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# taz.de -- Kulturhauptstadt Wrocław: Auferstanden aus Ruinen
> Die niederschlesische Hauptstadt Wrocław/Breslau hat sich zur
> lebensfrohen Metropole gewandelt. Nun ist sie Europäische
> Kulturhauptstadt 2016.
Bild: Vier Nebenflüsse der Oder fließen durch die die niederschlesische Haupt…
Breslau. Wrocław. Polens viertgrößte Stadt entwickelt sich zur
Kreativmetropole. Gleichzeitig entdeckt die Hauptstadt der Woiwodschaft
Niederschlesien ihr deutsches und jüdisches Erbe wieder. Die vom
Architekten Max Berg 1913 erbaute Jahrhunderthalle – seinerzeit die größte
freitragende Eisenbetonkonstruktion der Welt und inzwischen Weltkulturerbe
– ist frisch renoviert.
Als Kulturhauptstadt-Projekt entsteht derzeit WuWa 2, der Nachfolger der
Wohn- und Werkraumausstellung WuWa von 1929. Damals bauten schlesische
Architekten Ikonen der heute klassischen Moderne. Während sich in der
wieder aufgebauten Altstadt die Touristen tummeln, eröffnen junge Kreative
in vergessen geglaubten Altbauquartieren wie Nadodrze Galerien,
Designerläden und ausgefallene Cafés.
Deutsche, Österreicher, Ukrainer, Juden, Preußen haben im Stadtbild ihre
Spuren hinterlassen: Hier ein Bau der klassischen Moderne aus den 1920ern
wie das Sparkassengebäude am Salzmarkt, daneben restaurierte
österreich-habsburgische Bürgerhäuser. Stadtteile wie Nadodrze oder das
„Bermudadreieck“ an der Straße der Pariser Kommune sind vor 50 oder 60
Jahren erstarrt. Seit dem Ende des Sozialismus tauen die grauen Viertel mit
ihren preußischen Mietskasernen wieder auf.
Breslaus Zukunft beginnt hinter der Uni jenseits der Oder. Auf einem Stapel
Holzbretter in einem Hinterhof sitzt neben einem ausrangierten Fernseher
ein junger Kerl mit Hipsterbart im Karohemd. Seine schwarzen Haare hat der
28-Jährige nach hinten gegelt. Konrad nennt sich Marketingmanager. Seine
Kolleginnen und Kollegen entwerfen drinnen an Computerbildschirmen Designs
für Beutel und andere stabile Modeaccessoires. Das Leben vor der Haustür
liefert ihnen die Ideen. „Wenn du mit über die holprigen Pisten radelst,
brauchst du Taschen aus festem Material“, erklärt Konrad.
## Flat-Rate im Cafe Panato
Die Räume teilt sich das Start-up-Unternehmen Panato mit dem gleichnamigen
Café. Die Gäste zahlen für die Zeit, die sie dort verbringen. Umgerechnet
2,88 Euro kostet die Stunde inklusive Kaffee, Kuchen oder Suppe. „Mal was
anderes“, erklärt Café-Mitarbeiterin Patricia, die die Idee aus Russland
mitgebracht hat. Ausgenutzt hätte die Flat-Rate im Panato noch niemand.
Drei der fünf Cafébetreiber können von ihren Einnahmen leben. Patricia
verdient sich als PR-Beraterin etwas dazu.
Café und Designstudio verstehen sich als soziales Unternehmen: Kein Chef,
alle zwölf Beschäftigten sind gleichberechtigt. „Wir sind wie eine
Patchworkfamilie“, schwärmt Konrad. „Mühsam“ sei die Entscheidungsfindu…
mitunter, ergänzt Patricia, aber der Aufwand lohne sich.
Beide lieben sie Nadodrze. Eine 2-Zimmer-Wohnung bekomme man hier schon für
umgerechnet 450 Euro warm. Innen seien viele Wohnungen inzwischen
renoviert. „Meine Tante hat ihre nach der Wende gekauft. Billig, aber das
Klo ist draußen auf halber Treppe“, erzählt die 33-jährige Patricia.
