# taz.de -- Drei Liebeserklärungen an NRW: „Nur rumsitzen ist nix für uns“ | |
> Gemeinschaftsgefühl trotz Bindestrich, rheinische Heiterkeit und | |
> Erinnerungen ans Herrengedeck. | |
Bild: Schön Rhein-Chillen in Köln | |
## „Am Abo wird zuerst gespart“ | |
Ein Land mit der Wirtschaftsmacht der Türkei: 646 Milliarden | |
Bruttoinlandsprodukt! Mit der Meinungsvielfalt von, nun ja: der Türkei. Wie | |
kriegt man das hin? Will man wissen, was das liberale München denkt, wie es | |
dem Geld in Frankfurt behagt oder was dem Hanseaten auf den Pfeffersack | |
geht: SZ, FAZ, Spiegel, Stern.Es ist das menschliche Antlitz des | |
Föderalismus: Von einer Berliner Vorherrschaft in der veröffentlichten | |
Meinung kann keine Schreibe sein. | |
Wir hingegen haben nichts zu sagen und tun das auch gern leise. Unser | |
Wappentier ist der Gedankenstrich zwischen Nordrhein und Westfalen, man | |
denkt sich seinen Teil. Die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post | |
eröffnet an lauen Tagen die Zugabe in der Presseschau. Der Funke-Konzern | |
formerly known as WAZ-Gruppe wurde lange vom SPD-Spezialagenten Bodo | |
Hombach geführt. Ein WDR-Pressesprecher wurde Chefredakteur. Gemeinsam sind | |
Funke und WDR an der einzigen Lokalradio-Kette Radio NRW beteiligt. | |
Das könnte man Filz nennen, wäre es nicht Notwehr: Der Zeitungskonzern hat | |
sich mit dem Erbe der Springer-Gruppe Verluste gekauft. Die SPD verkaufte | |
Funke ihre Westfälische Rundschau, die seither aus einem Chefredakteur | |
besteht und dem Inhalt des CDU-nahen Lensing-Wolff-Verlags. „Die Herzkammer | |
der Sozialdemokratie“, also Dortmund, liest rechts oder nichts. Am Abo wird | |
zuerst gespart, wenn Gratisblättchen die Briefkästen vermüllen, die der | |
Zeitungskonzern gleich selber herstellt. Köln liefert mit dem Express eine | |
Unmöglichkeit: eine liberale Boulevardzeitung. | |
Dass aus dem Bindestrich ein Bundesland mit immerhin losem | |
Gemeinschaftsgefühl wuchs, ist dem Landessender WDR zu verdanken. In | |
freier Wildbahn waren Rheinländer und Westfalen Fressfeinde, ohne | |
Dolmetscher hilflos. Der Landessender schaltet sich zur Primetime in elf | |
Regionen auseinander: Münsterland, Ostwestfalen, Siegerland, Eifel, | |
Niederrhein – das bringt ordentlich Quote und kostet unordentlich viel | |
Geld: eine halbe Stunde TV zum elffachen Preis. Der ehedem „Rotfunk“ | |
genannte WDR quält sich mit einer überfälligen Modernisierung, rangelte mit | |
dem „Bangladesch der ARD“, dem RBB, zeitweise um die Schlussposition in | |
den ARD-Charts. | |
4.500 WDR-Mitarbeiter hüben, 3.000 Mitarbeiter drüben überm Rhein, bei der | |
Mediengruppe RTL. Effizienz, Erfolg, Liberalität im Bertelsmann-Groove: | |
Wenn man mit gutem Journalismus Geld verdienen kann – warum nicht? | |
In den Neunzigern beschied das bis heute unersetzte SPD-Hirn Peter Glotz | |
trotzig-resigniert: „Medienpolitik ist Standortpolitik.“ Das hat | |
funktioniert. Friedrich Küppersbusch | |
## „Das stimmt mich direkt heiter“ | |
Ich könnte mich hier jetzt mit der Armut in vielen Gebieten, mit von | |
öffentlicher Hand offenbar vergessenen Gemeinden, mit zerfallenden Schulen, | |
mit dem Gießkannenprinzip der Politik befassen, aber ich schreibe doch | |
lieber über die Menschen, die dieses Bundesland so prägen. | |
Das stimmt mich direkt heiter, denn im Rheinland und im Ruhrgebiet, wo ich | |
mich beheimatet fühle, sind die Menschen nahbar. Hier bekommst du im Alltag | |
grundlos ein Lächeln zugesteckt im Bus, an der Kasse, auf der Straße. Weil | |
hier Menschen leben, bei denen die Mundwinkel hochwollen und nicht runter. | |
Die mit den hängenden Mundwinkeln gibt es auch, klar, das ist dann die | |
Geschichte von den schwarzen Schafen. Der gesunde Rheinländer fühlt sich | |
von missgelaunten Mienen geradezu aufgefordert, bis zum Ende der zufälligen | |
Begegnung all seine Mittel abzurufen, die das Gegenüber erheitern. Denn wir | |
sind uns hier sicher: Schlechte Laune braucht Gegensteuerung, wie | |
Schmerzen, die sollen ja auch nicht chronisch werden. | |
Wir Rheinländer suchen ständig die Gegend ab nach jemandem, der sich von | |
