# taz.de -- Schwimmendes AKW in Russland: Strahlende Hoffnung im Nirgendwo | |
> Russland will seine nördlichste Stadt mit schwimmender Atomkraft | |
> versorgen. Im Katastrophenfall wäre das AKW für schnelle Hilfe | |
> unerreichbar. | |
Bild: Nuklearkoloss: Die „Akademik Lomonossow“ schwimmt im Hafen von St. Pe… | |
BERLIN taz | Noch prägen Möwenschreie den verschlafenen Hafen von Pewek, | |
einer Stadt am Polarkreis im Fernen Osten Russlands. Doch schon bald | |
könnten die lautstarken Vögel von den Arbeiten zur Befestigung der | |
Uferanlagen übertönt werden. Denn dort soll ein riesiger Lastkahn vor Anker | |
gehen. | |
Die „Akademik Lomonossow“, Russlands erstes schwimmendes Atomkraftwerk, | |
wird in den nächsten Wochen oder Monaten – wann genau, ist geheim – den | |
Hafen von St. Petersburg verlassen und auf eine etwa 10.000 km lange Reise | |
in Richtung Pewek gehen. Zwei Schiffe werden das Kraftwerk, das als | |
Lastkahn keinen eigenen Motor hat, begleiten: ein Eisbrecher, der den Weg | |
über das Nordpolarmeer freiräumt, und ein weiteres Schiff, das die | |
„Akademik Lomonossow“ ins Schlepptau nimmt. Zwei Atomreaktoren mit einer | |
Leistung von jeweils 35 Megawatt wird der Kahn mit sich führen. | |
Seit 1989 ist die Bevölkerung von Pewek von 12.000 auf knapp 5.000 | |
geschrumpft. Wer hier, wo es keinen einzigen Baum im Straßenbild gibt, | |
lebt, träumt vor allem von einem Leben in einer wärmeren Gegend. Ab und zu | |
mal verirrt sich ein Bär in die Stadt. Dann darf niemand die Wohnung | |
verlassen, muss der Katastrophenschutz gerufen werden. | |
Immer wieder ist es ein besonderes Ereignis, wenn ein Flugzeug landet oder | |
sich ein Schiff im Hafen einfindet. Dann gibt es wieder frische Waren in | |
den Geschäften. „Obst können wir uns nur am Wochenende leisten“, berichtet | |
eine Bewohnerin. Das Leben ist teuer in der Stadt, die logistisches Zentrum | |
für die Goldsuche in der Region Tschukotka ist, teurer als in Moskau. Ein | |
Kilo Äpfel kostet 8 Euro, 10 Eier fünf Euro. | |
## Versorgung ja, Stromnetze nein | |
In der nördlichsten Stadt Russlands, deren Bewohner sich in den | |
Wintermonaten nicht ohne Taschenlampe aus dem Haus wagen, weil es dann nie | |
richtig Tag wird und bis zu 45 Minusgrade herrschen, hofft man, dass es | |
aufwärts gehen könnte mit der Stadt. Mit Russlands erstem schwimmendem | |
Atomkraftwerk direkt vor Pewek. | |
Sergej Sawjalow, Zuständiger beim russischen AKW-Betreiber „Rosenergoatom“, | |
sagt einen Aufschwung der Stadt voraus. Das schwimmende Atomkraftwerk werde | |
die Region fördern und Arbeitsplätze schaffen, so Sawjalow. Am 4. April | |
hatten die Bewohner der Ortschaft in einer öffentlichen Anhörung die Pläne | |
zur Ansiedlung des schwimmenden Atomkraftwerkes am Ufer ihrer Stadt | |
gebilligt. | |
Noch bezieht Pewek seinen Strom aus dem 250 Kilometer entfernten | |
Atomkraftwerk Bilibino. Doch das einzige AKW im Permafrost soll 2021 vom | |
Netz genommen werden. Und dann, so Sawjalow gegenüber dem Internetportal | |
gazeta.ru, müsse das schwimmende AKW mit seinen 70 MW Leistung Pewek | |
versorgen. Doch das dürfte kein Problem werden, die beiden schwimmenden | |
