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# taz.de -- Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Im Land der Bettendichte
> Wenn Mecklenburg-Vorpommern am kommenden Wochenende wählt, gewinnt
> wahrscheinlich die SPD. Das Geheimnis der Partei: Sie findet das Land
> gut.
Bild: Idylle in Mecklenburg-Vorpommern: Das Schweriner Stadtschloss.
Mecklenburg-Vorpommern ist das Land auf der deutschen Landkarte ganz oben
rechts, von dem die Rede geht, dass dort alles hundert Jahre später
passiert.
Es ist das deutsche Land mit der geringsten Bevölkerungsdichte, den
niedrigsten Löhnen, den meisten Ein-Personen-Haushalten, den jüngsten
Erstgebärenden (26,7 Jahre), den meisten außerehelichen Kindern, dem
größten "Sterbefallüberschuss", dem eindrucksvollsten jährlichen
Wanderungsverlust und dem größten Risiko, auf einer Straße tödlich zu
verunglücken.
Manche nennen es inzwischen auch das Florida Deutschlands, weil das
Durchschnittsalter hoch ist, weil Tourismus und Gesundheitswirtschaft
boomen und weil wir den deutschen Spitzenwert bei der "Bettendichte" haben
("Bettendichte" ist die Anzahl der Betten pro Kopf, was ja nicht heißt,
dass wir in allen selber schlafen). Nun also die sechste Landtagswahl nach
der Wende.
"Mein Gott", sagte mein Großvater und spreizte die Finger seiner linken
Hand, "wie die Zeit vergeht - dat is ja nicht mehr mit einer Hand zu
schaffen."
Seit 2006 machen fast dieselben Parteien und Leute Politik in Schwerin.
Wenn es nach der Wahl auch oft wieder die gleichen Leute sind, so können
sie sich dann trotzdem so fühlen, als ob sie noch mal von vorn anfangen.
## Kein polternder Wahlkampf
Des Weiteren werden, nachdem die Kreisreform trotz aller Einsprüche und
Klagen sozusagen auf den letzten Drücker mit vier gegen drei Richterstimmen
doch noch unter Dach und Fach gekommen ist, neue Kreistage und Landräte
(und -rätinnen) in den sechs neuen Großkreisen gewählt. Außerdem nehmen die
Wähler, mit Ausnahme derer in den nicht eingekreisten Städten Schwerin und
Rostock, noch an einem Bürgerentscheid teil. Frage: Wie sollen die sechs
Großkreise künftig heißen?
Um die Wähler nicht zu überfordern und Zeit zu gewinnen, hielten die
potenziellen Wahlkämpfer zunächst [1][keine großen Reden]. Die große
Koalition in Schwerin war ganz gut aufeinander eingespielt und hatte
demzufolge auch gar keinen Grund, sich vor der Zeit böswillig
auseinanderzukämpfen. Die Differenzen zwischen den Parteien mussten erst
einmal neu ermittelt und formuliert werden.
Da es in fast allen Parteien außerdem harte interne Auseinandersetzungen um
Kandidaturen und Sachfragen gab, dauerte die Ausarbeitung der neuen
Programme etwas länger. Das fiel nicht weiter auf, da die Wahlberechtigten
anderes zu tun hatten. Der Juli und der August standen nämlich unter der
Überschrift: "Land unter!"
So viel Regen am Stück und Liter auf den Quadratmeter gab es lange nicht
mehr. Ein Festival und Event nach dem anderen fiel ins Wasser. Die Urlauber
flohen von den aufgeweichten Campingplätzen, die Bauern standen fassungslos
am Rain ihrer Felder und versuchten, die Schadenssummen zu überschlagen.
Die Leute waren rund um die Uhr mit dem Auspumpen ihrer Keller und dem
Wasserstand in ihren Kleingärten beschäftigt, so dass sie sich um die
größeren Dinge gar nicht so richtig kümmern konnten. Wenn sie in dieser
Zeit jemand gefragt hätte, wer ihre Interessen am besten vertritt, dann
hätten die meisten ihre Feuerwehr genannt und gewählt. So wurde es erst
Mitte August etwas heißer.
## CDU tut sich schwer
Da begannen nämlich die Verteilungskämpfe beim Plakatieren - an den
Lichtmasten ganz oben, weil die NPD zu zeigen versuchte, wie hoch sie
hinauswill. Und mein Großvater schob seine Brille hoch und sagte: "Ich weiß
gar nicht, was du hast. "NPD - wehrt euch!" ist doch 'ne gute Losung. Na
klar, muss man [2][sich gegen die NPD wehren]."
Der Wahlkampf war nun auch für den letzten Mecklenburger und Vorpommern
sinnlich erfahrbar geworden. Als die Wähler gerade ernsthaft darüber
nachzudenken begannen, was ihnen bevorstand, mussten sie sich erst einmal
mit der angeblichen Rechtschreibeschwäche in der CDU ("C wie Zukunft!")
auseinandersetzen. Die CDU macht sich bei uns alles immer etwas schwerer,
vor allem den Wahlkampf.
