| # taz.de -- Einwanderung aus Polen: Vom Glück, in Berlin zu sein | |
| > Immer mehr gut ausgebildete junge Polen schätzen die offene und | |
| > multikulturelle Hauptstadt. Staatliche Medien in Polen warnen dagegen vor | |
| > Berlin. | |
| Bild: Polen-Fans auf der Berliner Fanmeile | |
| Berlin taz „Nach Berlin bin ich der Liebe wegen gekommen“, sagt Maria | |
| Skóra. Eigentlich hätte sie in Warschau bleiben können, wo sie, wie sie | |
| selbst sagt, einen gut bezahlten Job hatte. Doch dann lernte die junge | |
| Polin ihren späteren Mann, einen Deutschen, kennen. „Gleichzeitig hatte ich | |
| das Gefühl, dass Polen immer konservativer wird.“ | |
| Vor zwei Jahren zog das Paar von der Weichsel an die Spree. „Berlin ist | |
| eine freie Stadt, in der Platz für viele ist“, sagt Skóra, die inzwischen | |
| als Senior Project Manager beim Progressiven Zentrum, einem linksliberalen | |
| Thinktank, arbeitet. Ihren Entschluss hat sie nicht bereut. | |
| Während in Kreuzberg und Neukölln immer wieder postmigrantische Debatten | |
| geführt werden, war am Dienstagabend im Club der Polnischen Versager von | |
| der neuen polnischen Migration nach Berlin die Rede. | |
| Der Titel des Abends – „Offenes Berlin. Exil für Polinnen und Polen“ –… | |
| auch der aktuellen politischen Lage in Polen geschuldet. Wie die Politik | |
| der nationalkonservativen Regierung in Warschau auch die polnische | |
| Community in Berlin verändert hat, erklärte Emilia Fabiańczyk, deren | |
| Agentur Minor im Auftrag des Senats eine aktuelle Studie zur neuen | |
| Migration in Berlin erarbeitet hat. | |
| Derzufolge sind die neuen Polinnen und Polen in Berlin jung, gut | |
| ausgebildet und fest entschlossen, es zu schaffen. „Fünfzig Prozent von | |
| ihnen sagen, für immer in Berlin bleiben zu wollen“, weiß Fabiańczyk. | |
| ## Exilort für Schwule und Lesben | |
| Zuzanna Kołupajło ist vor drei Jahren nach hier hergezogen. „Ich kenne | |
| Berlin seit meiner Kindheit“, sagt die Aktivistin. „Es ist eine tolerante | |
| Stadt, in der jeder seine Rechte hat.“ Auch deshalb sei Berlin vor allem | |
| für Lesben und Schwule ein Exilort geworden. „Eine lesbische Freundin ist | |
| gerade als Au-pair gekommen“, erzählt sie. „Beruflich war das für sie ein | |
| Rückschritt. Aber persönlich war es ein Schritt nach vorne.“ | |
| Sie selbst kann sich jedenfalls nicht mehr vorstellen, nach Polen | |
| zurückzukehren, in der mit der PiS eine „apokalyptische Partei“ regiere. | |
| „Das ist mir dort zu eng.“ | |
| Es gab Zeiten, in denen Polinnen und Polen in Berlin weniger selbstbewusst | |
| aufgetreten sind. In denen sie sich nicht trauten, in der U-Bahn Polnisch | |
| zu reden, ihre Namen eindeutschten oder einfach nur besser sein wollten als | |
| die Deutschen. „Strebermigranten“ nennt das die ehemalige taz-Autorin | |
| Emilia Smechowski in ihrem Buch, das im Juli erscheint. Sie beklagt, wie | |
| wenig diese Polen in Deutschland in den achtziger und neunziger Jahren, zu | |
| denen sie selbst zählte, sichtbar waren. | |
| Doch das ist vorbei. Inzwischen zeigen sich die Polen in Berlin. Mit dazu | |
| beigetragen haben auch die Künstlerinnen und Künstler, die in den nuller | |
| Jahren nach Berlin gekommen sind und dem polnischen Berlin, lange geprägt | |
| vom Klempner-und-Putzfrauen-Image, ein anderes Gesicht gegeben haben. | |
| Aber auch sie, die vor dem polnischen EU-Beitritt 2004 gekommen sind, | |
| fühlten sich oft noch als Migranten, wie die Künstlerin und Architektin | |
| Anna Krenz sagte. „Wichtig war die Erfahrung, die wir auf der | |
| Ausländerbehörde gemacht haben.“ | |
| ## Konservative Stimmungsmache | |
| Die neuen Polinnen und Polen dagegen wissen, dass sie als EU-Bürger | |
| privilegiert sind. Und sie schätzen Berlin als multikulturelle Stadt. Doch | |
| es gibt noch ein anderes Bild Berlins, hat der RBB-Journalist Jacek | |
| Tyblewski beobachtet, der 1983 nach Berlin kam, als der Eiserne Vorhang | |
| noch existierte. „Vor allem von staatlichen Medien in Polen wird Berlin als | |
| Stadt dargestellt, in der die Konflikte mit Flüchtlingen zunehmen.“ | |
| Das führe dazu, dass immer weniger konservative Menschen aus Polen nach | |
| Berlin kommen. Die offene, junge polnische Migration freut sich also über | |
| das junge, offene Berlin. Die, die gerne unter sich bleiben, bleiben in | |
| Polen. | |
| „Migration kann auch eine Erfolgsgeschichte sein“, betont Moderatorin | |
| Katarina Niewiedzial, Integrationsbeauftragte in Pankow und selbst im Alter | |
| von zwölf mit ihren Eltern aus Stettin nach Berlin gekommen. Doch es gibt | |
| auch zahlreiche Probleme, berichtet Ania Czechowska, die Leiterin des | |
| interkulturellen Beratungs- und Begegnungszentrums für Frauen und Familien. | |
| In ihrer Beratung erlebt sie eine sehr heterogene polnische Community, die | |
| mit dem Alltag in Deutschland kämpfen muss. „Wohnungssuche, Spracherwerb, | |
| die Anerkennung der Berufsabschlüsse sind für die meisten ein Problem“, | |
| sagt Czechowska. Sie hat aber auch beobachtet, dass viele nach ein paar | |
| Jahren in Deutschland den deutschen Pass beantragen. Und sich in Berlin, | |
| etwa in der Flüchtlingsarbeit, engagieren. „Dazu hat auch die politische | |
| Lage in Polen beigetragen“, sagt Czechowska. | |
| Und noch etwas hat die Politik in Warschau bewirkt, hat Aktivistin Zuzanna | |
| Kołupajło beobachtet: „Bei den Demonstrationen gegen die polnische | |
| Regierung treffe ich auch viele Polen, die schon lange hier leben.“ So | |
| bringt die nationalkonservative Wende in Polen die alte und neue polnische | |
| Community zusammen, von denen Tyblewski sagte, sie hätten normalerweise | |
| wenig miteinander zu tun. | |
| Zu Berlin als Exilort von Polinnen und Polen gehören aber auch die, die | |
| unter Brücken schlafen oder, wie im U-Bahnhof Schönleinstraße, beinahe | |
| Opfer eines Brandanschlags geworden wären. „Für die einen bedeutet Berlin | |
| Liebe, Karriere und Kunst“, sagt Jacek Tyblewski. „Für die anderen ist | |
| Berlin Suff, Dreck und Verachtung.“ Von den schätzungsweise 5.000 | |
| Obdachlosen, so Tyblewski, „kommt die Hälfte aus Polen“. | |
| 17 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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