# taz.de -- Bauhaus Campus Berlin: Sind so kleine Häuschen | |
> Beim Bauen besser klein denken – wie das gehen kann, will die Tinyhouse | |
> University beim Bauhaus Campus Berlin zeigen. | |
Bild: Geräumig genug: Blick in die 100-Euro-Wohnung auf dem Bauhaus Campus | |
Man muss sich Van Bo Le-Mentzel als einen optimistischen Menschen | |
vorstellen. Jedenfalls in Bezug auf die Wohnungsfrage. Der Berliner | |
Architekt, 1977 in Laos geboren und im Wedding aufgewachsen, haut Slogans | |
raus wie: „Wir haben nicht zu wenig Wohnraum, wir haben nur zu wenig | |
Fantasie.“ | |
Le-Mentzel ist Gründer, Sprecher und Koordinator der Tinyhouse University | |
(TinyU). Öffentlich wurde die Gruppe, der neben Architekten auch | |
Handwerker, Künstler und Internetanbieter angehören, als sie im März ihren | |
temporären Bauhaus Campus Berlin eröffnete. Der liegt auf einer bislang | |
ungenutzen Fläche am Bauhaus-Archiv. Sonst hat das gastgebende Museum | |
nichts mit den Initiatoren der TinyU zu tun. Als deren Behausung fungieren | |
jene Tiny Houses, die der Universität den Namen gaben. Es handelt sich | |
dabei um nicht mal zehn Quadratmeter große Gebilde, die auf einen | |
Autoanhänger gesetzt sind und deshalb keine Baugenehmigung brauchen. Der | |
Campus bleibt bis Frühjahr 2018, wenn die Fläche sich in eine Baustelle für | |
die Erweiterung des Bauhaus-Archivs verwandeln wird. Bis dahin sollen sich | |
hier bis zu 20 Tiny Houses versammeln. Jedes der kleinen Häuschen wird je | |
nach Funktion anders aussehen. | |
Als erstes Tiny House trat bereits im März die 100-Euro-Wohnung auf den | |
Plan. Das 6,4 Quadratmeter kleine Häuschen beherbergt hinter seinen | |
hölzernen Wänden eine komplette Wohnung mit Wohnbereich, Küchenzeile, Bad | |
inklusive Dusche und einem darüber liegenden Schlafbereich. Die | |
100-Euro-Wohnung ist gleichsam der Prototyp für ein ungleich größeres | |
Projekt, das Van Bo Le-Mentzel im Sinn hat. Die Wohnzelle auf Rädern gibt | |
dazu nur das Beispiel für ein Modul im dem bislang nur als Idee | |
existierenden Co-Being House. | |
Dieses Haus würde äußerlich kaum von der üblichen Blockrandbebauung | |
irgendwo in der Innenstadt zu unterscheiden sein, aber wegen seiner inneren | |
Struktur eine neue Grundlage im Wohnungsbau abgeben. Ein bisschen wie eine | |
Kommunalka im postrevolutionären Russland mit zentralem gemeinschaftlichem | |
Wohnzimmer auf der Etage, ein bisschen wie Le Corbusiers „Cabanon“, diese | |
kleine Hütte auf 16 Quadratmetern, nur diesmal als Etagenmodul allerdings | |
ähnlich spartanisch, aber dafür 3,60 Meter hoch. So kann man in | |
Überkopfhöhe eine Bettstatt einrichten. Der Vorteil des Co-Being House: | |
Wohnen in der Stadtmitte für nur 100 Euro Miete. „Stellen Sie sich vor, was | |
Sie mit dem gesparten Geld alles machen könnten“, preist Van Bo Le-Mentzel | |
sein Konzept. | |
Die Stadt bliebe erschwinglich, eine Durchmischung ließe sich | |
aufrechterhalten, der ökologische Fußabdruck der Bewohner wäre | |
vergleichsweise gering. | |
100 Euro, das scheint erst mal sehr verlockend, ist aber tatsächlich nicht | |
gerade billig. Denn für die 100 Euro Miete bekäme man nur 6,4 Quadratmeter | |
Wohnfläche. Das ist wohl nicht jedermanns Sache, aber es geht – zumindest | |
temporär (für manche). | |
## Tiny Houses als Trend | |
Leben in einem Tiny House ist ja gegenwärtig bereits Trend. Es gibt so | |
etwas wie eine Tiny-House-Bewegung. Tiny Housing ist die Antwort nicht nur | |
auf Wohnungsnot und kleinen Geldbeutel, sondern – und das macht die Sache | |
für Hipster und Alternative zu einem Lifestyle mit Angeberqualitäten: Leben | |
