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# taz.de -- Busreise nach China: Drinnen Kino, draußen Wüste
> Es ist eine Abenteuerreise. In elf Wochen rund 18.000 Kilometer mit einem
> Luxusreisebus von Freiburg im Breisgau an das ostchinesische Meer in die
> Millionenmetropole Schanghai.
Bild: Faszinierend: die abendliche Glitzerwelt von Schanghai.
Mit dem Zug von Berlin Hauptbahnhof in rund 10 Tagen nach Peking - das
klingt auch heute für viele noch sehr exotisch. Mit dem Bus von Deutschland
über Land nach Schanghai, das scheint für die meisten sogar unmöglich zu
sein. Wir fahren nun schon seit Wochen in Richtung Osten - 25 Reisende,
zwei Chauffeure, ein Reiseleiter, eine Reisebegleiterin - im ferrariroten
5-Sterne Luxusbus aus Freiburg.
Es ist ein unglaubliches Abenteuer: In rund 74 Tagen über Land in den
Fernen Osten, durch endlose Wüsten, vorbei an 6.000 Meter hohen
Gebirgsketten, auf modernen Autobahnen, über mörderische Schlaglochpisten,
durch liebliche Täler, über abenteuerliche Pässe auf der legendären
Seidenstraße mit Unwägbarkeiten aller Art zwischen Teheran, Taschkent, der
Wüste Gobi, dem Jangtse und dem Chinesischen Meer; von Freiburg nach
Schanghai.
Es ist heiß, auch nachts und immer noch morgens. Aus meinem Hotelfenster
schaue ich auf die staubigen Dächer der umliegenden Hütten. Wir sind in
Turfan, Oasenstadt auf der Seidenstraße, etwa 130 Meter unter dem
Meeresspiegel am Rande der Taklamakan-Wüste in Chinas westlichster Provinz
Xinjiang.
Ganze Familien schlafen auf den mit Latten, Grasmatten und Blechen
bedeckten Dächern. Die großen Holzbetten, die Kangs, werden im Frühjahr
nach oben geschleppt.
Es ist ein ganzes Stadtviertel, das dort oben den Tag beginnt. Zwei junge
Männer putzen sich die Zähne, beobachten dabei ihre Tauben, die im
Verschlag direkt neben den Betten leben.
Eine halbe Etage tiefer räkelt sich der ältere Bruder auf einer blauen
Decke, dreht sich um und schläft weiter, während die Nachbarin an der
gegenüberliegenden Dachkante frische Maulbeeren pflückt und genussvoll in
sich hineinstopft.
Braun bis Gelb, das sind die beherrschenden Farbtöne dieser Tage, die an
den Panoramascheiben unseres Luxusliners vorbeiziehen. Schwarz kommt noch
hinzu, wir durchqueren die schwarze Gobi, ein riesiges Wüstengebiet. Selten
tauchen grüne Pappelreihen auf, die in Nord- und Westchina am meisten
auftretende Baumart. Aber hier eben nur sehr selten.
Hami ist eine Wüstenstadt wie vorher schon Turfan. Breite Alleen, die in
die Stadt hineinführen, meist gesäumt von hellgrünen Baumreihen, die in den
letzten Jahren ganz gezielt angepflanzt wurden, um die zunehmende
Versteppung Westchinas aufzuhalten. Vor dem ersten Kreisverkehr von den
Ausmaßen eines Flugvorfelds stehen endlose Reihen von Lastzügen.
Hier werden die berühmten knallgelben Hami-Melonen verladen - die auf den
Feldern rund um Hami wachsen, gespeist mit Wasser aus den nahen Bergen, die
schneebedeckt den Horizont nach Norden einrahmen.
Dorthin zieht es uns. Wir verlassen die staubige Ebene für einen
Tagesausflug in die Berge am Barkölsee. Die Straße läuft schnurgerade auf
eine tief zerklüftete, dunkelbraune Bergkette zu, riesige Steinquader
säumen die Straße, bevor wir im Bus auf einer lang gezogenen Straße in ein
enges Gebirgstal hineinfahren.
