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# taz.de -- Berlin und Breslau: Ein Grund zum Strahlen
> Breslau hat als Europas Kulturhauptstadt 2016 auch auf Berlin einen
> besonderen Reiz ausgeübt. Nun muss sich zeigen, was in Zukunft davon
> bleibt
Bild: In neuem Glanz: Lichtspektakel am Breslauer Oderufer im Juni 2016
Nicht nur für Maren Ade und ihren Film „Toni Erdmann“ ging die Verleihung
des Europäischen Filmpreises am Wochenende in Breslau glücklich aus,
sondern auch für Rafał Dutkiewicz. Der Stadtpräsident Breslaus hatte schon
vor drei Jahren nachgefragt, ob die Preisverleihung nicht in Europas
Kulturhauptstadt 2016 vergeben werden könnte. Wim Wenders, Präsident der
Europäischen Filmakademie, sagte zu – und Dutkiewicz führte ihn selbst
durch die polnische Odermetropole. Eine von vielen Begegnungen zwischen
Berlin und Breslau im zu Ende gehenden Jahr.
Berlin und Breslau, obwohl offiziell nicht Partnerstädte, sind sich in
diesem Jahr so nahe gekommen wie seit dem Fall der Mauer nicht. Vor allem
die Berlinerinnen und Berliner haben die Gelegenheit zu einer Visite
genutzt. Der Kulturzug hatte mehr als 20.000 Fahrgäste, ein Vielfaches von
dem, was erwartet wurde. Nun fährt er bis Ende kommenden Jahres.
Näher gekommen sind sich beide Städte auch mit „Luneta“, auf Deutsch
„Fernrohr“. In den blauen Zelten am Bahnhof Friedrichstraße und am Bahnhof
Wrocław Główny ließ sich in Echtzeit miteinander kommunizieren. Hinzu kamen
Clubnächte und Ausstellungen, in einem Buch wurde die Beziehungsgeschichte
beider Städte von deutschen und polnischen Autoren thematisiert. Dabei
wurde aber auch deutlich, dass es viel nachzuholen gibt. Die Breslauer
kannten Berlin schon vor 2016, die Berliner mussten Breslau erst
kennenlernen.
Was aber bleibt von diesem Jahr der grenzüberschreitenden Begegnungen?
Breslau selbst hat den Zugang zur Kultur auch für benachteiligte Schichten
zum Ziel gemacht. Eine Bilanz steht da noch aus.
„Ich hoffe sehr, dass sich durch die Zusammenarbeit nachhaltig gute
Verbindungen ergeben“, hofft Moritz von Dülmen, der Chef der Berliner
Kulturprojekte. Eines ist schon passiert. In Breslau soll auf die
Initiative des Stadtpräsidenten ein gemeinsames Büro für die europäischen
Kulturhauptstädte gegründet werden – und einen europäischen
Erfahrungsaustausch ermöglichen.
## Rafał Dutkiewicz: Unsere Zukunft gehört Europa
„Die Europäische Kulturhauptstadt ist ein riesiger Erfolg geworden, auch
wegen der guten Zusammenarbeit mit Berlin. Ich bin nicht nur zufrieden, was
die Anzahl der Touristen betrifft, die von Berlin nach Breslau kamen,
sondern auch mit der Werbung für Breslau in Berlin.
Es gibt einige Projekte, die auch im nächsten Jahr weitergehen. Ich werde
im Januar in Berlin sein, und dann werden wir sehen, was da an weiterer
Zusammenarbeit möglich ist. Das wichtige ist, das sich jetzt die Menschen
und Institutionen in beiden Städten kennen.
Ob Breslau das andere Gesicht Polens war in diesem Jahr? Die Botschaft, die
wir in diesem Jahr verbreiten wollten, kam von einem Breslauer. Es war der
Bischof Kominek, der schon 1965 gesagt hat: Nationalismus ist das Konzept
von gestern. Unsere Zukunft gehört Europa.“
Rafał Dutkiewicz ist Stadtpräsident von Breslau
## Oliver Spatz: Das war ein großes Wunder
„Das Jahr mit der Kulturhauptstadt Wrocław und dem Kulturzug war für mich
ein großes Wunder. Ich habe ein echtes Gefühl für Zusammenhalt gespürt, ein
„Jetzt erst recht“ und „Weiter so“ für ein vielfältiges Europa ohne
Grenzen.
