| # taz.de -- Hungersnot in Ostafrika: Zwei Jahre kein Regen | |
| > In Somaliland sind Millionen Menschen von der Hungersnot bedroht. Auch | |
| > weil der Staat im Ausland nicht anerkannt wird. | |
| Bild: Versucht, ihre letzten Ziegen auf den Beinen zu halten: Nomadin Fadumo Ha… | |
| Banka Wajaale/Kale-Bayd taz | „Sie sind alle weg, in der Klinik im Dorf. | |
| Die ganze Familie hat schweren Durchfall. Sie brauchen dringend | |
| Medikamente.“ Mit diesen Sätzen erklärt Fadumo Hashi die merkwürdige Ruhe | |
| rund um ihre Hütte, die aus Stöcken, Segeltuch und farbigen Stoffen | |
| besteht. | |
| Die Frau glaubt, ungefähr 70 Jahre zu sein. Sie stammt aus der Region | |
| Togdheer im Osten von Somaliland – dem seit 1991 faktisch unabhängigen | |
| Nordteil Somalias. In dieser Wüstenregion hat es seit mehr als zwei Jahren | |
| nicht geregnet. | |
| Als die Ziegen der Familie starben, zog die Familie nach Westen, 150 | |
| Kilometer weit bis nach Banka Wajaale. Aber auch hier hat die Sonne alles | |
| vertrocknet. Von den 170 Ziegen sind nur mehr ein halbes Dutzend übrig. „Es | |
| tut jedes Mal weh, wenn ein Tier stirbt“, sagt die schmächtige alte Frau. | |
| „Sie sind unser Leben, unser Reichtum.“ | |
| Fadumo Hashi hat in ihrem Leben schon viele Dürren erlebt. Sie fürchtet, | |
| dass die derzeitige genauso verheerend wird wie die der 1970er Jahre. Als | |
| sie sieht, dass eine ihrer kleinen Ziegen anfängt umzukippen, läuft sie | |
| schnell hin. „Ich muss das Tier auf den Beinen halten. Wenn es sich | |
| hinlegt, wird es wahrscheinlich nie wieder aufstehen. Ich habe ihr etwas | |
| von meinem Essen gegeben.“ | |
| ## Warten auf Action Aid | |
| Hashi weiß aber, dass man von Viehzucht allein nicht leben kann. „Vor zehn | |
| Jahre habe ich Obstbäume gepflanzt“, erzählt sie. „Wir hatten Mangos und | |
| Zitronen, die wir aßen. Was übrig blieb, verkaufte ich auf dem Markt. Aber | |
| ohne Regen geben die Bäume nichts mehr.“ Es muss sich jetzt grundlegend | |
| etwas ändern, meint sie. Die Regierung müsse Wasserreservoirs anlegen, um | |
| Regen zu sammeln für Zeiten der Dürre. Die Nomaden sollten in Regenzeiten | |
| Gras schneiden und als Heu aufbewahren. Ihr selbst reicht es mit diesem | |
| Leben. Fadumo Hashi träumt von einem eigenen Lebensmittelladen. | |
| An der Straße von Somalilands Hauptstadt Hargeisa Richtung Osten stehen | |
| Hunderte Hütten von Nomaden. Zu Fuß oder auf offenen Lastwagen kamen sie | |
| aus dem Osten. Der Wirbelwind tanzt zwischen den Hütten in der grauen, | |
| staubigen Landschaft. Mustafa Ahmed hält in dem Dorf Kale-Bayd. | |
| Der Projektkoordinator des Hilfswerks Action Aid will hier Lebensmittel | |
| verteilen. Als Ahmed sieht, wie Hunderte von Frauen in bunten Kleidern und | |
| Schleiern aus allen Richtungen angelaufen kommen, blitzt Panik in seinen | |
| Augen auf. „Wir haben mit 250 Familien gerechnet. Das sind mindestens 500 | |
| Frauen“, seufzt er. „Wir haben zu wenig Lebensmittelkarten und Nahrung.“ | |
| Seit sieben Jahren arbeitet Ahmed für internationale Organisationen in | |