Die Landschaft wird immer schöner, das Tal immer enger, die Straße immer
schlimmer: tiefe Löcher, teilweise nur noch welliger Schotter, dazwischen
Baustellen, vor denen sich Lkws gegenseitig wie bei einem Rodeo überholen,
und alles in Staub gehüllt.
Auf der Hochebene dann - der Himmel ist weit und groß, die Mongolei recht
nah. Wir genießen Stunden in der Einsamkeit auf ausgedehnten Bergwiesen,
auf denen weiße und violette Krokusse wachsen und Schafe zwischen
Telegrafenmasten vor dem schneebedeckten Panorama des Karlik-Shan-Gebirges
weiden. Auf dem Weg zurück ist es im Bus ganz still, es war einfach ein
Genuss an Farben, an Bildern und Landschaft.
Dieser Bus ist nicht nur rollendes Wohnzimmer, sondern ein verlässliches
Raumschiff. Wenn es unterwegs nirgends Kaffee gibt, bietet die Busküche den
besten Espresso zwischen Schanghai und Ankara, wenn es kein Restaurant in
der Wüste gibt, ist ja auch normal, dann holen wir die chinesischen
5-Minuten-Terrinen raus (da können unsere übrigens einpacken) und machen es
uns im Bereich hinten an den Tischen bequem, schauen in die Wüste, sitzen
entspannt im Sessel und genießen.
Abends im Bus in der Wüste mit Spielfilmen über China und die Seidenstraße
wird es mit einem Glas Rotwein aus der Bordbar oder einem Gin Tonic erst so
richtig bequem. Die Klimaanlage surrt leise, es ist angenehm kühl.
Zurück auf der Autobahn nach Osten. Zwischenstopp in einem der kleinen
Fernfahrerrestaurants. Herr Wang und seine Frau Li haben eine vierjährige
Tochter, die gern mit den Busgästen spielt.
Die Küche ist hervorragend, ungläubiges Staunen bei manchen, die die fein
geschnittenen Kartoffelstreifen erst für Nudeln halten. Li zeigt, wie es
geht. Hier gibt es immer noch keinen Strom, geheizt und gekocht wird mit
Braunkohle.
Vor 15 Jahren kam sie mit ihrem Mann aus Sechuan hierher, um sich eine
Existenz aufzubauen. Sie werden bald wieder gehen müssen. Auf der
Fernstraße 312 werden bald keine Autos mehr fahren; wenn die neue Autobahn
von Schanghai bis an die kasachische Grenze eröffnet wird, sind sie vom
Verkehr abgeschnitten und müssen wieder irgendwo anders von Neuem beginnen.
Wir verlassen die Road 312 nach Lanzhou und biegen ab in südlicher Richtung
nach Dunhuang, einer ehemaligen Karawanserei am Rande der Wüste. Die Straße
zwingt uns, maximal 55 bis 60 Kilometer die Stunde zu fahren - aber egal,
wir haben Zeit.
Brütende Hitze, weit und breit kein Dorf, kein Haus, nur Geröll und ab und
zu verdörrte Steppengrasbüschel. Am Horizont eine Silhouette. Ein Baum, ein
Verkehrsschild? Nein, jemand wandert auf der Straße Richtung Süden, in
Richtung nirgendwo.
Er hat warme Sachen dabei, und er trägt einen Plastiksack. Wir sind schon
vorbei, als uns einfällt, er sammelt wahrscheinlich Plastikflaschen, 1 Kilo
für 1 Yuan.
Wir halten und stellen ihm den Sack mit unseren gesammelten Plastikflaschen
direkt an die Straße. 300 Meter weiter halten wir noch einmal. Uns ist
eingefallen, er braucht auch bestimmt Wasser, und stellen ihm noch zwei gut
gekühlte Wasserflaschen auf den Weg. Nach etlichen Kilometern wird uns
klar, dass er in jedem Fall in der Wüste wird übernachten müssen, es
tauchen einfach keine Häuser auf.
