# taz.de -- Buch „Convivial Ground“: Arbeiten, bauen, wohnen und leben | |
> Friede den Hütten – das will das Baukollektiv Constructlab in seinem | |
> aktuellen Buch „Convivial Ground“ propagieren. Doch was ist mit den | |
> Palästen? | |
Bild: Arbeit an „ Hotel Egon“, einem Projekt von Constructlab während der … | |
Ein Recht auf Stadt will sich die Berliner Initiative „Urbane Praxis“ mit | |
den Mitteln der Künste, der Gestaltung, Planung und Aktion erstreiten. Das | |
in Berlin ansässige Contructlab ist Teil dieser Initiative. Sein | |
„transnationales Netzwerk“ schlägt seit über zwanzig Jahren vom | |
Mittelmeerraum über mitteldeutsche Provinzstädtchen bis zu den | |
Architekturbiennalen in Chicago [1][oder gerade in Venedig] sein Lager auf. | |
Bevor der Deutsche Pavillon dort bis Ende November zum aktiven | |
Materialdepot erklärt wurde, organisierte Constructlab im Auftrag des | |
deutschen Kurator:innenteams schon einmal eine „Hausversammlung“. Auf | |
der Giudecca stellte es einige Wägen auf. Die dienten als Küche, | |
Siebdruckstation oder Werkstatt. Übergeordnetes Ziel war die | |
Nachbarschaftspflege und die Instandhaltung in einem von Besetzer:innen | |
geprägten Viertel. | |
„Wir beobachten uns gegenseitig beim Improvisieren. Diese Stadt werden wir | |
gemeinsam gebaut haben“, heißt es im nun erschienenen Handbuch „Convivial | |
Ground“ von Constructlab. Es kommt im robusten Umschlag mit kurzen | |
Projektbeschreibungen, anekdotischen Erinnerungen, Selbst-Interviews und | |
ausführlichen Bildstrecken. | |
Der Titel verweist auf das 2013 von französischen Intellektuellen verfasste | |
„Convivialist Manifesto“. Dies suchte zwischen Wachstumskritik und | |
Gabentausch ein gutes Zusammen-Leben und griff auf das Konzept der | |
Konvivialität zurück, wie der Philosoph Ivan Illich es in den 1970ern | |
erarbeitete. Dessen Buch „Tools for Conviviality“ liest sich heute als | |
Aufruf gegen einen radikalen Neoliberalismus. | |
## Soziale Kompetenz ist gefragt | |
„To Gather“, das „Zusammenkommen“ als politischer Akt, ist immer auch | |
Beziehungsarbeit. Zusammen arbeiten und bauen, leben und wohnen, gut Essen | |
wie auch Spaß haben wird bei „Convivial Ground“ groß geschrieben. | |
Stuhlkreis und Agora, runder Tisch oder Lagerfeuer tauchen auf den | |
Farbfotos und Skizzen immer wieder auf. Easy- und Night-Jetter sind auf | |
Grand Tour mit zusammen gezimmerten Kanus, Euro-Englisch erklingt zum | |
Orchester aus Stichsägen und Akkuschraubern, kein Regenschauer trübt die | |
Bilder: Die Fotostrecken zeigen einen Lkw-Anhänger als Werkzeugwagen mit | |
Küche und Bettlandschaft oder erfindungsreich unter Schuhe geschnallte | |
Stempel. Der Pizzaofen wird mit Restholz befeuert und die ausgemusterten | |
Schultafeln zu Fassaden umgewandelt. | |
Schlägt Constructlab sein Lager auf, sind Vielfachbegabungen, | |
Hartnäckigkeit und soziale Kompetenz gefragt – das Schweizer Taschenmesser | |
der Urbanen Praxis. Flache Hierarchien werden zwar eingefordert, doch gibt | |
es Tutoren für Spezialaufgaben – wie das Herausgeber:innenteam des | |
Buchs: die französische Architektin Joanne Pouzenc, der Berliner Gestalter | |
Alex Römer sowie der niederländische Grafikdesigner Peter Zuiderwijk. | |
Geld als Treibstoff spiele nur am Rand eine Rolle, heißt es. Mit der | |
Finanzierung gastgebender Institutionen müsse gehaushaltet werden. Dann | |
wird eine Stützkonstruktion gebaut, in der man schon einmal nächtigen kann. | |
Schon bald sei man Teil der lokalen Bevölkerung. Doch dann ist das Projekt | |
üblicherweise wieder vorbei und alle gehen ihrer Wege. | |
## Zuviel gute Laune nervt | |
Die Präsenz des Netzwerks aus Designer-Builders, Kulturarbeiter:innen | |
und Neuankommenden ist auf Zeit. Constructlab hinterlässt so kaum Spuren, | |
im Guten wie im Schlechten. Und was passiert danach? | |
Ein im Buch groß gesetztes Zitat des Architekten Eyal Weizman (man kennt | |
ihn auch als Gründer von [2][Forensic Architecture]) beschreibt | |
Partizipation als „eine Reihe von Konflikten, Verhandlungen, Manövern und | |
Betrügereien zwischen und innerhalb einer Vielzahl von Akteuren“, doch | |
beherzt wird diese nüchterne Analyse kaum. Irgendwann nervt die ungebrochen | |
gute Laune auf den Bildern und in den Texten. | |
## Was praktisch getan werden kann | |
Der Stichwortgeber Ivan Illich war in engem Kontakt mit John F. C. Turner, | |
dem Pionier des informellen Selbsthilfe-Bauens in Armutsquartieren von | |
Peru. Und wie das im Buch diskutierte „upcycling“ zur ästhetischen und | |
sozialen Reife getrieben werden kann, zeigt das 1993 gegründete Rural | |
Studio der US-amerikanischen Auburn University überzeugend. Dort lernen | |
Architekturstudierende nämlich, gute Gebäude für arme Gemeinden im | |
ländlichen „Black Belt“ Alabamas nahezu kostenneutral zur Verfügung zu | |
stellen. | |
„Aber die Holzschiffe / waren nur ein Hippie-Traum“, sang Neil Young 1986 | |
in seinem dystopischen „Hippie-Dream“-Song. Die geselligen Baustellen der | |
Urbanen Praxis konstruieren als wunderbares Projekt des Miteinanderseins | |
den Frieden der Hütten. Doch was ist mit dem Krieg gegen die Paläste, den | |
der Schriftsteller Georg Büchner zudem einforderte? | |
11 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jochen Becker | |
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