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# taz.de -- Busreise durch Spanien: Wildwest im Panoramafenster
> Angeberarchitektur in Valencia, Picknick am Meer, Clint Eastwood in San
> José – vielfältige Eindrücke und reichlich Kommunikation.
Bild: Touristischer Knotenpunkt: Blick vom Mirador de San Nicolás auf die Alha…
Das wird jetzt richtig knifflig, da möchte niemand mit dem Mann am Steuer
tauschen. Aber ungerührt, Zentimeter für Zentimeter, lenkt Hans-Peter
Christoph den Bus rückwärts aus jener engen, verwinkelten Gasse des
andalusischen Bergdorfs, in die ein ratloses Navi und eine elende
Beschilderung ihn geführt haben. Präzisionsarbeit, die am Ende von den 20
MitfahrerInnen mit Beifall bedacht wird, als hätte ein Pilot seine weichste
Landung ever hingelegt.
Aber wäre ja auch noch schöner, wenn ausgerechnet der Chef selbst den
ersten Kratzer in den nagelneuen Bus fahren würde, auf den er so stolz ist:
„510 PS. GPS-gesteuertes Getriebe. Ein Notbremsassistent, der den Wagen bei
einer Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern nach 40 Metern zum Stehen
bringt, wenn er ein Hindernis erkennt.“ Doch alles geht gut, der Chauffeur
wendet und zieht das Tempo an. Schließlich wartet der Caminito del Rey,
einer der Höhepunkte dieser Reise. Es gilt jetzt, die Verspätung
aufzuholen. Nur 600 WandererInnen erhalten Zugang pro Tag. Wer sein
Zeitfenster verpasst, dessen Tickets verfallen.
Zwei Wochen ist die Gruppe nun bereits unterwegs und hat, von Freiburg
ausgehend, Spanien von Norden nach Süden durchreist. Fast alle
TeilnehmerInnen sind über 60 und arbeiten nicht mehr. Den Bus als
Verkehrsmittel haben sie gewählt, um auch den Weg als Ziel genießen zu
können. Bequem zu reisen, hat so gar nichts Verwerfliches für sie. Manche
lesen oder hören Musik, andere plaudern und erfahren viel Neues
voneinander: Was macht ein German doctor auf den Philippinen? Wie steht
es um die Flüchtlingsarbeit in Freiburg? Welche Lieder schreibt man für
eine Kabarettgruppe?
## Outdoorkino vom Feinsten
Die meisten aber lassen sich auf das Outdoorkino vor den Fenstern ein,
genießen die vorbeigleitenden Bilder und freuen sich, dass ein anderer die
lästige Fahrerei übernimmt. Und nicht nur das Fahren. Der Mann am Steuer,
der jahrelang mit Lkws im Süden unterwegs war, lässt seine Gäste nur zu
gern an seinen Erinnerungen an „Spanien damals“ teilhaben.
Daneben erzählt er in seinem weichen badischen Singsang, wie Herakles die
andalusische Königstochter Pyrene ins Unglück stürzte, warum die
Silhouetten des Osborne-Stiers unter Denkmalschutz stehen und dass der
Großteil des Serranoschinkens, der in deutschen Wursttheken zu finden ist,
eher aus der riesigen Fabrik ElPozo am Weg stammt, als von den Trockenböden
eines abgelegenen Bergdorfs.
Ein wenig ähnelt das Programm einer Wundertüte, aus der täglich etwas Neues
purzelt, Touristenspektakel wie wenig Bekanntes: Auf die Besichtigung der
Sagrada Familia in Barcelona folgt der Besuch bei einem Winzer oder einem
Olivenölproduzenten – und da erweist es sich als Segen, dass der Bauch des
Busses anscheinend unendlich viele Flaschen und Kartons aufnehmen kann. Ein
ausgebleichtes Walgerippe, der überdimensionierte Helm eines
Außerirdischen, die Riesenharfe und der umgedrehte Schiffsrumpf – kaum ist
das aufgeregte Staunen über die Angeberarchitektur Santiago Calatravas in
Valencia abgeklungen, macht sich Fassungslosigkeit breit angesichts der
schmalen Betontürme von Benidorm, des schrecklichen Mahnmals ungebremster
Bauwut in den 60er und 70er Jahren. Abgelöst wird sie von der Begeisterung
über die Schönheit des Kargen im Naturschutzgebiet Cabo de Gata, neuerdings
bekannt durch den gleichnamigen Roman von Eugen Ruge.
