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# taz.de -- Kolumne „Habibitus“: Belastende Privilegien
> Nur weil Menschen in ein paar Räumen nicht mehr sanktioniert werden,
> heißt es nicht, dass sie sich überall ohne Angst vor Gewalt bewegen
> können.
Bild: Privilegierte Tränen: enttäuschte deutsche Fußballfans
Wer war nicht schon mal die Person, die auf einer Mottoparty eingeladen war
und bewusst kein Kostüm getragen hat, weil kein Bock, und sich dort den
ganzen Abend überraschenderweise langweilig fühlte, weil alle anderen so
toll aussahen? Ich nämlich noch nie, weil ich damit lebe, dass ich mein
schwarzes XXL-Crewneck-Shirt einem 20s-Kleid aus Polyester vorziehe und
dafür nicht glitzere. Oder ich hab Lust auf High-Life-Performance und haue
mich ins Zeug für mein Outfit. Was ich aber nicht mache: Die anderen für
meine eigenen Entscheidungen verantwortlich. Ihre bloße Anwesenheit ist
keine Abwertung meiner Existenz.
Selbiges gilt auch für Menschen, die selbstbestimmt außerhalb
unterschiedlicher Normen leben. Das können dicke_fette, queere, trans, of
Color Menschen sein oder jene, die in poly Beziehungen, also nicht monogam,
leben. Die zunehmende Sichtbarkeit ihrer Narrative, Kämpfe und Forderungen
schließt andere Lebensmodelle nicht aus. Es heißt etwa nicht: „Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare – und nicht mehr für Heten!“, sondern für alle
oder niemanden.
Oder: „Nur noch Kleidung ab Größe 46, kleine Größen nur noch in der
Kinderabteilung!“ Es geht darum, das Monopol zu verrücken. Nur, weil
gewisse Eigenschaften von Menschen in ein paar Räumen nicht mehr
sanktioniert werden, heißt es nicht, dass sie sich überall auf der Welt
ohne Angst vor Gewalt bewegen können. Nur, weil ein queeres Paar sich in
einer queeren Bar küssen darf, können sie es nicht an jeder Ampel in
Berlin-Wilmersdorf. Diesen Eindruck vermitteln viele normativ lebende
Menschen mit ihrem Schmollen.
Es heißt etwa, eine_r werde dafür fertig gemacht werden, cis, schlank,
monogram oder hetero zu sein. Das letzte Mal, als ich in die Nachrichten
geschaut habe, wurden Queers weltweit verfolgt, dicke_fette Menschen
pathologisiert und stigmatisiert, Personen of Color ermordet. Wo ist also
dieser neue Queerfeminismus-Trend, von dem alle sprechen?
## Perspektiven von Privilegierten bekommen mehr Raum
Außerhalb von den wenigen Schutzräumen, deren Existenz und Notwendigkeit
für sich spricht, findet eine_r keine Repression von Privilegierten. Dafür
haufenweise Texte, in denen weiße, hetero, cis und schlanke Personen
darüber jammern, dass sie vom Empowerment Schwarzer, of Color, queerer,
trans und dicker_fetter Personen nicht mitgenommen werden. Oder dass sie
kein Tinder nutzen können, weil sie seit zwölf Jahren in einer monogamen
Beziehung sind.
Hinweis: Wenn Leute sich mit ihrer Monogamie unwohl fühlen, weil es immer
mehr Literatur und Gespräche über Polygamie gibt beziehungsweise sich immer
mehr Leute trauen, sich als poly zu outen, dann ist das nicht das Problem
derjenigen, die nicht-monogam leben.
Wenn sich cis Personen und binäre trans Personen davon bedroht fühlen, dass
nicht-binäre Menschen momentan ein bisschen Sichtbarer als in den letzten
viertausend Jahren ihrer Existenz sind, dann sind nicht die nicht-binären
Menschen daran Schuld. Dass die Perspektiven von beleidigten Privilegierten
mehr Raum bekommen als jene, die von diesen Menschen unterdrückt werden,
ist auch eine Taktik, die erst vor kurzem ergriffenen Mikros wieder leiser
zu drehen.
Wäre hammer, wenn diese Leute ihre privilegierten Tränen wieder in ihre
Tagebücher verschütten könnten und nicht in mein Gesicht, das viele
Salzwasser trocknet meine Haut aus.
14 Apr 2017
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
Kolumne Habibitus
People of Color
Kartoffeln
Polyamorie
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Transgender
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Intersektionalität
Oscars
Alice Schwarzer
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