uns kurz und knackig unterhalten lassen will. Auch wenn er nicht will. Dann | |
hat man es wenigstens versucht. Und es war einem nicht langweilig. An der | |
Haltestelle nur rumsitzen ist nix für uns. In den zehn Minuten kann man | |
wunderbar über Arztbesuche sprechen, über Enkel, Wetter, Einkäufe, Nazis – | |
oder auch schon mal ein Kompliment raushauen. | |
Wenn du dich mit vier Taschen in den Zug hineinquälst, packt im Kölner | |
Hauptbahnhof der hinter dir Einsteigende mit einem: „Da han Se sisch äwwer | |
vill vorjenommen!“ selbstverständlich zwei deiner Taschen. | |
Hier geht man angenehmerweise stets davon aus, dass der andere gerade deine | |
Hilfe oder zumindest einen aufmunternden Spruch gebrauchen kann. | |
Ich liebe das. In die Isolation kann sich ja jeder wieder daheim begeben; | |
wenn ich mich unter Menschen befinde, rührt es mein Herz, wenn zwei | |
Wildfremde in der Bahn nebeneinandersitzen und zusammen auf ein | |
Kinderwagenkind einreden. | |
Oder wenn ich meinem Sohn im Bus – ich dachte, leise – das Prinzip des | |
Ohrenwackelns erkläre und eine Dame, die vor uns sitzt, sich umdreht und | |
sagt: „Gleich macht der ganze Bus mit, ich probier auch schon.“ | |
Ihr Herz muss aus Stahl sein, wenn Sie im Taxi nicht platzen vor Lachen | |
über folgenden Text: „Die han hück all zu vill Glutamat jefresse, ja, oder? | |
Anders kann dat ja nit! Mann, Mann, Mann, wat die sisch da hück | |
zosammefahre! Jehirnsallat, wenn Se misch fraren!“ | |
Ach, ich sollte mich ja kurzfassen. Hilfe, das war doch erst der Anfang! | |
Cordula Stratmann | |
## „Kartoffelpuffer und Korn“ | |
Nordrhein-Westfalen war meine Kindheit, meine Jugend. Es gibt kein | |
Bundesland, in dem ich lieber aufgewachsen wäre. Ich bin in Hamm geboren, | |
die Stadt kenne ich aber nur von meinem Ausweis. Als ich zwei Jahre alt | |
war, sind wir 100 Kilometer weiter Richtung Norden gezogen, nach | |
Ibbenbüren. | |
Wenn ich an die Stadt denke, denke ich sofort an Steinkohle. Dort existiert | |
ja noch immer eines der zwei letzten Steinkohlebergwerke im Land, eine der | |
letzten Zechen, in denen noch abgebaut wird. Die ganze Region wird von der | |
Steinkohle regiert. | |
Und ich war Teil davon. Habe mit 17 eine Ausbildung gemacht zum | |
Facharbeiter Bergmechanik und war dann drei Jahre unter Tage. Damals waren | |
es noch 8.000 Kumpel. Heute sind es nur noch 2.000. Nächstes Jahr ist | |
Schluss, dann laufen die Subventionen aus. Eine Ära geht zu Ende. Aber die | |
Menschen können sich anpassen, da bin ich mir sicher. | |
NRW bedient einfach alles, vom hart arbeitenden Menschen im Bergwerk bis | |
hin zur Hochtechnologie. Manche Klischees stimmen eben nicht. Natürlich | |
befindet sich vieles im Umbruch, ist marode, die Industrie liegt am Boden, | |
wird gesagt. Aber das schaffen die schon. | |
Und auch sonst hat sich viel geändert. Früher haben wir anders gegessen zum | |
Beispiel. Superlecker. Himmel und Erde, Kartoffelpuffer, Pommes rot-weiß. | |
Nicht so viel gesunden Kram wie heute. Und so schicke Getränke gab’s auch | |
nicht. Craft Beer und Moscow Mule. Klar, meine Mutter hatte auch mal ein | |
Glas Wein getrunken, aber das war dann schon was Besonderes. Sonst gab es | |
Pils. Und natürlich das Herrengedeck: Bier und Korn. Früher hatte auch | |
niemand einen Wäschetrockner, in jedem Garten gab es Wäscheleinen und | |
Teppichstangen. | |
Zu meinem Bild von NRW gehört auch, dass die Menschen schon immer herzlich | |
waren. Und offen. Ich bin ja Westfale, und denen sagt man gerne mal nach, | |
dass sie stur sind. Habe ich nie so empfunden. | |
Seit ich 22 bin, habe ich nicht mehr in NRW gelebt, damals bin ich weg nach | |
dem Zivildienst, nach Hamburg auf die Schauspielschule. Wenn ich heute in | |
NRW bin, dann meistens in Köln. Dort drehe ich seit 20 Jahren den „Tatort“. | |
Die Stadt ist Teil meines Herzens. So wie das ganze Land. Klaus J. Behrendt | |
14 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Friedrich Küppersbusch | |
Cordula Stratmann | |
Klaus J. Behrendt | |
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