„Hier kann ich abends rausgehen, ohne mich vorher aufzubrezeln. Im
konservativen Krakau oder in Warschau ist das anders.“ Sie lobt die lockere
Atmosphäre und die freundlichen Menschen in der Stadt, obwohl die rechte
Kacziński-Partei PiS auch in Breslau bei der letzten Wahl zugelegt hat.
Dumpfbacken demonstrieren auch in Wrocław gegen Flüchtlinge, die sie noch
nie gesehen haben.
## Die neuen Bewohner
Bevor der Wandel begann, galt Nadodrze als gefährliches
Glasscherbenviertel, „wo die Zigeuner wohnten“. Als nach dem Zweiten
Weltkrieg die Deutschen fort waren, kamen die Umsiedler aus der heutigen
Westukraine und anderen Teilen Polens am hiesigen Bahnhof an. Anders als in
der zerbombten Innenstadt waren die meisten Häuser noch bewohnbar. Die
Neuankömmlinge zogen ein. Die nun polnische Stadt Wrocław richtete ihre
ersten Ämter in Nadodrze ein. Drum herum eröffneten die Neuankömmlinge
kleine Läden und Werkstätten, von denen viele die Zeitenwenden überlebt
haben.
Neuerdings ziehen immer mehr Studenten der nahen Universität in die immer
noch günstigen Wohnungen des Viertels. Künstler und junge Unternehmer
gründen Cafés, Galerien und Läden wie Panato mit ausgefallenen
Designprodukten.
Marketingmanager Konrad lobt das Quartier mit den alten Gebäuden,
versteckten Hinterhöfen und „den vielen coolen Leuten“. Auf den Straßen
liegt das preußisch-deutsche Kopfsteinpflaster der vorletzten
Jahrhundertwende. Seitdem ergrauen die bröckelnden Fassaden der vier- und
fünfstöckigen Quartiere. An einem Platz überdauert ein kreisrunder
Weltkriegs-Hochbunker nutzlos die Zeiten. Graffity-Künstler haben
Einfahrten mit leuchtend-bunten Wandbildern dekoriert.
## Noch ist Gentrifizierung ein Fremdwort
Die jungen Leute freuen sich über die Freiräume in Nadodrze. Viele
Alteingesessene bestaunen die bunten Gestalten der Moderne mit einer
Mischung aus Freude und Verunsicherung. Noch stehen einige Wohnungen und
Ladenräume leer, sodass die Mieten bezahlbar bleiben. Gentrifizierung ist
hier noch ein Fremdwort.
Im Infobüro, das die Stadt in der Erdgeschosswohnung eines Altbaus
eingerichtet hat, sitzt Edward Skubisz an einem der rohen Holztische. Der
65-Jährige ist in Holland aufgewachsen. Sein Vater war im Krieg Soldat der
Polnischen Heimatarmee. Aufseiten der Briten kämpfte er gegen die
Nazibesatzung und blieb nach 1945 in Breda. Erfahrungen, die Edward
prägten. Er gründete die Stiftung Dom Pokoju, Haus des Friedens, die in
Polen, den Niederlanden und Deutschland Versöhnungsprojekte fördert. Die
Stiftung hat zwei Tagebücher von Holocaust-Überlebenden herausgegeben und
organisiert Bildungsprogramme an Schulen. In Nadodrze richtet sie zusammen
mit Senioren aus dem Viertel ein Nachbarschaftsmuseum ein.
Auch Edward lobt seine Wahlheimat. Die Stadt kümmere sich um die große
Kultur wie um die kleine in den Vierteln. Überall sehe man in Wrocław die
Spuren der österreichischen, deutschen und der polnischen Geschichte.
Inzwischen hätten die Nationalitäten und Religionen ihren Frieden
miteinander gefunden.
27 Feb 2016
## AUTOREN
Robert B. Fishman
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