auf winzigem Raum entlastet von dem ständigen Überangebot von | |
Möglichkeiten, denen der Zivilisationsmensch heute ausgesetzt ist. Denn | |
Tiny Houses erzwingen Reduktion auf das Wesentliche und wirklich Nötige. | |
Sandra Leitte schreibt in ihrem 2016 im DVA-Verlag erschienenen Buch | |
„Winzig. Innovative Häuser im Mini-Format“: „Die meisten finden in diesem | |
Ausstieg aus dem Konsumverhalten unserer Zeit mehr Freiheit, mehr | |
Flexibilität und mehr Zufriedenheit. Wer weniger Eigentum hat, hat weniger | |
Kosten, muss weniger Geld verdienen, daher weniger arbeiten und hat mehr | |
Zeit für die Dinge, die wirklich glücklich machen.“ | |
Auch Van Bo Le-Mentzel hat gelernt, dass er Tiny beziehungsweise Co-Being | |
Houses nicht als Arme-Leute-Projekt verkaufen darf, wenn er Erfolg haben | |
will. Die Crux daran: Tiny Houses reagieren mit Anpassung, sie wollen das | |
System auf dem Wohnungsmarkt nicht ändern. Wenngleich sich natürlich | |
politische Arbeit für mehr und billigeren Wohnraum in Ballungsgebieten und | |
großen Städten und das Leben auf kleinem Fuße nicht unbedingt gegenseitig | |
ausschließen müssen. | |
Die Tinyhouse University hat inzwischen zur 100-Euro-Wohnung zwei neue | |
Häuschen dazubekommen: Das New Work Studio bietet eine Art Büro oder | |
Klassenraum mit großzügig verglaster Sonnenseite und einer angegliederten | |
Terrasse, die auch als Bühne oder Podium etwa bei Vorlesungen und bei den | |
regelmäßigen Campus-Veranstaltungen benutzt werden kann. Dazu kommt der | |
Workshop On Wheels (W.O.W.), der wie eine vergrößerte Werkzeugkiste | |
funktioniert, die sich bei Gebrauch entfaltet, über Werkzeug‑ und | |
Materiallager verfügt und zusätzlich eine Schlafgelegenheit auf dem Dach | |
bereithält. Das Berliner Kollektiv ConstructLab bietet mit dem W.O.W. | |
„Workshops für eine soziale Nachbarschaft“ an. Hier kann man lernen, wie | |
man selber baut. So trainiert man gleichzeitig soziales Handeln. | |
## Der partizipative Gedanke | |
Der partizipative Gedanke ist für Van Bo Le-Mentzel und die Tinyhouse | |
University ein ganz wesentlicher Gedanke. Als Architekt nicht nur planen, | |
sondern selbst bauen und dann auch noch im Kollektiv, und womöglich sogar | |
mit den späteren Nutzern der gemeinsam erstellten Wohnungen und Räume, das | |
würde vielleicht schon zu einer anderen Architektur führen. Einer | |
Architektur, die trotz ihrer kleinen Ausmaße vielleicht höchste | |
Befriedigung verschafft. Man wird sehen. Die Tinyhouse University ist ein | |
Experiment. Und als solches lässt sich nicht genau sagen, was am Ende dabei | |
herauskommt. | |
Spätestens zur Langen Nacht der Museen im August soll das Gelände mit 20 | |
Häuschen voll besetzt sein, unter anderem mit einem Café Grundeinkommen, | |
dem „House of Tiny Systems“ als Beispiel für eine nachhaltige | |
Grauwasseraufbereitung und einem „Frauraum“, bei dem zwölf | |
Flüchtlingsfrauen unter Anleitung der Künstlerin Tassja Kissing eine | |
Ausstellungs‑ und Veranstaltungsplattform im Miniformat herstellen wollen. | |
So trifft sich Van Bo Le-Mentzels Anliegen, dass auch der Flüchtling, der | |
Student oder Hartz-IV-Empfänger eine bezahlbare Wohnung in der Stadt | |
bekommt, mit vielen anderen Aspekten des innovativen Wohnens, Arbeitens und | |
Lebens. Wir werden in Zukunft ohnehin vieles anders machen müssen. Das muss | |
nicht immer Anpassung bedeuten, sondern könnte auch heißen, die | |
Verhältnisse zu verändern. | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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