Reaktoren können, so Sawjalow, eine Stadt von bis zu 100.000 Einwohnern mit | |
Strom versorgen. Gleichzeitig räumt er aber auch ein, dass hierfür gute | |
Stromnetze erforderlich seien. Und die seien derzeit leider in einem sehr | |
„traurigen Zustand“. | |
Professor Georgij Tichomirow vom nationalen Atomforschungsinstitut „Mifi“ | |
ist begeistert. Wird die Arktis für die Schifffahrt und auch eine | |
Ausbeutung der Rohstoffe zugänglich, könnte Pewek ein guter Stützpunkt | |
werden. „Sollten in der Arktis Ölvorkommen entdeckt werden, ist es logisch, | |
dass dort dann auch schwimmende Atomkraftwerke zum Einsatz kommen“, so der | |
Professor. Die schwimmenden AKW sollen offensichtlich die Infrastruktur | |
liefern, die für das Einrichten kleiner Trabantenorte im Polarkreis | |
erforderlich ist. So sollen sie etwa Meerwasser entsalzen. | |
Doch zunächst sind noch einige Testläufe erforderlich, müssen die Reaktoren | |
direkt auf der Werft von St. Petersburg in Probeläufen angefahren werden. | |
Ende Dezember hatte die St. Petersburger Werft „Baltijskij Zavod“, die die | |
„Akademik Lomonossow“ gebaut hat, erklärt, diese sei nun bereit für ein | |
Beladen mit radioaktivem Brennstoff. Der riesige rostbraune Lastkahn | |
überragt alle anderen Schiffe im Industriehafen von St. Petersburg auf der | |
Wasilewskij Insel im Fluss Newa. Von hier aus soll das 144 Meter lange und | |
30 Meter breite Ungetüm seine Reise über das Meer zum Polarkreis antreten. | |
2020 wird die 500 Millionen Euro teure „Akademik Lomonossow“ den ersten | |
Strom für Pewek liefern. | |
## Ein Geschenk für Terroristen? | |
Umweltschützer kritisieren das schwimmende Atomkraftwerk. „Mitten in St. | |
Petersburg, mit 5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Russlands, | |
sollen die beiden Reaktoren in Probeläufen angefahren werden“, kritisiert | |
Raschid Alimow, Direktor der Energieprogramme der russischen Sektion von | |
Greenpeace, das Projekt. Nur einen Kilometer von der Fabrik entfernt sei | |
eine Musikschule für Kinder, so Alimow. Gleichzeitig schließt der | |
Greenpeace-Sprecher auch ein Kapern des schwimmenden AKW durch Terroristen | |
nicht aus. „Das ist ein Geschenk für Terroristen“ so Alimow. | |
Das AKW sei absolut sicher, entgegnet Atomwissenschaftler Tichomirow. Da | |
die Reaktoren im Falle eines Erdbebens oder eines Tsunamis durch eigens | |
eingebaute Stelzen auf dem Wasser etwas nach oben gehoben würden, sei ein | |
Unglück wie in Fukushima von vornherein ausgeschlossen, zitiert inosmi.ru | |
den Atomwissenschaftler. Auch sieht er keine Gefahr durch Terroristen. Noch | |
nie hätten Terroristen versucht, ein Atomkraftwerk zu kapern, so der | |
Wissenschaftler. Die Region Tschukotka sei allein schon durch seine | |
Abgelegenheit sicher. | |
Doch genau dies stelle ein weiteres Risiko dar, erklärt Umweltschützer | |
Raschid Alimow von Greenpeace: Gerade weil schwimmende AKWs für schwer | |
zugängliche Gebiete gebaut seien, sei es im Falle eines Unfalls sehr | |
schwer, unverzüglich Hilfe zu schicken. Die Stadt Pewek ist nur aus der | |
