# taz.de -- Öffentliche Solidarität mit Terroropfern: Soll das Brandenburger … | |
> Nach dem Anschlag von Sankt Petersburg erstrahlt das Tor nicht in den | |
> russischen Landesfarben. Sollte es? Ein Pro und Contra. | |
Bild: Ohne Aussage, aber auch ganz schön | |
Ja! | |
Solange das Brandenburger Tor nach den Anschlägen in Paris, Brüssel, | |
London, Istanbul, Berlin, Jerusalem und Orlando in den jeweiligen | |
Landesfarben und im letzten Fall in Regenbogenfarben angestrahlt wird, muss | |
es eine Gleichbehandlung geben. Diese Gleichbehandlung ist ohnehin noch | |
lange nicht erreicht: Die Israel- und Regenbogenfahne wurde erst nach | |
heftigen Protesten aus den jeweiligen Communitys verwendet. Beschämend | |
genug, dass hier debattiert wurde, während das Anstrahlen sonst | |
selbstverständlich war. | |
Und nach Terroranschlägen in Afghanistan, Bangladesch, Indonesien, Irak | |
oder Pakistan blieb das Wahrzeichen ebenso dunkel wie nach dem | |
neonazistischen Anschlag auf eine Moschee in Québec. Solidarität kennt wohl | |
doch Grenzen – und diese selektive Inszenierung der Trauerbekundungen ist | |
unerträglich. Wenn man sich also für eine Anstrahlung entscheidet, muss das | |
konsequent geschehen. | |
Die Kritik an Putin zählt nicht als Argument. Erstens ist es unfair, die | |
russischen Terroropfer im Nachhinein für ihre Regierung zu bestrafen. Sie | |
sind nicht weniger wert. Zweitens wurde die Beleuchtung in türkischen | |
Nationalfarben ebenfalls nicht als Unterstützung des Erdoğan-Regimes | |
wahrgenommen. Unabhängig von der Kritik an nationalen Symbolen steht eine | |
Nationalfahne zudem für mehr als für die aktuelle Regierung. | |
Die Begründung der Berliner Senatsverwaltung, dass die Anstrahlung nicht | |
erfolge, weil Sankt Petersburg keine offizielle Partnerstadt ist, kann nur | |
als unglaubwürdig zurückgewiesen werden: Dies trifft auch auf einige der | |
oben genannten Städte zu. | |
Zutreffend ist allerdings, dass die Solidarität nicht bei reiner | |
Symbolpolitik stehen bleiben darf: Sie muss auch praktisch werden, | |
beispielsweise in Form von internationaler Zusammenarbeit gegen | |
islamistische Terroristen und ihre Unterstützer. FREDERIK SCHINDLER | |
Nein! | |
Das Brandenburger Tor anstrahlen, ausgerechnet jetzt? Irgendwann ist es | |
auch gut. Es gibt sowieso genug Gründe, das autoritäre Regime von Präsident | |
Putin nicht auch noch durch eine servile Solidaritätsgrenze aus Berlin zu | |
stärken. Russland hat mit der Krim-Eroberung Völkerrecht gebrochen, hält | |
bis heute zahlreiche Konflikte in seinen Nachbarstaaten am Köcheln, | |
unterdrückt die Demokratiebewegung, drangsaliert Lesben und Schwule. | |
Man könnte argumentieren, dass man zwischen schändlicher Regierung und | |
gebeutelter Bevölkerung unterscheiden solle: Solidarität mit den Opfern. | |
In dem Fall könnte man auch das Stadtwappen von Sankt Petersburg auf das | |
Tor projizieren, aber auch das wäre nur die zweitbeste Lösung. Die | |
Anstrahlung des Brandenburger Tors ist längst ein hohles Ritual. Am besten | |
wäre ein klarer Schnitt: gar nicht mehr anstrahlen. | |
Dann muss sich Berlin nicht mehr mit einer vorgeschobenen | |
Partnerstadt-Begründung aus der Beleuchtungsfrage herauswieseln. Vor allem | |
endet dann das schäbige Geschacher um Solidarität erster und zweiter | |
Klasse. Warum solidarisiert man sich im November 2015 mit den Opfern der | |
Terroranschläge von Paris, aber nicht mit den Opfern von zeitgleichen | |
Anschlägen in Beirut? | |
Warum solidarisierte man sich erst Anfang 2017 mit den Opfern eines | |
Anschlags in Jerusalem und nicht schon lange vorher? Ist ein Anschlag | |
schlimmer als der andere? Müssen wir die Toten zählen, die Art des Todes | |
aufwiegen, die Politik eines Landes bewerten, um den einen Anschlag für | |
gedenkwürdig einzuschätzen und den anderen nicht? | |
Das Abwägen zwischen Beleuchtung und Nichtbeleuchtung und damit die | |
Einteilung in wichtige und weniger wichtige Opfer ist schäbig. So stark und | |
positiv das Symbol eines angeleuchteten Brandenburger Tors auch ist, am | |
Ende bleibt nur, es so zu machen wie andere Weltstädte mit ihren | |
Wahrzeichen: es gar nicht mehr anzustrahlen. MALTE GÖBEL | |
4 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Frederik Schindler | |
Malte Göbel | |
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