## Am Cabo de Gata
Ein scharfer Wind vom Meer streift über die steinigen Hügel, die schütter
von Ginster- und Dornbüschen bestanden sind. Durch Reihen verwitterter
Opuntien und abgestorbener Agaven, die armdicke, dürre Blütenstängel in den
Himmel recken, geht es hinaus zur Playa de los Genoveses. Das Picknick, das
zu jeder Fahrt gehört, steht dort an. Eifrig stifteln die Gäste Gurken,
schneiden Käse, schälen Avocado, achteln Tomaten und hacken Knoblauch, der
schließlich, mit Olivenöl und Meersalz aufs Brot gestrichen, den meisten
Anklang findet.
Das karge Land erinnert an Texas oder Mexiko – und wurde deshalb jahrelang
als Filmkulisse genutzt. Um die 300 Western und andere Streifen wurden hier
und in der angrenzenden Sierra de Tabernas in den 1960er Jahren gedreht.
An der Bar des Hotels Cortijo El Sotillo in San José starrte Lee van Cleef
seine Gegner aus grimmigen Augenschlitzen nieder, draußen vor dem
Restaurant sog Clint Eastwood an seinem Zigarillo. Und auch wenn das Hotel
vor 15 Jahren umgebaut wurde, reisen immer noch zahlreiche Filmfans an, um
für eine Handvoll Dollar ein Steak zu ordern oder für ein paar Euro mehr
ihr Haupt da zu betten, wo immer noch der Geist von Sergio Leone durch die
Räume schwebt.
Weiter nach Westen geht es. Schimmernde, viereckige Silberseen erweisen
sich beim Näherkommen als riesige Foliengewächshäuser, aus denen der Hunger
Mitteleuropas auf frühe Gurken, Tomaten und Erdbeeren gestillt wird. Das
Plastikmeer von Almeria, behauptete ein Nasa-Astronaut, sei das größte von
Menschenhand geschaffene Gebilde, das vom Weltraum aus zu erkennen sei,
noch vor den Pyramiden und der großen Mauer.
Dramatische Wolkenberge über der Sierra Nevada sorgen für aufregende
Licht-und-Schatten-Spiele. Auf eine Wanderung durch die Westernlandschaft
eines ausgetrockneten Flussbetts folgt der Rundgang durch die Alhambra von
Granada mit ihren farbigen Keramiken, den Wasserspielen und den
Stalaktitenkuppeln.
In Malaga lockt nicht nur das Geburtshaus von Picasso, sondern auch das
legendäre Orangeneis mit Olivenöl in der Bar El Pimpi.
## Caminito del Rey
Und nun also der Caminito del Rey, jener legendäre, in den Berg gemeißelte
und an ihn geklebte Pfad, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts als
Versorgungsweg für ein Wasserkraftwerk angelegt wurde. Lange galt er als
der gefährlichste Klettersteig der Welt. Seit seiner Renovierung im Jahr
2015 kann er gefahrlos begangen werden, setzt aber mit seinen Glasböden und
der Hängebrücke auf 100 Meter Höhe eine gewisse Unerschrockenheit voraus.
In diesem Augenblick taucht voraus ein Bild auf, das einen ersten
Vorgeschmack vermittelt: Eine eiserne Brücke überquert in schwindelnder
Höhe eine Schlucht, die wie eine schmale Axtkerbe in den Fels gehauen ist.
Wie Ameisen bewegen sich Menschen mit weißen Helmen darauf. Die Spannung
steigt. Halbwegs pünktlich erreicht der Bus den Parkplatz. Bleiben noch
zweieinhalb Kilometer Fußweg zum Einstieg. Schnell, schneller, die warten
nicht! Wind ist jetzt aufgekommen, über den Köpfen krachen Kiefern trocken
aneinander.
Dann ist es so weit – und all die Diskussionen und Überlegungen der
vergangenen Woche, wer wohl seinem inneren Schweinehund unterliegen und wer
sich in die luftige Höhe wagen würde, sind von einem Moment auf den anderen
hinfällig: Vor einer halben Stunde wurde der Weg gesperrt.
Steinschlaggefahr, erklären die Kontrolleure. Und dass sie die Enttäuschung
aller gut verstehen könnten. Sage niemand, eine Busreise sei kein
Abenteuer!
23 Apr 2017
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
## TAGS
Bus
Reisen
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Landwirtschaft
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