# taz.de -- Zu viele Ausnahmen für Windkraft: FDP entdeckt den Vogelschutz | |
> Der Ausbau der Windenergie in Niedersachsen darf nach Ansicht der | |
> Liberalen keinen Vorrang vor dem Artenschutz haben. | |
Bild: Können für Vögel gefährlich sein: Windkraftanlagen | |
In Juli Zehs jüngstem Roman „Unterleuten“ streiten sich Umweltschützer ü… | |
einen in der brandenburgischen Wildnis geplanten Windpark. Der eine freut | |
sich, dass die Energiewende endlich Einzug hält und der Region | |
wirtschaftlichen Aufschwung bringt. Der andere bekämpft die Windräder, weil | |
sie die Landschaft verschandeln und Vögel töten. | |
Solcherlei Zoff zwischen Natur- und Klimaschützern gibt es auch in der | |
Realität. Zuletzt gerieten sich im Herbst in Niedersachsen Greenpeace und | |
der Naturschutzbund (Nabu) in die Haare. Der Greenpeace-Ableger Planet | |
Energy will im Wesertal bei Rinteln Windkraftanlagen bauen. Der Nabu kämpft | |
dagegen, weil in ebenjenem Tal ein Seeadlerpaar brütet. | |
Dass die Rotoren von Windrädern auch Vögel verscheuchen und bisweilen | |
zerschreddern, kommt indes auch Parteien und Gruppierungen zupass, die | |
weder mit dem Tierschutz noch mit der Energiewende viel am Hut haben. | |
Jüngstes Beispiel dafür ist die niedersächsische FDP. „Gab es bei | |
Windkraftprojekten in Niedersachsen Ausnahmen vom Tötungsverbot im Sinne | |
von §§ 44 und 45 des Bundesnaturschutzgesetzes?“, wollte die | |
Landtagsfraktion der Liberalen jetzt vom Umweltministerium in Hannover | |
wissen. Die Anregung für die parlamentarische Anfrage kam nach Angaben der | |
FDP von einer Bürgerinitiative gegen Windräder im Kreis Verden. | |
Der Paragraf 44 in besagtem Naturschutzgesetz verbietet es, Tiere besonders | |
geschützter Arten zu fangen, zu verletzen oder zu töten. Auch ihre | |
Fortpflanzungs- und Ruhestätten dürfen nicht beschädigt oder zerstört | |
werden. Nach Paragraf 45 sind aber Ausnahmen davon zulässig, wenn | |
„zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich | |
solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ vorliegen und die Erhaltung der | |
Population insgesamt durch die Maßnahme nicht gefährdet wird. | |
In 56 von 61 Fällen wurden Ausnahmen genehmigt | |
Aus der Antwort von Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne) geht hervor, | |
dass die bei den Kreisverwaltungen ansässigen unteren Naturschutzbehörden | |
in Niedersachsen in den vergangenen fünf Jahren in 56 Fällen dem Ausbau der | |
Windkraft den Vorzug vor dem Schutz bedrohter Tierarten gegeben haben. | |
Insgesamt hatten Windparkbetreiber in dem Zeitraum bei 16 Landkreisen 61 | |
Anträge auf eine Ausnahme vom sogenannten Tötungsverbot nach Paragraf 44 | |
des Bundesnaturschutzgesetzes gestellt. | |
Die meisten Ausnahmen erteilte laut einer von Wenzel mitgelieferten | |
Statistik die Naturschutzbehörde im Landkreis Wesermarsch, hier hatten | |
gleich zwölf Betreiber von Windparks Anträge gestellt. Dicht dahinter | |
liegen die Landkreise Osnabrück mit elf und Oldenburg mit zehn Ausnahmen. | |
Im Kreis Osnabrück wurden für die zwei Windparks aber nicht alle Anträge | |
genehmigt. Hier hatte vor einigen Jahren noch der seltene Baumfalke | |
gebrütet. Nach Angaben des Umweltministeriums wurden bei einer | |
Nachkontrolle 2016 jedoch keine Nester mehr gefunden. Damit war ein Antrag | |
auf eine Ausnahmegenehmigung für diesen Vogel nach Ansicht der | |
Naturschutzbehörde obsolet geworden. | |
Noch nicht entschieden haben der Landkreis Gifhorn und der Landkreis | |
Nienburg. In Gifhorn geht es um Ausnahmegenehmigungen für den Mäusebussard | |
und den Kolkraben, für den Windpark Hoyerhagen in Nienburg muss noch eine | |
Vogelart geprüft werden. | |
Das Ministerium sieht die Voraussetzungen für die Ausnahmen in den 56 | |
Fällen erfüllt: Es liege im öffentlichen Interesse, großräumige klimatische | |
Veränderungen zu verhindern, die die Lebensräume von Menschen und Tieren | |
nachhaltig beeinträchtigen oder schädigen könnten. | |
Windenergie vor Artenschutz? | |
Nach Ansicht des stellvertretenden FDP-Fraktionschefs Jörg Bode erweckt die | |
hohe Zahl an Genehmigungen hingegen den Eindruck, „die Ausnahme wird | |
langsam zur Regel. Wir dachten erst, dass es sich um wenige Fälle handeln | |
könnte. Aber diese hohe Zahl der Ausnahmen hat uns dann doch umgehauen.“ | |
Grundsätzlich bemängelt Bode, dass der Ausbau der Windenergie über den | |
Artenschutz gestellt werde. Es gebe in Niedersachsen schon genug Windräder | |
an Land. Daher sei es nicht nötig, den Naturschutz zugunsten des Ausbaus zu | |
vernachlässigen. Für Vögel seien Windparks nicht nur gefährlich, sondern | |
perfide, denn das Sirren der Räder locke die Tiere auch noch an: „Die | |
verwechseln das mit dem Geräusch, das Schwärme von Artgenossen | |
verursachen.“ | |
25 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
## TAGS | |
Windkraft | |
Umweltschutz | |
Schwerpunkt Artenschutz | |
Vögel | |
Niedersachsen | |
FDP | |
Windkraft | |
Nabu | |
Umweltbundesamt | |
Fledermäuse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nabu Ostfriesland gegen Windräder: Anwalt des Mäusebussards | |
Der Naturschutzbund Ostfriesland fordert ein Ausbau-Moratorium. Für die | |
Energiewende dürften nicht so viele Vögel sterben, finden die Naturschützer | |
Ökologie gegen Ökologie: Windkraftfirma vertreibt Vögel | |
Im Kreis Friesland kämpfen Vogelschützer gegen neue Windräder: Für die | |
Vertreibung seltener Arten hätten die Betreiber keine Genehmigung. | |
Gesundheitsschädlicher Lärm: Brummen kann gefährlich werden | |
Dröhnende Geräusche technischer Anlagen können die Gesundheit schädigen. | |
Das ist sogar bei nicht hörbaren Tönen der Fall. | |
Windkrafträder in Deutschland: Fledermäuse sind krasse Opfer | |
2016 wurden über 1.600 neue Windräder gebaut – das Bundesamt für | |
Naturschutz fordert jetzt, mehr Rücksicht auf Flora und Fauna zu nehmen. |