# taz.de -- Trauer im Netz nach dem Nizza-Anschlag: Je Suis Routine | |
> Das Internet setzt die Flagge auf Halbmast. Doch die Trauer nach dem | |
> Anschlag von Nizza gleicht einem Algorithmus des Entsetzens. | |
Bild: Wie oft noch werden sich diese Bilder wiederholen? | |
BERLIN taz | #NiceAttack. Seit den frühen Morgenstunden glüht dieser | |
Hashtag. Solidaritätsbekundungen, Frankreichflaggen, Links zu Kommentaren | |
und Live-Blogs, die Geschehnisse in Nizza überschlagen sich in einem | |
Schlagwort auf Twitter, das unglücklicher nicht sein könnte. „Einfach | |
pervers“, schreibt ein User. In englischer Lesart könnte es also ein | |
„netter“ Anschlag gewesen sein, bei dem am Donnerstagabend [1][mindestens | |
83 Menschen getötet wurde]. Als würde das kollektive Entsetztsein der | |
Menschen über den Terror ebendiesem Beifall spenden. | |
Natürlich will das keiner. Der Hashtag [2][#NiceAttack] steht mit bitterem | |
Zynismus dafür, wie das Trauern in den sozialen Medien um die Opfer von | |
terroristischen Anschlägen inzwischen zur Routine geworden ist. Pray for | |
Paris, Brüssel, Istanbul, Orlando, Dhaka, Bagdad, und jetzt: Beten für | |
Nizza. Während die Nachrichten sich mit Eilmeldungen über neue Details zum | |
Namen, der Herkunft, dem Stadtteil des mutmaßlichen Täters überbieten | |
wollen, teilen die Menschen Fotos von französischen Nationalflaggen, | |
[3][#PrayforNice] hineinmontiert, und es wirkt fast so, als habe der | |
ständig wiederkehrende Terror selbst die Kreativen ermüdet. „Wann hört das | |
endlich auf?“ Dieser Satz fällt nach Nizza immer öfter. | |
Es hat wenige Stunden gedauert, bis das Video des ARD-Journalisten | |
[4][Richard Gutjahr] um die ganze Welt gegangen war. Von einem Balkon aus | |
filmte er den weißen LKW auf der Strandpromenade, den Motorradfahrer, der | |
vergeblich versuchte die Fahrertür zu öffnen. Millionen hörten die Schüsse | |
der Polizisten, als der Attentäter auf das Gaspedal drückte, um in die | |
feiernde Menschenmenge zu rasen. | |
Auf die schockierenden Bilder folgten die ersten Solidaritätsbekundungen | |
von offizieller Seite: Deutschland stehe im Kampf gegen den Terrorismus an | |
der Seite Frankreichs, sagte Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident | |
Jean-Claude Juncker verurteilte den „Terrorakt“, US-Präsident Barack Obama | |
sicherte Frankreich seine Unterstützung bei den Ermittlungen zu. Und | |
AfD-Chefin Frauke Petry ließ natürlich auch diese Gelegenheit für ihre | |
Botschaft #grenzenstattterror nicht aus. | |
## Kraftlose Botschaften | |
Das Internet setzt seine Flaggen wieder auf Halbmast. Und das Trauerspiel | |
auf Twitter gleicht inzwischen einem Algorithmus des Entsetzens, der für | |
die Aufarbeitung der eigenen Emotionen nicht mehr taugt. Nach dem Anschlag | |
auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo erfand der Grafikdesigner | |
Joachim Roncin den Hashtag #JeSuisCharlie. | |
Über die sozialen Medien hinaus wurde dieser Spruch zu einem Sinnbild der | |
Anteilnahme, „Ich bin Charlie“ bedeutete, sich mit den Opfern eines Terrors | |
zu solidarisieren, der es nicht auf Einzelne abgesehen hatte, sondern auf | |
unsere freiheitlich-demokratischen Werte. Doch haben diese Botschaften, | |
längst an Kraft verloren. In das Stimmungsbild auf Twitter nach den | |
Anschlägen in Nizza mischt sich mehr und mehr die Lethargie des Sisyphos: | |
„Wir sind Müde. Wir wollen Frieden.“ | |
Auch die Fotos der Grand Central Station in New York, erleuchtet in | |
französischer Trikolore, wirken beinahe schon wie ein trauriges | |
Standardprogramm. Heute Nacht wird die Flagge auf dem Eiffelturm und dem | |
Brandenburger Tor in Berlin zu sehen sein. Erst vor wenigen Wochen waren | |
dort die Regenbogenfarben zu sehen, „We are Orlando“ hieß es da noch. | |
Im Januar 2016 – kurz nach dem Anschlag in Istanbul – bastelte Tommy | |
Kempert, Mitarbeiter einer Berliner PR-Agentur, einen Hashtag, der den | |
Schock, die Trauer, und vor allem die steigende Wut gegen Terroristen auf | |
den Punkt bringt. Jetzt, nach der Nachricht über die Toten in Nizza, wurde | |
er auf Twitter so oft geteilt wie nie zu vor und richtet sich an den Fahrer | |
des weißen Lkw, aus welchen Gründen er auch immer dieses entsetzliche | |
Grauen über Frankreich gebracht hat: [5][#JeSuisSickOfThisShit.] | |
15 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Anschlag-in-Nizza/!5323631/ | |
[2] https://twitter.com/search?q=%23NiceAttack&src=typd | |
[3] https://twitter.com/search?q=%23PrayforNice&src=typd | |
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/nizza-109.html | |
[5] https://twitter.com/search?q=%23JeSuisSickOfThisShit&src=typd | |
## AUTOREN | |
Michael Gruber | |
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