| Somaliland. Nie hat er so viel Elend gesehen wie jetzt. „Ich hatte | |
| geglaubt, dass ich mehrere hundert Familien für einige Zeit ernähren kann. | |
| Und jetzt muss ich so viele enttäuschen und erklären, dass sie noch warten | |
| müssen.“ Ahmed hätte mit seiner Ausbildung wahrscheinlich leicht einen Job | |
| im Ausland finden können. Aber er will im eigenem Land helfen. | |
| ## Im Ausland nicht existent | |
| Somaliland existiert auf dem Papier nicht. Völkerrechtlich ist es ein Teil | |
| Somalias. Vor 26 Jahren, als Rebellen den damaligen somalischen Diktator | |
| Siad Barre gestürzt hatten, rief Somaliland einseitig die Unabhängigkeit | |
| aus. Vom Rest des Landes wollte man nichts mehr wissen. | |
| Während in weiten Teilen Somalias islamische Extremisten von al-Shabaab | |
| regelmäßig für Gewalt und Tod sorgen, ist es in Somaliland relativ ruhig. | |
| Aber gegen diese Dürre kommt das Land nicht an. Somaliland ist arm, es kann | |
| aufgrund seiner fehlenden internationalen Anerkennung bei internationalen | |
| Institutionen wie Weltbank oder IWF kein Geld leihen. | |
| Es existiert offiziell ja nicht. Also überlebt es dank altmodischer | |
| Tierhaltung, einfache Landwirtschaft, Überweisungen aus der Diaspora. Doch | |
| nun sind etwa 1,5 der knapp 5 Millionen Einwohner von Dürre und Hunger | |
| betroffen. Nach Schätzungen sind bereits 18 Millionen Rinder, Schafe, | |
| Ziegen und Kamele gestorben. Die Landschaft ist übersät mit Kadavern. | |
| Die Zahlen zeigen noch gar nicht den vollen Ernst der Lage, findet Ahmed. | |
| Er weist auf einige Frauen mit Babys. „Die Mütter haben nicht genug zu | |
| essen, und das bedeutet weniger Milch für die Kleinen. Die ersten Jahre | |
| sind entscheidend. Ich habe selbst Kinder, und es bricht mir das Herz, zu | |
| sehen, wie die Überlebenschancen dieser Kinder von Tag zu Tag kleiner | |
| werden.“ | |
| ## 400 Krankheitsfälle im April | |
| Binnen weniger Tage sind in Somaliland 28 Menschen an Durchfallerkrankungen | |
| gestorben. Im April zählte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz | |
| bisher 411 solcher Krankheitsfälle. Ahmed befürchtet, dass die Zahl der | |
| Todesopfer steigen wird. | |
| „Die internationale Gemeinschaft gibt oft Geld durch die Vereinten | |
| Nationen. Die suchen dann Organisationen, die an Ort und Stelle Hilfe | |
| leisten können. Aus Erfahrung weiß ich, dass es ein sehr bürokratischer | |
| Prozess ist. Es kann Monate dauern, bevor aus Spendengeldern Nahrung wird, | |
| die in die Hände der Menschen gelangt.“ | |
| Schneller und effektiver in Krisenzeiten wie jetzt ist die Hilfe aus | |
| Ländern wie Saudi-Arabien, der Türkei und den Vereinigten Arabischen | |
| Emiraten. Sie schicken Flugzeuge mit Lebensmitteln nach Hargeisa, wo diese | |
| auf Lastwagen verladen werden und wenige Tage später bei den Opfern der | |
| Dürre ist. „Unsere Schwesterorganisation in Großbritannien schickte uns | |
| letzte Woche Geld. Wir kauften Lebensmittel wie Reis, Bohnen und Öl auf dem | |
