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# taz.de -- Abschiebungen nach Somalia: Was heißt schon freiwillig?
> Millionen Somalier leben im Ausland. Der Druck heimzukehren, steigt. Das
> bekommen auch Flüchtlinge in Deutschland zu spüren.
Bild: Straßenszene in der somalischen Hauptstadt Mogadischu nach einer Explosi…
Berlin taz | Will Deutschland nach afghanischen Flüchtlingen bald auch
somalische Schutzsuchende abschieben? Bisher haben die deutschen Behörden
noch keine Somalier in das von Bürgerkrieg, Terror und Hunger zerrüttete
Land am Horn von Afrika zurückgezwungen. Aber der Druck wächst. Immer
häufiger werden Flüchtlinge aus Somalia aufgefordert, freiwillig
zurückzukehren. Andernfalls würden sie in ihre Heimat oder einen anderen
Staat abgeschoben, der sie aufnehmen will.
Einer von denen, die jetzt in großer Sorge sind, ist der 18jährige Ahmed
Muse in Berlin. Er berichtet, dass er als Kind von der – vor über einem
Jahrzehnt in Somalia entstandenen – Terrormiliz al-Shabaab entführt und für
den Kampf im „Heiligen Krieg“ militärisch ausgebildet worden sei. Mit
seinem Bruder und anderen Kindersoldaten sei er jedoch bei seinem ersten
militärischen Einsatz geflohen. Al-Shabaab habe ihn wieder eingefangen. Die
meisten anderen der geflohenen Kindersoldaten seien erschossen worden.
Davongekommen sei er nur, weil es gerade einen militärischen Angriff
gegeben habe und er in dem Chaos weglaufen konnte. Nach drei Jahren in
verschiedenen afrikanischen Staaten sei er in Deutschland gelandet, wo er
seit 2015 lebt.
Ahmed Muses Asylantrag wurde abgelehnt. Begründung: „Soweit der
Antragsteller vorträgt, bei seiner Rückkehr nach Somalia könne er erneut in
die Hände von al-Shabaab geraten und diese würden ihn töten, handelt es
sich grundsätzlich um ein allgemeines Problem [. . .], welches jedoch nicht
die asylrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschreitet“, heißt es in
seinem Asylbescheid.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) räumt ein, dass in
Somalias Hauptstadt Mogadischu 1.400 Zivilisten binnen sechs Monaten
getötet wurden. Aber: „Bei Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von einer
Million und selbst unter Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer ist
festzustellen, dass konfliktbedingte Ereignisse nicht so häufig sind, dass
jeder Rückkehrer damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden“,
heißt es.
## Reaktionen sind oft Panik und psychische Probleme
Ahmed Muse ist kein Einzelfall: Sein Landsmann Abdilkadir* soll ebenfalls
aus Berlin nach Somalia zurückkehren. Er stamme aus einer wohlhabenden
Familie, berichtet der junge Mann, und sei von al-Shabaab schwer gefoltert
worden, um von ihm Geld zu erpressen. In seinem Asylbescheid heißt es, die
Terrormiliz sei eine nichtstaatliche Organisation – und sein Schicksal
daher nicht asylrelevant.
Als Abdilkadir das Schreiben erhielt, reagierte er panisch, versuchte
vergeblich, nach Großbritannien zu gelangen, kehrte schließlich aus
Nordfrankreich nach Berlin zurück.
Auch sein Landsmann Hassan Bashir*, der heute in Brandenburg lebt, hat bei
seiner Asylanhörung berichtet, dass er von der Terrormiliz zwangsrekrutiert
und dort gefoltert worden sei. In seinem Ablehnungsbescheid heißt es:
„Al-Shabaab dürfte grundsätzlich kein großes Interesse daran haben,
unbedeutende Flüchtlinge aufzuspüren und zu bestrafen.“
Hassan Bashirs Anwältin Oda Jentsch hat in den letzten Monaten mehrere
solche Fälle erlebt – und die Folgen für die Betroffenen beobachtet: „Die
Mandanten reagieren panisch und werden psychisch krank“, berichtet sie. Das
beträfe nicht nur die Männer, die von der Terrormiliz zwangsrekrutiert
wurden. Jentsch weiß auch von Frauen, die vergewaltigt und
zwangsverheiratet wurden.
## „Nichts anderes gelernt als Asylanträge abzulehnen“
Abgelehnte Asylanträge sind in der Regel mit der Aufforderung zur Ausreise
verbunden – und zugleich wird die Abschiebung angedroht, sollte man nicht
von selbst gehen. Dieses Vorgehen entspreche der Rechtslage, erklärt eine
Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Zwar fänden „derzeit keine
Rückführungen nach Somalia“ statt, man fördere aber freiwillige Rückkehre…
Das seien im vergangenen Jahr 22 und in diesem Jahr 3 Personen gewesen.
Wie die Bundesländer mit Somaliern verfahren, die nicht als Flüchtlinge
anerkannt werden, ist unterschiedlich: Mancherorts kürzen die Behörden die
Sozialleistungen von 409 auf 201 Euro monatlich. In einem anderen Fall
gewährte das Bundesamt einem Somalier zwar nicht Asyl, sprach aber in dem –
der taz vorliegenden – Ablehnungsbescheid zugleich ein Abschiebeverbot aus.
Begründung: In Somalia herrsche Anarchie und Terror.
Warum urteilen die Behörden mal so und mal so? Bernd Mesovic von Pro Asyl
sieht ein Problem in der unterschiedlichen Qualifikation der Mitarbeiter
des Bundesamts: „Da ist vieles im Moment außer Rand und Band. Einige neu
eingestellte Mitarbeiter wurden zuerst für Balkanflüchtlinge eingesetzt und
scheinen nichts anderes gelernt zu haben, als Asylanträge abzulehnen. Das
wichtigste Ziel im Bundesamt ist es zurzeit, viele Asylanträge bis zu den
Bundestagswahlen zu entscheiden. Dabei gibt es viel Schlamperei.“ Eine
freiwillige Rückkehr hält Mesovic für ausgeschlossen: „Da wirkt die
Terrormiliz. Es gibt keinen Staat. Und Somalia ist eine extreme
Clan-Gesellschaft. Man kann nicht ohne Gefahr durch fremde Clan-Gebiete
reisen, geschweige denn sich dort niederlassen.“
Auch die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg (Grüne) hält es für
unverantwortlich, Somalier zur „freiwilligen“ Ausreise zu drängen: „Neben
der dramatisch schlechten Sicherheitslage in dem Land sind nach Angaben der
UN über 6 Millionen Menschen in Somalia auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Zehntausende Menschen sind
akut vom Hungertod bedroht, denn in dem Land herrscht eine anhaltende
Dürre.“
11 May 2017
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Somalia
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Abschiebung
Terrormiliz
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