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# taz.de -- Hannelore Krafts NRW-Wahlkampf: Nah bei den Leuten
> In der westfälischen Provinz pflegt die Ministerpräsidentin ihr Image als
> Kümmerin. Ob das aber reicht? Sie scheint selbst zu zweifeln.
Bild: Den sozialdemokratischen Traum vom Aufstieg durch Bildung verkörpert die…
Bünde/Düsseldorf taz | „Kommse her! Hammse keine Angst“, ruft Hannelore
Kraft. In Nordrhein-Westfalen wird am kommenden Sonntag gewählt und deshalb
steht die Ministerpräsidentin von der SPD in der Fußgängerzone des
Städtchens Bünde. Die 55-Jährige ist auf Wahlkampftour durch Ostwestfalen.
Vor dem Billigkaufhaus Woolworth hat ihre Parteizentrale ein Format namens
„Das rote Sofa“ eingeplant: Auf einer kleinen Bühne sollen ganz normale
Leute mit Kraft plaudern. Und tatsächlich gelingt der Frau aus Mülheim an
der Ruhr eine ziemlich lässige Inszenierung von Nähe.
Die Couch der mächtigsten Landespolitikerin der Republik ist schnell
umlagert. 17 Jahre ist Kraft in der Politik. Wenn sie will, beherrscht sie
die Rolle der Spitzenpolitikerin, die bei aller Verantwortung menschlich
geblieben ist, nahezu perfekt: BürgerInnen, die ihr vorhalten, dass ihre
rot-grüne Landesregierung Schutzsuchende nach Afghanistan abschiebt, dankt
sie zuallererst für deren Engagement, das wirkt herzlich. In der Sache aber
bleibt sie hart. Manche Region am Hindukusch sei eben sicher – und als
Verantwortliche müsse sie dafür sorgen, dass in der Flüchtlingspolitik die
Akzeptanz der Bevölkerung erhalten bleibe: „Ich muss den Laden
zusammenhalten.“
Zusammenhalten muss Hannelore Kraft seit vergangenem Sonntagabend auch die
SPD. Da hatte Kraft noch einmal bekräftigt, „rund um die Uhr kämpfen“ zu
wollen und nachgeschickt: „Schleswig-Holstein ist nicht
Nordrhein-Westfalen.“ Die Sozialdemokraten im Norden waren gerade
gescheitert und landeten fast fünf Prozentpunkte hinter der CDU. An Rhein
und Ruhr geht es am Sonntag daher nicht nur um das bevölkerungsreichste
Bundesland, sondern auch um die Bundes-SPD.
## In NRW entscheidet sich Martin Schulz
Verlieren die Sozialdemokraten NRW mit seinen knapp 18 Millionen Einwohnern
kann Kanzlerkandidat Martin Schulz schon vier Monate vor der Bundestagswahl
einpacken. Doch die Diplom-Ökonomin, die NRW seit 2010 regiert, ist eine
Wahlkampfmaschine, nicht erst seit vergangenem Sonntag – und eine erfahrene
dazu. In Bünde verweist sie Kritik an einem Küchenhersteller, der ein
Naturschutzgebiet zur Erweiterung seiner Fabrik zubetonieren will, schnell
an die lokale SPD-Kandidatin Angela Lück: „Darum müsst ihr euch kümmern!“
Hannelore Kraft, die Kümmerin, nah bei den Leuten: In etwas mehr als einer
halben Stunde hat es die Sozialdemokratin aus dem Ruhrpott geschafft, ihr
allerliebstes Image zu transportieren. Ob das aber zum Machterhalt reicht –
daran scheint die Spitzenkandidatin inzwischen selbst zu zweifeln. Denn in
letzten Umfragen liegen ihre Sozialdemokraten mit 32 bis 33 Prozent mal
gleichauf, mal nur knapp vor der CDU ihres Herausforderers Armin Laschet.
Für Kraft, von der in der Landeshauptstadt Düsseldorf viele sagen, sie
hasse nichts mehr als Kontrollverlust, heißt das: Der nächste
Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens könnte tatsächlich Laschet heißen –
schließlich liegt auch die FDP mit ihrem hyperaktiven Chef Christian
Lindner bei zwölf bis 13 Prozent.
Ein sozialliberales Bündnis schließt Kraft deshalb nicht aus – Rot-Rot-Grün
aber sehr wohl: „Mit mir als Ministerpräsidentin wird es keine Regierung
mit Beteiligung der Linken geben“, tönte sie am Mittwoch im WDR – und
sprang damit über ein Stöckchen, das ihr CDU-Oppositionsführer Laschet, der
Linke und AfD gern als „Extremisten“ gleichsetzt, seit Monaten hingehalten
hat. „Ich kämpfe allein für die SPD“, betont Kraft. Allein bleiben damit
auch die Grünen, die in ihrem Kabinett drei MinisterInnen stellen, aber
seit Januar von zweistelligen Umfragewerten auf sieben Prozent abgestürzt
sind.
Dabei galt Kraft vor einem Jahr selbst als abgeschrieben. Schon zwischen
Dezember 2015 und Mai 2016 lag Laschets CDU vorn. Die Ministerpräsidentin
dagegen wirkte müde und erschöpft. Fünf Tage brauchte sie, um die
Übergriffe der Silvesternacht in Köln mit einer dürren Erklärung zu
verurteilen. Wie verdampft schien das Bild der warmherzigen Frau, die
Angehörige der Opfer der Loveparade-Katastrophe und des
Germanwings-Flugzeugabsturzes tröstend in den Arm nahm.
