf dünnem Eis
Wie riesig die Unterschiede allein im Habitus sind, lässt sich auf
Parteitagen beobachten. Bei der FDP dominieren ehrgeizige Schlipsträger in
schmal geschnittenen Anzügen, bei den Grünen lässiger Alt-68er-Schick bei
den Alten, bei den Jungen dezent-stilvoller Alternativlook.
Die Grünen tanzen im Moment auf dünnem Eis. Sechs bis acht Prozent in den
Umfragen, das heißt: Der Ausgriff in bürgerliche Milieus scheitert bisher,
aber die Kernwählerschaft ist noch an Bord. Eine Jamaika-Debatte könnte die
Partei in die Todeszone drücken. „Es darf auf keinen Fall so wirken, als
wollten wir dieses Bündnis“, sagt ein Fraktionsmitglied. Dass Habeck seine
Skepsis in Interviews und auf Facebook im Moment demonstrativ inszeniert,
folgt auch solchen Überlegungen.
Bewusst betont der Kieler im Moment die Differenzen. „Jamaika funktioniert
nur, wenn die Grünen linker werden“, sagt er in der aktuellen Zeit. Wer mit
einstigen Gegnern kooperiert, muss erkennbar und relevant bleiben. Sonst
droht der Tod in der unbestimmten Bürgerlichkeit.
Es ist ja nun mal so, allen Elogen auf Schwarz-Grün zum Trotz: CSU und FDP
stehen den Grünen ideologisch diametral gegenüber, allerdings auf
verschiedenen Spielfeldern.
## Fest an der Seite der Industrielobby
Mit der CSU – die die Grünen übrigens selbst als Hauptgegner entdeckt hat �…
ist eine moderne Gesellschaftspolitik schwer umsetzbar, eine humanistische
Flüchtlingspolitik erst recht nicht. Dafür gäbe es vielleicht Schnittmengen
beim Sozialen. Mit der FDP wiederum könnte man sich bei den Bürgerrechten
schnell einigen, aber die tiefen Gräben bei Steuern, Finanzen oder im
Sozialen sind unübersehbar.
Schnittmengen mit dem einen lassen sich also mit dem anderen nicht machen.
Zumindest dann nicht, wenn sich lieb gewonnene Traditionen durchsetzen.
„Die Grünen müssen in einem Jamaika-Bündnis auch die Sozial- und
Bildungspolitik behaupten“, sagt Peter in ihrem Büro. Auch Habeck
argumentiert, seine Partei müsse in so einer Regierung zum
„Vollsortimenter“ werden.
So gesehen wären die Grünen der ökosoziale Wachschutz einer Koalition. Doch
bei aller Liebe, eine solcher Anspruch würde selbst 12-Prozent-Grüne in
Berlin überfordern. Es gälte das Ressortprinzip, Merkels
Richtlinienkompetenz sowieso. Was ein Jamaika-Bündnis aber unbedingt
bräuchte, wäre Vertrauen, eine kluge Arbeitsteilung und Akzeptanz für den
rheinländischen Grundsatz: Man muss auch gönnen können.
Entscheidend wäre auch ein Punkt, den überzeugte Schwarz-Grün-Fans latent
unterschätzen. Union und FDP stehen fest an der Seite der Industrielobby
Mit dieser müssten sich aber Grüne mit echten ökologischen Ambitionen
anlegen. Ob das in einem Jamaika-Bündnis gelingen kann, ist offen.
## Eine deprimierende Wahl
Simone Peter, das ist eine hübsche Ironie, ist eine der wenigen Grünen, die
das alles aus der Praxis kennt. Sie war von 2009 bis 2012 im Saarland
Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr in der ersten Jamaika-Koalition
in einem Bundesland überhaupt. „Die Zusammenarbeit zwischen uns und der CDU
funktionierte relativ gut“, erzählt sie. „Ich lernte Peter Müller zu
schätzen.“ Mit Müller, dem Ministerpräsidenten, verhandelte Peter zum
Beispiel einen Masterplan Energie, der das Land bei Strom, Wärme und
Energieeffizienz neu aufstellte. Er gilt – mit Abstrichen – bis heute.
Genaue Absprachen, Vertragstreue, jeder gönnte dem anderen seine Erfolge.
Das Bündnis scheiterte am Ende an der FDP, die sich auf grandiose Art
selbst zerlegte.
Simone Peter beobachtete im Saarland noch etwas Interessantes. „CDU und SPD
geben sich in den klassischen Energieregionen nicht viel, wenn es darum
geht, das fossile Energiesystem zu schützen.“ 2011 standen Stromanteile von
RWE zum Verkauf. Als Peter damals versuchte, eine dezentrale
Stromversorgung über die Stadtwerke aufzuziehen, hätten das beide
Volksparteien blockiert, erzählt sie. Die CDU in der Landesregierung, die
SPD in den Kommunen.
