# taz.de -- Streit um Kreisreform in Thüringen: Der Städtekampf | |
> Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hat sich mit ihrer Gebietsreform | |
> ein Großvorhaben vorgenommen. Und stößt auf teils erbitterten Widerstand. | |
Bild: Thüringer: Ob Kreisreform oder nicht – das Wesentliche bleibt | |
ERFURT taz | Auf Weiterbildungen etwa an der Verwaltungsuniversität Speyer | |
würden sich die Fachleute nur über Thüringen wundern, berichtet Frank | |
Kuschel. Der Kommunalrechtsexperte der Linken-Fraktion ist nach wie vor | |
„vollauf begeistert vom Thema Gebietsreform“. Außerhalb des kleinen | |
Freistaats würde kaum jemand verstehen, warum es dort solch vehementen | |
Widerstand gegen Gemeindefusionen und die Zusammenlegung von Landkreisen | |
gibt. | |
Die unter den vorigen CDU-geführten Regierungen verschleppte Gebiets- und | |
Funktionalreform ist das zentrale Vorhaben der seit 2014 amtierenden | |
rot-rot-grünen Koalition. Und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) | |
betonte am Wochenende, die Reform werde „wie von der Koalition vereinbart | |
in dieser Legislaturperiode umgesetzt“. | |
Thüringen leistet sich mit seinen 2,2 Millionen Einwohnern 17 Landkreise, | |
849 Gemeinden und 5 kreisfreie Städte. Nur 58.000 Einwohner zählt etwa der | |
Sonneberger Landkreis. Künftig nun soll es nur noch 8 Landkreise geben. | |
## CDU sieht sich als Avantgarde | |
Bei der CDU-Fraktion läuft man dagegen Sturm. Warum gilt den Konservativen | |
hier als Teufelszeug, was in der Bundesrepublik West seit den Sechzigern | |
durchgesetzt und auch von der Union nebenan in Sachsen durchgezogen wurde? | |
„Weil Sachsen immer ein zentral geführtes Königreich war und Thüringen von | |
den Kleinstaaten geprägt wurde“, sagt CDU-Landeschef Mike Mohring. Auch für | |
die Demokratie wären die größeren Verwaltungseinheiten nicht gut. „Wenn der | |
Staat sich zurückzieht, überlässt er die leeren Räume den Populisten.“ Ein | |
CDU-Fraktionssprecher bezeichnet seine Partei nicht als Nachzügler, sondern | |
als Avantgardisten: Man wolle hier die Fehler gar nicht erst begehen, aus | |
denen man anderswo zu lernen beginne. | |
Also klagen die CDU-Fraktion, die Hälfte der Landkreise und die bisher | |
kreisfreie Stadt Weimar beim Landesverfassungsgericht: die CDU gegen das | |
Vorschaltgesetz zur Gebietsreform – die Kommunen wegen vermeintlicher | |
Einschränkung ihrer Selbstverwaltung. Auch die Landesregierung klagt: Sie | |
will von den Richtern wissen, ob ein Volksbegehren gegen die Reform | |
zulässig ist. Am 30. Mai wird erstmals verhandelt. | |
Genau zur Halbzeit der Koalition aus Linken, SPD und Grünen tritt damit | |
das Vorhaben in seine kritischste Phase. Ramelow hatte zuvor das | |
beabsichtigte Inkrafttreten der neuen Strukturen um ein halbes Jahr auf den | |
1. Juli 2018 verschoben. | |
Die Kritiker der Reform erhalten Rückenwind aus der Forschung. Sebastian | |
Blesse vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim und Felix | |
Rösel von der Dresdner ifo-Niederlassung bezweifeln in einer Studie die | |
positiven Effekte von Gebietsreformen. Finanzielle Einsparungen und | |
Effizienzgewinne seien nur in wenigen Fällen nachweisbar. | |
## Vorteil AfD? | |
Signifikant geringer würden vielmehr Demokratiezufriedenheit und | |
Wahlbeteiligung. Rösel weist in einem anderen Beitrag nach, dass in den von | |
der Kreisreform 2011 in Mecklenburg besonders betroffenen Regionen die AfD | |
auffallend höhere Wahlergebnisse erzielen konnte. Auch werde wirtschaftlich | |
das Stadt-Land-Gefälle vergrößert. | |
Was der Union Argumente liefert, wird von Linken-Mann Kuschel belächelt. | |
„Öffentliche Verwaltung ist immer Vorhalteverwaltung. Da lässt sich | |
Effizienz kaum berechnen.“ Die Studie werde zudem in der Fachwelt ziemlich | |
zerrissen. Kuschel nennt die sagenhafte Summe von 550 Millionen Euro, die | |
man durch die Gebietsreform einzusparen hofft. | |
Bei der parallel angestrebten Funktionalreform muss er das Ergebnis einer | |
Umfrage unter den Ministerien aber auch als „ernüchternd“ bezeichnen. Die | |
Koalition will durch die Kommunalisierung von Aufgaben von einer drei- zu | |