Gott sei Dank haben ihre Image-Denker nun wieder auf altbewährte Muster
gesetzt. Sie zeigen, wie gut sich ihr Spitzenmann unter Werktätigen und
jungen Menschen macht, und haben das Wahlprogramm unter die Losung "Klar
und entschlossen" gestellt, als ob die Partei sich selbst Mut machen und
zur Ordnung rufen müsste.
[3][Die Linke] fand für ihr Programm das moralisch-soziale Motto
"Gerechtigkeit - nur mit uns", um daran zu erinnern, dass sie zwischen 1998
und 2006 schon mal in der Landespolitik mitgewirkt hat und als
Koalitionspartner durchaus in Frage käme. Die Gesichter der Kandidaten
wirken angestrengt, das kommt vom Nachdenken über den Altersdurchschnitt in
der Partei, von den Auseinandersetzungen um die Altlasten und den
Briefwechsel mit Havanna, vor allem aber von den inneren Richtungskämpfen
der letzten Zeit. Wer so mit sich selber zu tun hat, kann schwer souverän
sein.
## Fleißige Grüne
Die FDP muss erst noch beweisen, dass sie die Fünfprozenthürde überspringen
kann. In bewährter Weise versucht sie das mit Versprechungen, die so
allgemein sind, dass sie jeder andere auch übernehmen würde: "Fortschritt
beschleunigen, Bürgerfreiheit schützen, Sicherheit ausbauen", heißt es da
im Programm und das ist sicher gut gemeint. Aber wenn man dann auf dem
Plakat "Privat vor Staat" liest, weiß man nicht mehr genau, wer für diese
edlen Ziele einstehen soll, wenn jeder zuerst an sich selber denkt.
Die meiste Arbeit haben sich diesmal Bündnis 90/Die Grünen gemacht. Sie
hoffen ebenfalls, die Fünfprozenthürde zu schaffen und dann als
potenzieller Bündnispartner zu gelten. Ihr Wahlprogramm ist mit 140 Seiten
das umfassendste. Es wurde mit viel Fleiß, Intelligenz, Akribie und besten
Absichten erarbeitet und es ist ja auch alles wichtig wie etwa die
ökologische Energiewirtschaft und das Ende des Atomzwischenlagers Nord.
Vom ziemlich allgemein gehaltenen Wahlprogramm der NPD habe ich mir nur
einen Punkt merken können, nämlich den, dass gegen die "Verrohung der
Jugend" eine einheitliche Schulkleidung zu empfehlen ist.
Die SPD hat diesmal das bessere Werbebüro und, wenn man den Voraussagen
glauben kann, die besten Chancen. Sie kam auf die geniale Idee, dem Land
zuzugestehen, dass es gut ist.
Die Formel "SPD gut, wie das Land" ist griffig und vor allem für jeden
verständlich. Großvater: "Das kann man sich wenigstens drei Tage lang
merken und es kann nicht nach hinten losgehen. Und unser Land ist gut! Wenn
man berücksichtigt, was wir alles überstanden haben: die Vogelgrippe, den
G-8-Gipfel …"
## Offensichtliche Themen
Er hat ja recht. Sogar der Bindestrich zwischen Mecklenburg und Vorpommern,
der für uralte historische Querelen steht, ist schon etwas vernarbt. Der
amtierende Ministerpräsident Sellering wirkt auf den Plakaten freundlich
wie ein guter Nachbar, verständnisvoll wie ein Lehrer, ehrlich wie ein
Richter, manchmal sogar nachdenklich wie ein Philosoph. Originalton
Großvater, der ja positive Urteile immer durch eine Negation ausdrückt:
"Nicht unsympathisch, der Mann." Zweckmäßigerweise hat die SPD ihr
Wahlprogramm gleich "Regierungsprogramm 2011 bis 2016" genannt.
Es bedarf keiner großen Intelligenz, die Probleme des Landes zu erfassen.
Die einschlägigen Institute und Befragungsvereine, die nach Großvaters
spöttischer Aussage "Kattenschiet in Düstern rieken", konnten voneinander
abschreiben, dass es fünf Hauptthemen gibt: die Arbeitslosigkeit, den
Nachholebedarf in Bildung und Ausbildung, die Höhe der Löhne, die soziale
Sicherung von Familie und Kindern und die Abwanderung. Eigentlich gibt es
aber nur ein Problem: Die Leute wollen so viel verdienen, dass sie und ihre
Kinder davon leben können.
"Und wen wählst du?", fragte ich meinen Großvater. "Woher soll ich das
heute schon wissen", entgegnete er bedeutsam. "Großvater, warum heißt das
eigentlich Wahlurne?" "Ganz einfach, min Jung, weil da die Zukunft begraben
liegt." Am 4. September ist es so weit.
31 Aug 2011
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Mecklenburg-Vorpommern/!76369/
[2] /Landtagswahl-in-Mecklenburg-Vorpommern/!77034/
[3] /Wahlauftakt-der-Linkspartei-am-Mauertag/!76253/
## AUTOREN
Bernd Melzer
## TAGS
Schwerpunkt AfD
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