Die Grünen, auch das gehört zur Wahrheit, haben im Bund nur eine
deprimierende Wahl, wenn sie mehr Öko in einer Regierung durchsetzen
wollen: Elend oder Not. Ein Linksbündnis führte die kohleverliebte SPD an,
auf der anderen Seite warten Union und FDP. Vertreter von Ökoverbänden
signalisierten in internen Gesprächen, dass eine Regierungsbeteiligung
nötiger sei denn je, erzählt eine Grüne, die sich mit der Materie auskennt.
Dem Klimawandel, so das Argument, seien die strategischen Nöte der Grünen
egal.
## Dickköpfig genug?
„Also, riskiert es, liebe Grüne, wir brauchen euch“, rief ihnen Kurt
Stukenberg, Chef des Greenpeace-Magazins, [2][vor ein paar Tagen in der taz
zu]. Sollten die Grünen Teil der künftigen Regierung sein, sei ihre
wichtigste Aufgabe, einen konsequenten Kohleausstieg einzuleiten. Es sei
unwahrscheinlich, dass sich die SPD im Schnelldurchlauf ihrer Verbundenheit
mit dem Kohlemilieu entledige, argumentiert er. „Da der CDU diese Wurzeln
fehlen, dürfte sie grundsätzlich der flexiblere Ansprechpartner beim
wichtigsten grünen Programmpunkt sein.“
Einer, der sich gerne überlegt, wie etwas gelingen kann, ist Reinhard
Bütikofer, der Chef der europäischen Grünen. Bütikofer, 64, Spitzname:
Büti, ist für die Deutung der Großwetterlage zuständig, witzeln sie in der
Partei – doch in solchen Sprüchen schimmert Respekt durch. Es gehe nicht
darum, ob die Grünen flexibel genug wären für Jamaika, sagt Bütikofer.
Flexibel seien die Grünen offenkundig, schließlich hätten sie in den
Bundesländern in acht verschiedenen Kombinationen regiert.
„Die Frage ist vielmehr, ob wir dickköpfig genug sind und ob CDU, CSU und
FDP begreifen, dass sie sich, um Jamaika zu ermöglichen, für eine Politik
entscheiden müssten, mit der wir erfolgreich sein könnten.“ Dann zitiert er
Willy Brandt. „Wir werden so regieren, dass die FDP dabei erfolgreich sein
kann“, das habe jener dem Liberalen Walter Scheel vor der ersten
sozialliberalen Koalition 1969 versprochen. Für Bütikofer ist diese Frage
entscheidend: „Ist es vorstellbar, dass Merkel, Seehofer und Lindner das
Entsprechende zu den Grünen Göring-Eckardt und Özdemir sagen?“
Merkel, das ist so gut wie sicher, würde viel bieten, um sie zu locken.
Aber sicher ist auch, dass die Grünen ihrerseits einen Preis für dieses
Bündnis zahlen müssten.
26 May 2017
## LINKS
[1] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article164383228/Mit-Jamaika-waere-d…
[2] /Debatte-Jamaika-Koalition/!5408165
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Jamaika-Koalition
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schleswig-Holstein
Bündnis 90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt
Jamaika-Koalition
FDP
Lesestück Interview
Landtagswahl Schleswig-Holstein
Kanzlerkandidatur
Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grüne Spitzenkandidatin über ihre Ziele: „Ich finde Merkel nicht gut“
Katrin Göring-Eckardt soll die Grünen zum Regieren bringen – fast egal, mit
wem. Ein Gespräch über Vorurteile, Koalitionen und die Krise der Partei.
Koalitionsverhandlungen: Alles so harmonisch auf Jamaika
CDU, Grüne und FDP in Kiel treiben ihr Bündnis im Eiltempo voran und haben
angeblich auch noch Spaß dabei.
Koalitionsgespräche in Kiel: Volle Fahrt nach Jamaika
Für CDU, Grüne und FDP soll es in Kiel jetzt schnell gehen auf dem Weg zur
Koalition. Der Grüne Habeck gibt derweil Parteifreund Trittin Kontra.
Philosoph über die Möglichkeit von R2G: Die Linke muss aktiv werden!
Eine linke Regierung nach der Wahl ist möglich, sagt Thomas Seibert vom
Institut Solidarische Moderne – wenn WählerInnen Druck machen.
Grüne in Schleswig-Holstein: Kurs auf Jamaika
Die Ökopartei gibt grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit CDU und
FDP. Nur wenige stimmen dagegen.
Wahlprogramm der SPD: Eckpunkte werden doch vorgestellt
Die SPD will nun doch an diesem Montag Kerninhalte ihres Wahlprogramms
vorstellen, mit denen Kanzlerkandidat Schulz in die Wahlkampfphase zieht.
Kieler Sondierungsgespräche: Die Schuld der anderen
Kiels SPD diskutiert mit den Grünen die Ampel. Das eher symbolische
Gespräch soll Fehler der SPD überdecken. Und die Grünen wollen es
wenigstens versucht haben
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.