Luft und auf dem Seeweg erreichbar. Alle 12 Jahre, so die Planung, sollten | |
die abgebrannten Atombrennstäbe entladen und sollten anschließend neue | |
Brennstäbe beladen werden. Dieser Vorgang dauert mehrere Monate. „Und was | |
ist in diesen Monaten mit der Stromversorgung von Pewek?“, fragt Alimow. | |
Gleichzeitig kritisiert Alimow, dass es in St. Petersburg keine | |
öffentlichen Anhörungen zum geplanten Probelauf von zwei Atomreaktoren | |
mitten in der Stadt gegeben habe. Außerdem hätte Russland entsprechend der | |
ESPOO-Konvention, die bei grenzüberschreitenden Umweltrisiken eine | |
Beteiligung der Nachbarstaaten vorschreibt, die Nachbarstaaten auf dem | |
Laufenden halten müssen. Doch die russischen Behörden vergleichen das | |
schwimmende Atomkraftwerk mit atomar betriebenen Eisbrechern, deren | |
Reaktoren größer sind als die der „Akademik Lomonossow“ und die auch ohne | |
Hearings betrieben werden. | |
## Interesse an Hochwasser-AKWs | |
Die russische Atomwirtschaft erhofft sich mit ihrem ersten schwimmenden | |
Atomkraftwerk eine gute Ausgangsposition in einem Zukunftsmarkt. Schon 2010 | |
hatte die Taufpatin des Lastkahns bei seiner Fertigstellung, die damalige | |
Gouverneurin von St. Petersburg und heutige Vorsitzende des Russischen | |
Föderationsrates, Walentina Matwienko, von einer „Auferstehung der | |
Atomenergie“ gesprochen. Nun sei die Atomenergie mobil geworden, so die | |
damalige Gouverneurin, könne man in jede Ecke Russlands ein schwimmendes | |
Atomkraftwerk entsenden. | |
Das schwimmende AKW von Pewek soll als Prototyp aber auch zeigen, dass | |
Russland schwimmende Atomkraftwerke bauen kann. Inzwischen haben Länder wie | |
Malaysia, Südkorea, Mosambik, Namibia, Indien und Vietnam Interesse am Kauf | |
von schwimmenden Atomkraftwerken aus Russland gezeigt. Rosatom, die | |
russische Atomenergieagentur und Besitzerin der schwimmenden AKW, will | |
diesen Ländern schwimmende AKW zum Leasen anbieten. | |
Russland will offensichtlich eine Serienproduktion von schwimmenden | |
Atomkraftwerken starten – in direktem Wettbewerb mit China. China will bis | |
2019 den ersten Protoyp eines eigenen schwimmenden Atomkraftwerks gebaut | |
haben. Auch dieses solle bei der Förderung von Öl und Gas in schwer | |
zugänglichen Gebieten und der Entsalzung von Meerwasser eingesetzt werden, | |
berichtet das russische Internetportal vz.ru. Mittelfristig plane China den | |
Bau von 20 schwimmenden Atomkraftwerken, schreibt das Internetportal. | |
In den USA hingegen scheint man von schwimmenden Atomkraftwerken genug zu | |
haben. Ein kleines schwimmendes Atomkraftwerk, die „Sturgis“ mit einer | |
Kapazität von 10 MW, hatte zwischen 1968 und 1975 den Panamakanal mit Strom | |
versorgt. Noch heute bereitet dieses AKW den amerikanischen Behörden | |
Kopfzerbrechen. 34 Millionen Dollar musste die US-Army für den Rückbau des | |
Atomreaktors der „Sturgis“ bezahlen, der 2018 abgeschlossen sein soll. | |
Gekostet hatte der Bau des schwimmenden US-amerikanischen Atomkraftwerks | |
gerade einmal 17 Millionen Dollar. | |
11 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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