Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Front National im Wahlkampf: Das weiße Frankreich gegen den Rest
> Die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, setzt bei ihrem
> Auftritt auf klare Feindbilder. Über Vorwürfe wegen Korruption verliert
> sie kein Wort.
Bild: Verteilt Küsschen, aber nur an ihre Anhänger: Marine Le Pen
PERPIGNAN taz | Die Frau, die von allen, die die EU zerstören wollen, die
besten Chancen hat, ihr Vorhaben wahr zu machen, verliert keine Minute: Es
ist genau 15 Uhr am Karsamstag im südfranzösischen Perpignan, als Marine Le
Pen auf die Bühne des düsteren, oberen Saals des Kongresszentrums tritt.
Sie trägt einen schwarzen Blazer, die blonden Haare offen, in einer Woche
will sie Präsidentin Frankreichs werden, aber vorher ist Ostern und Le Pen
begrüßt „die Christen und die Juden“ denen sie zur „Wiederauferstehung …
souveränen Nation“ zu verhelfen gedenkt.
Eine Stunde wird sie beschwören und flüstern, schreien und flehen, drohen
und warnen, eine Stunde voller Halbwahrheiten und Übertreibungen und auch
Lügen, aber im Grunde ist mit der Begrüßung schon alles gesagt: Das weiße
Frankreich gegen den Rest der Welt, darum geht es hier.
Am Vortag war bekannt geworden, dass Pariser Untersuchungsrichter beim
EU-Parlament beantragt haben, Le Pens Immunität wegen Korruptionsverdacht
aufzuheben. Kein Wort verliert sie darüber, dafür schimpft sie umso mehr
auf die „Technokraten und Diebe“ in Brüssel.
1.500 Menschen sind gekommen, um ihr dabei zuzuhören. „Im Namen des Volkes“
heißt die Wahlveranstaltung, ein einzelner Nazi mit „Thor“-Tätowierung am
Unterarm ist zu sehen, ansonsten ist das Publikum bürgerlich bis
kleinbürgerlich, die Journalisten zahlreich. „Lügenpresse“ ruft hier
keiner. Viele Alte sind da, für sie gibt es eine Art Ehrentribüne mit
Sitzplätzen, der Rest muss stehen.
Vor der Halle buhen Demonstranten des linken Gewerkschaftsbundes CGT die Le
Pen-Fans aus, zahlenmäßig sind sie in der Minderheit. Bei den
Regionalwahlen 2015 holte der FN im Departement Pyrénées-Orientales 44
Prozent, die Liste führte hier der EU-Abgeordnete Louis Aliot. Der kommt
heute als Einpeitscher auf die Bühne; er lässt keine Zweifel daran, dass
Frankreich kurz vor dem Ende steht, davor bewahren könne es nur die
„nationale Alternative“ – seine Lebensgefährtin Marine Le Pen.
## Das Böse hat einen Namen
Die gelobt nun, „nicht der Vizekanzler Merkels“ zu werden, wie ihr
republikanischer Rivale François Fillon es wäre, oder der „Finanzminister
von Saudi-Arabien“, was vermutlich auf den Ex-Investmentbanker Emmanuel
Macron gemünzt ist. Immer wieder spricht sie dann von der „Elite“ und jedes
Mal, wenn sie einen Satz mit diesem Wort beendet, macht sie längere Pause
als sonst, als habe sie den Namen des Leibhaftigen in den Mund genommen.
Sie wolle nicht, dass die Tür der EU für die Türkei „immer weiter
aufgemacht wird“, sie wolle Schluss machen damit, dass die
„EU-Technokraten“ Milliarden um Milliarden aus „euren Taschen stehlen“,
sagt sie und schiebt beide Zeigefinger in Richtung der Zuhörer. Schluss mit
der Dominanz Merkels, die mit Niedriglohnpolitik „moderne Akkord-Sklaven“
geschaffen habe, mit „barbarischer Globalisierung“, die die „französische
Landwirtschaft stranguliert“, so dass kleine Bauern „aus Verzweiflung
Suizid begehen“. Das Böse, hier hat einen Namen und der ist: EU.
Le Pen lobt die Briten für den Brexit. „Leben in Europa? Ja!“, sagt sie.
„Aber ohne die EU.“ Die Trikoloren gehen in die Höhe. „Entweder wir sind
souverän oder wir sind es nicht. Entweder wir sind frei, oder wir sind es
nicht. Es gibt nichts dazwischen.“
Dann ist sie mit der EU fertig und die Leute in Stimmung für den zweiten
Akt: Islam. Nicht erst seit den Anschlägen ist das Thema ist Le Pens
Dauerbrenner. Wie die EU von Außen, so zersetze der Islamismus Frankreich
von Innen – assistiert, versteht sich, von den Eliten. „Unerträglich“ sei
es etwa, dass die Regierung den französischen Islamverband UOIF, einem
„Alliierten der Moslembrüder“, der „Hochzeiten mit Sechsjährigen“ gut…
als Gesprächspartner akzeptiere. Ex-Premier Fillon habe persönlich
geholfen, „Salafisten-Moscheen zu bauen“ und das einzige was der Kandidat
Macron „en marche“ – so der Name von Macrons Kampagne – zu setzen imsta…
sei, „ist der Islamismus“.