Und dann, nach Wochen, in denen der Reisebus nur eine Richtung kannte, sind
wir nur noch wenige Kilometer vom Pazifik entfernt, unser Ziel steht schon
auf all den grünen Hinweisschildern: Schanghai!
Tatsächlich - nach rund 4.600 Kilometern endet die Road 312 direkt am Fluss
Huangpu, die Skyline direkt vor uns, wir können nur nach links oder rechts
abbiegen! Wir sind da! An der Rezeption des New Asia Hotels bekommen wir
die Zimmerschlüssel.
Mir fällt auf, dass die Damen an der Rezeption so häufig englische Namen
haben, eine heißt Erica, dann Wendy, Susan ist auch da und auch Helen.
"Ist das Zufall?", frage ich, und Helen antwortet: "Nein", wir haben uns
die Namen ausgedacht, und so ist es für europäische Gäste leichter, uns
anzusprechen.
Heiß ist es, eher schwül, jede Bewegung löst Schwitzen aus. Aber ich
gewöhne mich daran, die Stadt ist so quirlig, faszinierend, gegensätzlich,
eben Hafenstadt, da bleibt keine Zeit zu überlegen, ob ich mich bewege oder
nicht, diese Stadt nimmt einen einfach mit.
Sonntagmorgen im warmen Nieselregen stehen Männer auf dem Bund, der
Flaniermeile am Huangpu, und lassen bunte Drachen steigen, hundert Meter
weiter bewegen sich ältere Damen und Herren zu Tai-Chi-Klängen.
Was macht dieses Schanghai so faszinierend? Sind es seine Geschichte,
koloniale Konzessionen, französisches, englisches Flair? Die Skyline, bei
der die meisten Häuser im Nebel verschwinden, weil sie drei-, vier- oder
fünfhundert Meter hoch sind? Sind es die unzähligen Leitungen, die kreuz
und quer über den Straßen hängen?
Wahrscheinlich ist es alles zusammen.
Für die meisten Gäste ist die Reise in Schanghai zu Ende, viele sind nach
Hause geflogen, einige mit der Transsib auf dem Heimweg oder haben noch ein
paar Tage in Hongkong rangehängt.
G 40, G 30, G 312 - die Bezeichnungen der großen Fernstraßen nach Westen -,
das sind jetzt seit Tagen unsere Koordinaten. Im Zeitraffer geht es zurück
nach Westen. Jeden Tag legen wir im roten Bus zwischen 400 und knapp 1.000
Kilometer zurück.
Durch das dicht besiedelte, grüne, nur zwischen Regen und Nebelschleiern
erkennbare Ostchina hinein in die wild zerklüfteten Lössberge zwischen Xian
und Lanzhou, über den Jangtse und den Gelben Fluss.
Die Wärme bleibt, das Grün geht, es wird trocken, wir kommen wieder in die
Wüste nach nur vier Tagen, die wir vom Ostchinesischen Meer weggefahren
sind. Rechts von uns im strahlenden Mittagslicht ein Lehmbau, wir sind
wieder am westlichen Ende der Chinesischen Mauer, die hier nur in
Bruchstücken noch sichtbar ist.
Wir stoppen genau dort, wo die Straße die Mauer durchschneidet.
Eindrucksvoll! Und dann fallen schlagartig die Temperaturen - in 30 Minuten
von 31 auf etwas über 20 Grad Celsius. Der Wind nimmt zu, es beginnt zu
regnen.
Am nächsten Morgen zeigt das Thermometer nur noch 14 Grad an, mitten im
Sommer, mitten in der Wüste, irgendwo in Zentralasien!
Vor uns noch tausende von Kilometern nach Westen - zurück nach Freiburg:
Wir durchqueren einen Wald von weißen Windmühlen, die Ökostrom liefern.
Auch der rote Bus liefert umweltverträgliche Bestnoten: 17,8 Liter
Dieselverbrauch auf 100 Kilometer, er wiegt 22 Tonnen und bietet Platz für
37 Personen.
23 Feb 2011
## AUTOREN
Wolfram Goslich
## TAGS
Reiseland China
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