| Markt in Hargeisa. Innerhalb eine Woche können wir es ausliefern.“ | |
| Aber auch eine Woche ist lang, wenn man am Ende seiner Kräfte ist. Ahmed | |
| beginnt mit seiner Rede vor der Dorfversammlung in Kale-Bayd. Als er | |
| erklärt, dass es Karten und Nahrung nur für die Hälfte der Anwesenden gibt, | |
| schreien die Bewohner böse Wörter, schlagen Frauen verzweifelt die Arme | |
| hoch. Polizisten mit Schlagstöcken mahnen zu Ruhe. Erst als Ahmed mehrfach | |
| wiederholt hat, dass er in zwei Tagen zurückkehren und die anderen | |
| versorgen wird, legt sich die Erregung. | |
| ## Ein Drittel Nomaden | |
| „Es frisst Energie, Menschen leiden zu sehen“, sagt er, als er wieder im | |
| Auto sitzt. Der Helfer sieht müde und bedrückt aus. Die Folgen der Dürre | |
| haben auch seine Familie erreicht. „Wie jeder im Land haben meine Frau und | |
| ich Familienmitglieder, die Nomaden sind. Momentan geht die Hälfte meines | |
| Gehalts an sie. Ich bin kein Nomade, aber die Kultur des Teilens sitzt mir | |
| im Blut.“ | |
| Ein Drittel der Einwohner von Somaliland sind Viehnomaden. Das Land ist | |
| größtenteils Halbwüste. Wer kein Vieh hat, ist zum Beispiel Händler – und | |
| reist dafür auch nach Somalia, Äthiopien, Dschibuti oder in Richtung | |
| Arabische Halbinsel. Weil der Pass von Somaliland nirgendwo anerkannt wird, | |
| versuchen viele Händler, irgendwo eine zweite Staatsbürgerschaft zu | |
| bekommen. | |
| Viele Landsleute haben diese Option nicht. In Banka Wajaale sitzt Aber | |
| Saeed betrübt vor seinem Haus. Er ist Nomade mit Herz und Seele. Im Ausland | |
| war er noch nie. Neben ihm stehen seine entkräfteten Kinder, seine Frau hat | |
| sich im Haus versteckt. „Ich war ein reicher Mann in Balli Ahmed, das liegt | |
| im Osten, wo ich geboren wurde, heiratete und ein gutes Leben führte“, | |
| berichtet er. „Ich hatte mehr als 300 Kühe, ungefähr 250 Schafe und etwa | |
| 200 Ziegen. Ich hatte auch ein Stück Land, wo ich Korn anbaute.“ | |
| ## Idee: Bäume pflanzen | |
| Als 2015 die Dürre einsetzte, endete sein gutes Leben. Im vergangenen | |
| Oktober beschloss er, nach Banka Wajaale zu ziehen, weil er gehört hatte, | |
| dass es da immer grün ist. Er wurde schwer enttäuscht. Jetzt hat er nur | |
| noch seine Familie, dazu sechs Ziegen und einen Esel. „Ich schäme mich | |
| sehr. Ich konnte meiner Familie alles bieten. Jetzt haben wir nicht mal | |
| genug zu Essen. Ich bin gescheitert, als Nomade, als Ehemann und als | |
| Vater.“ | |
| Seine Tage verbringt Saeed nun mit Nachdenken. Verwandte haben ihm erklärt, | |
| dass Bäume wichtig sind für Regen. „Wir fällen sie ständig, um Holzkohle … | |
| machen, so dass die Frauen Essen kochen können. Aber wir pflanzen nie junge | |
| Bäume.“ | |
| Saeed hofft, dass Allah und die Natur das nun regeln. Wenn es wieder | |
| regnet, will er Bäume pflanzen. „Und ich werde das auch anderen Hirten | |
| sagen. Vielleicht kommt es dann nie wieder zu einer Dürre.“ | |
| NaN NaN | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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