## „Wir können gern nachliefern“
Zuvor war Kraft schon bei einem schweren Unwetter, dass in Münster zwei
Menschen das Leben kostete, mit einer seltsamen Ausrede abgetaucht: Bei
einer Schiffsreise in Brandenburg habe sie „keinen Empfang“ gehabt, sei
tagelang nicht erreichbar gewesen, erklärte die Regierungschefin ernsthaft.
Vor der Landespressekonferenz, die sie monatelang gemieden hatte, legte sie
einen bemitleidenswerten Auftritt hin: „Geben Sie mir eine Minute“,
stammelte sie auf die Frage nach ihren großen Linien. „Ich finde es nicht“,
meinte sie dann. „Wir können Ihnen gern nachliefern, was noch an großen
Themen dabei ist.“
Viele JournalistInnen betrachteten die Ministerpräsidentin danach weniger
wohlwollend. „Die Kraftlose“ titelte Bild, „Sie will: nichts“ die Zeit.…
„Nordrhein-Versagen“ schrieb das Blog Ruhrbarone. Kern der Kritik: NRW sei
ein „failed state“ mit hoher Arbeitslosigkeit und Armut, geringen
Investitionsquoten – und mit einem Wirtschaftswachstum nahe null, einer
verrotteten Infrastruktur aus Straßen und Schienen zumindest Schlusslicht
aller westdeutschen Flächenländer.
Außerdem habe sich Kraft mit dem Versprechen gegenüber ihrer
Landtagsfraktion, sie werde „nie, nie als Kanzlerkandidatin antreten“,
bundespolitisch selbst entmachtet. Verspielt habe die
Wirtschaftswissenschaftlerin damit die Sonderstellung Nordrhein-Westfalens
– was sich auch daran zeige, dass sie die Verhandlungen über den
Länderfinanzausgleich Hamburgs SPD-Oberbürgermeister Olaf Scholz überlassen
habe.
## Ein schwieriges Jahr
Auch privat war 2016 für Hannelore Kraft schwierig. Erst kämpfte sie
monatelang mit den Folgen einer Lungenentzündung. Dann starb im September
ihre Mutter Anni Külzhammer. Zusammen mit ihrem Mann Udo hat Kraft im
Mülheimer Stadtteil Dümpten mit der 81-Jährigen Tür an Tür in einem
Doppelhaus gewohnt – wie sehr sie ihre Herkunft geprägt hat, macht die
Politikerin schon auf ihrer Homepage klar: Ihr Vater Manfred, der nur 50
Jahre alt wurde, arbeitete wie die Mutter bei der Straßenbahn in
Wechselschicht. Als erste in der Großfamilie machte Kraft 1980 Abitur. Den
sozialdemokratischen Traum vom Aufstieg durch Bildung verkörpert die
Ministerpräsidentin persönlich.
Heute aber will die Mülheimerin vom „Schlusslicht-Gequatsche“ der
Opposition nichts mehr hören: Um 1,8 Prozent sei die Wirtschaft 2015
gewachsen. Im Ranking der Länder liege NRW damit auf Platz sechs, nur knapp
unter dem Bundesdurchschnitt von 1,9 Prozent. „Bayern überholen wir auch
noch“, verspricht Kraft bei jedem ihrer Auftritte: „Die haben auch nur ein
Wachstum von 2,1 Prozent.“
Gegen den Bundestrend um 0,7 Prozent gesunken ist auch die Kinderarmut,
rechnet zumindest die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung vor.
Vorwürfe, das zentrale Projekt „Kein Kind zurücklassen“ von SPD und Grün…
funktioniere nicht, laufen damit ins Leere. Grund für die Hunderte
Kilometer Stau, die Nordrhein-Westfalens Autobahnen werktags oft in
Parkplätze verwandeln, ist dagegen die Flexibilität der WählerInnen selbst:
Gerade aus dem strukturschwachen Ruhrgebiet fahren jeden Morgen
Hunderttausende ins boomende Rheinland. Allein die Landeshauptstadt
Düsseldorf zählt knapp 300.000 Einpendler.
Wenig bekannt ist Krafts Position zum Mindestlohn von aktuell 8,84 Euro.
Obwohl der nicht einmal für eine Rente auf Grundsicherungsniveau reicht,
ist sie gegen jede Erhöhung, fürchtet Jobverluste im Niedriglohnbereich.
Kritisiert wird sie dafür aber nur von der Linken. Auch in der
Energiepolitik ist Kraft eine typische Repräsentantin der
strukturkonservativen NRW-SPD: Als ihr grüner Umweltminister Johannes
Remmel die Stilllegung von zehn klimaschädlichen Kohlekraftwerken forderte,
distanzierte sich die Sozialdemokratin sofort: „Das ist nicht die Position
der NRW-Landesregierung.“
## Auf Kritiker reagiert sie ungnädig
Unsympathisch wirken könnte aber vor allem ihre größte Schwäche. Auf Kritik
nicht nur von JournalistInnen reagiert sie oft mehr als gereizt – selbst
bei Wahlkampfauftritten wie ihrer Tour durch Ostwestfalen: Als sie während
ihrer Abschlusskundgebung in der Ravensberger Spinnerei, einem
Industriedenkmal in Bielefeld, schon wieder auf Abschiebungen nach
Afghanistan angesprochen wird, verzieht die Spitzenkandidatin das Gesicht
wie in manchen Pressekonferenzen. „Wir sind anderer Meinung, tut mir leid“,
sagt sie dann scharf – und beendet so schnell jede Diskussion.
Die vielen GenossInnen im Saal schweigen fast schockiert: Plötzlich
herrscht peinliche Stille.
13 May 2017
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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