Manchmal habe ich die Polen um diese fröhliche und unkomplizierte
Stadtkultur beneidet. Jung und Alt, Tag und Nacht auf den Straßen und
Plätzen. Mir hat das Jahr Lust gemacht, das Land, die Menschen und die
Sprache besser zu verstehen.
Der Kulturzug hatte insgesamt über 20.000 Fahrgäste. Einige mussten
manchmal über vier Stunden stehen, haben in den Gängen gepicknickt und jede
noch so verrückte Kunstaktion und die über 200 Lesungen und Konzerte
dankbar aufgenommen. Vielleicht braucht es viel mehr solcher Kulturzüge in
Europa.“
Oliver Spatz ist der Kurator des Kulturzugs
## Marko Martin: Nächtliche Saufgespräche
„Ich habe die Stadt als erfreulich offen empfunden – trotz der an
Wochenenden herumvagabundierenden kahlköpfigen Jungmännermeuten, die
mitunter ihren Hass auf die EU, auf Juden und Frau Merkel herausbrüllten.
Interessant war der Aufenthalt deshalb, weil ich aus der Blase ethnisch und
sozial homogener Stipendiaten herausflutschen konnte. Die habe ich als
extrem unpolitische Laptop-Hipster wahrgenommen. Deshalb waren die
mitternächtlichen Saufgespräche in dem Kit-Kat-ähnlichen Cactus Club viel
inspirierender als die Besuche bei den Verantwortlichen des
Kulturprogramms.
Schaffen es beide Städte, weiterhin eine Gestimmtheit auszustrahlen, die
nichtnationalistisch ist und das Heterogene und Vermischte historischer
Erfahrung ohne Relativierungen annimmt? Ich hoffe es sehr.“
Marko Martin war 2016 Stadtschreiber in Breslau
## Volker Hassemer: Eine neue Zuneigung
„Wir können stolz sein, dass wir alles, was wir uns vorgenommen haben,
realisieren konnten.
Zwei Ergebnisse sind mir besonders wichtig: Es hat eine neue
Aufmerksamkeit, eine neue Zuneigung, eine neue Nähe zwischen Berlin und
Breslau stattgefunden. Der Kulturzug ist der konkrete Beweis. Er hätte aber
nicht funktionieren können, hätten nicht die Strahlkraft von Breslau
einerseits und das Interesse der Berlinerinnen und Berliner andererseits
gegriffen.
Und wir haben dem Stadtpräsidenten wesentlich dabei geholfen, sein –
zurzeit in Polen nicht einfaches – Ziel zu verfolgen: Breslau als eine
„europäische Stadt“ zu etablieren. Und dabei nicht gegen das Polnische,
aber selbstbewusst und stolz im Reigen der europäischen Städte aufzutreten.
In diesem Jahr war spürbar Europa in Breslau zu Hause.“
Volker Hassemer ist Chef der Stiftung Zukunft Berlin
## Mateusz Hartwich: Her mit einem Zukunftsfonds
„Zwei Kulturstädte in der Mitte Europas haben ihre familiären Bande
wiederentdeckt. Was banal klingt, ist in heutigen Zeiten eine große
Errungenschaft.
Dass Berlin die Insel der Stabilität und Breslau die Insel des
Europagedankens in Polen bleibt, ist alles andere als selbstverständlich.
Es gilt deshalb, ein Zeichen für die Zukunft zu setzen, mit Blick auf die
gemeinsame Geschichte. Beide Städte sollten ein nachhaltiges
Austauschprogramm auflegen, einen Zukunftsfonds, mit dem Künstler, Autoren,
Aktivisten, aber auch einfachen Bürgern das Eintauchen in den Alltag der
Schwesterstadt ermöglicht wird – ohne die Verpflichtung, die
deutsch-polnische Zusammenarbeit zu bejubeln.
Das wäre der Triumph des europäischen Miteinanders über die (Un-)Kultur der
nationalen Abschottung.“
Mateusz Hartwich ist Co-Herausgeber des Buches „Berlin und Breslau. Eine
Beziehungsgeschichte“
11 Dec 2016
## AUTOREN
Uwe Rada
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