einer zweistufigen Verwaltung gelangen. Nur 51 von 18.600 Stellen seien so | |
einzusparen, antworteten die Ministerien. „Ein Flop“, konstatiert CDU-Chef | |
Mohring. | |
## Traditionell CDU-geprägte Verwaltung | |
Ende März eskalierte der Reformstreit, als bekannt wurde, dass | |
Landtagsdirektorin Birgit Eberbach-Born und Landtagspräsident Christian | |
Carius (CDU) ein Gutachten des Juristischen Dienstes zu den Aussichten der | |
Verfassungsklagen redigiert hatten. Ein normaler dienstlicher Umgang mit | |
einer Referentenvorlage, sagt die CDU. Der für die CDU eher ungünstige | |
Tenor sei nicht verändert worden. Die Linke aber ärgert sich schon lange | |
über die traditionell CDU-geprägte Verwaltung und fordert den Rücktritt der | |
Direktorin. | |
Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) kam in der vorigen Woche einigen | |
Landräten mit abgemilderten Plänen entgegen. Neben Erfurt und Jena sollen | |
auch Weimar und Gera kreisfreie Städte bleiben dürfen. Doch der | |
Landkreistag schießt sich in einem offenen Brief auf das „fachlich | |
inkompetente und unprofessionelle Treiben“ des Linken-Chefreformators | |
Kuschel ein. Unterschrieben hat auch SPD-Landrat Peter Heimrich. | |
Ministerpräsident Ramelow indes bleibt hart. In der Debatte gehe es einigen | |
„offenbar mehr um Emotionen als um Fakten“. Die Verwaltungen blieben | |
schließlich online erreichbar, alle Arbeitsplätze würden erhalten. Und der | |
öffentliche Dienst müsse wegen der „größten Verrentungswelle seiner | |
Geschichte“ ohnehin umgestellt werden. Die Reform sei „ohne Alternative“. | |
Berufen kann sich Ramelow auch auf seine Vorgängerin Christine Lieberknecht | |
von der CDU, die die demografische Entwicklung als Herausforderung für die | |
Verwaltung erkannt hatte. Der CDU habe nur der Mut zur Umsetzung gefehlt. | |
„Durchziehen, sonst wird das nie was“, ist auch aus der SPD-Fraktion zu | |
hören. Seine Gelassenheit bezieht der Linke Kuschel aus zahlreichen Fahrten | |
durch den Freistaat. „70 Prozent der Gemeinden haben konkrete | |
Neustrukturierungsvorstellungen. Und auch die widerständigen Kreise haben | |
längst einen Plan B in der Schublade.“ Es gehe bei der Reform nur noch um | |
das Wie, nicht mehr um das Ob. | |
26 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Bodo Ramelow | |
Landkreise | |
Mike Mohring | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Brandenburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kreisreform in Thüringen: Rot-Rot-Grün stoppt zentrales Projekt | |
Die thüringische Landesregierung gibt die geplante Kreisreform auf. Für | |
Rot-Rot-Grün ist das eine schwere politische Niederlage. | |
Gebietsreform der Thüringer Regierung: Nu' mal schön langsam | |
Das wichtigste Projekt der rot-rot-grünen Koalition scheitert vor dem | |
Landesverfassungsgericht. SPD und Grüne wollen das Reformtempo zügeln. | |
Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Chamäleons und Charakter | |
In Thüringen lässt die Abgeordnete Rosin mit ihrem Eintritt in die CDU die | |
knappe rot-rot-grüne Koalitionsmehrheit schrumpfen. | |
Dämpfer für Mitte-Links-Koalition: Letzte Lebenszeichen von R2G? | |
Bei der SPD liegen die Nerven blank. Treffen mit der Linken sollen am | |
besten unterbleiben. Das „jährliche r2g-Sommerfest“ findet trotzdem statt. | |
Kreisgebietsreform in Brandenburg: Der Sturm auf das Schloss | |
Die rot-rote Landesregierung will die Zahl der Landkreise verringern. | |
Fusionen zeigen: Mit der räumlichen Distanz wächst auch die politische. | |
Kreisreform: Die Fusion kommt voran | |
Auch in Göttingen scheitert ein Bürgerbegehren gegen die Gründung eines | |
südniedersächsischen Großkreises. Das freut vor allem die dortigen | |
Sozialdemokraten. | |
Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Im Land der Bettendichte | |
Wenn Mecklenburg-Vorpommern am kommenden Wochenende wählt, gewinnt | |
wahrscheinlich die SPD. Das Geheimnis der Partei: Sie findet das Land gut. | |
Kreisreform in Sachsen: Landräte eingekauft | |
Mit zweifelhaften Absprachen setzt die große Koalition in Sachsen die | |
umstrittene Veränderung der Kreisgrenzen doch noch durch. Grüne | |
kritisieren: "jämmerliches Schauspiel". |