Näher begründen muss sie das nicht, die Leute fangen auch so an, „On est
chez nous“ zu rufen, den Wahlkampfslogan, den man sich mit „Wir sind hier
bei uns zu Hause, ihr nicht“ übersetzen muss. Sie klingen wie Fussballfans
im Stadion, Le Pen hört eine Weile befriedigt zu, dann gebietet sie der
Menge zu schweigen und schmettert der leider nicht anwesenden
Politikerkaste zu: „Es tut mir leid, Elite, aber das französische Volk ist
bei sich zu Hause“, und dieses Haus müsse wieder in „seinen Besitz
zurückgeführt werden“.
Nach einer Stunde glänzt ihr Gesicht, Le Pen ist außer Atem, aber das
größte Thema kommt noch: die Flüchtlinge. „Wir sind am Ende“, schreit si…
„wir können nicht mehr, es sind zu viele, wir können keine mehr versorgen,
keine mehr reinlassen“, dann lässt sie die Menschen jubeln, bis sie selbst
wieder genug Atem hat, um die Nationalhymne anzustimmen.
## Realitätsfernes Wortgeröll
Am Rand des Saals steht ein schwarzer Mann mit einem Anzug, um den Hals
trägt er ein großes Kreuz. Die Journalisten sammeln sich begeistert um ihn,
er ist kein Teil des weißen Frankreichs, das Le Pen beschwört, ein
glühender FN-Anhänger ist er trotzdem. „Frankreich wird am Ende sein, wenn
Marine nicht bald die Regierung übernimmt,“ diktiert er den Reportern. „Die
Muslime tun freundlich, aber das ist nicht die Wahrheit. Sie kommen, um
Frankreich zu zerstören und niemand kann sie aufhalten außer Marine.“ Er
stammt aus Guyana, der Kolonie im Norden Südamerikas, „das ist auch
Frankreich“, sagt er, und so sei er Franzose, aber die Muslime eben nicht.
Vor der Kongresshalle zeigt sich, wie wenig Le Pens
national-apokalyptisches Wortgeröll mit der Realität eines Landes zu tun
hat, in dem jeder zehnte Moslem ist und jeder vierte einen
Migrationshintergrund hat. Eine algerisch-stämmige Hochzeitsgesellschaft
hat sich vor einem Springbrunnen am Ausgang des Kongresszentrums
versammelt. Aus mitgebrachten Boxen kommt laute arabische Musik, das
Brautpaar und die Gäste tanzen, sie schwenken französische Fahnen. Sind
nicht von ungefähr gekommen, sie greifen sich die Fahnen der Menschen, die
jetzt aus dem Kongresszentrum strömen und küssen sie. „Das ist auch unsere
Fahne, wir lieben Frankreich,“ sagt Carmel, ein junger Algerier der mit der
Braut verwandt ist. „Das ist auch unser Land. Der Rassismus, der da drin
verbreitet wird,“ er deutet auf die Halle, „ist eine Lüge.“
Polizisten kommen näher, manche der FN-Anhänger gehen schnell weiter,
andere bleiben stehen und schauen irritiert auf die tanzende Gruppe. „Na
dann: Es lebe das Brautpaar“, sagt eine Frau und rollt ihre Fahne ein.
15 Apr 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Rassemblement National
Marine Le Pen
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Rechter Populismus
Bretagne
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Jean-Luc Mélenchon
Roland Barthes
Schwerpunkt Rassemblement National
Schwerpunkt Rassemblement National
Schwerpunkt Frankreich
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Lust an historischen Vergleichen: Verwirrt im eigenen Schlafzimmer
Die rechtspopulistischen Umbrüche in vielen Ländern haben viele
Linksliberale unvorbereitet getroffen. Sie haben das Weckerläuten nicht
gehört.
Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die Rotmützen wollen die 6. Republik
In der bretonischen Kleinstadt Carhaix hat die Skepsis gegenüber Paris
Tradition. Bürgermeister Troadec weiß das zu nutzen. Er unterstützt Hamon.
Philosoph über Wahl in Frankreich: „Le Pen hat keine Chance“
Der französische Intellektuelle Geoffroy de Lagasnerie kritisiert, die
Medien stellten den Front National ins Zentrum. Er fordert einen neuen
Fokus.
Präsidentschaftswahl Frankreich: Was ist Phase in Frankreich?
Ein Land rückt nach rechts, und die Blasenbewohner wundern sich. Wer ist
eigentlich dieses „Volk“, das Le Pen wählen will?
Autor über die französische Gesellschaft: „Rechtes Denken verstopft Diskurs…
Sein Roman „Die siebte Sprachfunktion“ handelt nicht nur vom Ende des
Strukturalismus, sondern auch vom Beginn des Neokonservatismus, sagt Binet.
Front National in Nordfrankreich: Le Pens goldene Vitrine
In Hénin-Beaumont regiert seit 2014 der Front National. Bürgermeister
Steeve Briois lächelt viel, saniert Schulen und Straßen und unterdrückt
jede Kritik.
Kommentar Front National in Frankreich: Le Pen zeigt ihr wahres Gesicht
Die rechte Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen hat sich „verplappert“.
Sie zeigt geschichtsrevisionistische Ansichten wie ihr Vater.
Vor Präsidentschaftswahl in Frankreich: Le Pen macht auf Le Pen
Die rechte Präsidentschaftskandidatin Le Pen erklärte, die Deportationen im
besetzten Frankreich 1942 seien nicht den Franzosen zuzuschreiben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.