| # taz.de -- Lehrer über Antisemitismus bei Muslimen: „Konfrontativ und schne… | |
| > Viele Muslime haben antisemitische Einstellungen – genauso wie andere | |
| > Deutsche, sagt der Vorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen | |
| > Antisemitismus. | |
| Bild: Kundgebung „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ des Zentralrats der Jude… | |
| taz: Herr Hızarcı, an einer Friedenauer Schule wurde ein jüdischer Schüler | |
| über Monate antisemitisch drangsaliert, sodass er die Schule verlassen hat. | |
| Der Fall hat in den Medien ziemlich hohe Wellen geschlagen. Zu Recht? | |
| Derviș Hızarcı: Ich denke, ja. Vor allem jüdische Communitys haben deutlich | |
| gemacht, dass so ein Vorfall in keinster Weise toleriert werden darf. Es | |
| ist wichtig, ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen. Umso bedauerlicher ist | |
| es, dass in dieser Deutlichkeit hauptsächlich Reaktionen von den jüdischen | |
| Communitys kamen. Wünschenswert wären klare Stellungnahmen anderer Akteure, | |
| auch muslimischer. | |
| Gibt es solche Fälle oft? | |
| Nicht in dieser extremen Form der Schikane, des Drangsalierens. Dass ein | |
| Kind aufgrund seiner jüdischen Identität über Monate so fertiggemacht | |
| wurde, ist erschreckend – und in dieser Form glücklicherweise selten. | |
| Dennoch hieß es ja gleich, „die Muslime“ haben eben ein | |
| Antisemitismusproblem. | |
| Ja. Es gibt die Tendenz innerhalb der jüdischen Gemeinden, zu sagen, dass | |
| Antisemitismus insbesondere ein Problem von Muslimen sei. Und hier hat man | |
| – wenn man so eine Einstellung hat – eine Bestätigung, einen „Beweis“ | |
| dafür. | |
| Sie stimmen dem nicht zu? | |
| Der Expertenbericht 2012 des Bundestages zu Antisemitismus hat gezeigt: Es | |
| gibt eine stabile Zahl von rund 20 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, | |
| die latent antisemitisch sind. Es gibt aber bis dato keine repräsentativen | |
| Forschungsergebnisse zu antisemitischen Einstellungen speziell bei | |
| Muslimen. Der Friedenauer Fall verdeutlicht die Notwendigkeit einer | |
| verstärkten Auseinandersetzung damit. Nichtsdestotrotz darf hier der Blick | |
| auf die gesamte Gesellschaft nicht verloren gehen. Dazu gehören der | |
| Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft und auch der in der rechten | |
| Szene, die immer sichtbarer wird und sich einbildet, eine im Zentrum | |
| stehende Volksstimme zu sein. All dies wird mit diesem Fokussieren auf | |
| muslimischen Antisemitismus relativiert. Zudem schürt man den | |
| antimuslimischen Rassismus, indem man sagt: Schaut, zu all den Problemen, | |
| die Muslime haben, kommt noch der Antisemitismus hinzu. Also noch ein | |
| „Beweis“, dass Muslime eine Problemgruppe sind. All das führt in keiner | |
| Weise dazu, dass Probleme erkannt und angegangen und gelöst werden. Eher | |
| verstärken sie problematische Tendenzen. | |
| Aber stimmt es nicht, dass gerade krasse antisemitische Fälle etwa mit | |
| Gewaltanwendung oft von Muslimen begangen werden? Auch der Rabbiner Daniel | |
| Alter wurde von „arabisch-muslimischen“ Jugendlichen überfallen. | |
| Anders ausgedrückt hieße das: Sind Muslime hier also gewalttätiger? Ja, da | |
| ist etwas Wahres dran. Das muss man im Blick haben und auch dagegen | |
| vorgehen. Aber es geht nicht darum, einzelnen den schwarzen Peter | |
| zuzuschieben, sondern nach Partnern und Zugängen zu suchen, um Probleme | |
| anzugehen. Denn man braucht muslimische Partner, um gegen Antisemitismus | |
| vorzugehen. | |
| Welche Rolle spielen eigene Ausgrenzungserfahrungen von muslimischen | |
| Jugendlichen, spielt antimuslimischer Rassismus? | |
| Das spielt eine Rolle. Aber es wäre falsch und griffe zu kurz, wenn man | |
| antisemitische Vorurteile allein mit den Ausgrenzungserfahrungen erklären | |
| würde. Das eine führt nicht zwingend zum anderen. | |
| Der Gründer der interreligiösen Initiative Salaam-Shalom, Armin Langer, hat | |
| gesagt: „Muslime sind die neuen Juden Europas“. Stimmen Sie dem zu? | |
| Nein, ich stimme dem nicht zu. Ich finde es falsch, einen solchen | |
| Einheitsbrei zu machen und alles zu vermischen. Wenn er diese Aussage als | |
| provokantes Statement gemacht hat, um den Blick auf den zunehmenden | |
| antimuslimischen Rassismus in diesem Land zu lenken, kann ich es verstehen. | |
| Aber ich bin anderer Meinung. | |
| Und zwar? | |
| Die Muslime sind die Muslime von heute. Wir haben andere Herausforderungen | |
| und Schwierigkeiten, auch andere Chancen und Möglichkeiten. Ein solcher | |
| Vergleich erklärt nichts, man verärgert damit nur viele Leute oder | |
| irritiert sie. Schon deshalb ist der Satz problematisch. | |
| Sie haben in einem Kommentar zum Friedenauer Fall in der Jüdischen | |
| Allgemeinen [1][geschrieben]: „Ja, es gibt antisemitische Muslime, doch es | |
| gab zugleich noch nie mehr muslimisches Engagement gegen Antisemitismus.“ | |
| Davon hört und liest man tatsächlich selten. Was meinen Sie? | |
| Wir als „Kiga“ haben zum Beispiel einen Peer-to-Peer-Ansatz und ein | |
| Programm, das wir Akran nennen. Das kommt aus dem Arabischen und Türkischen | |
| und heißt Gleichaltriger oder Peer. Dort bilden wir muslimisch | |
| sozialisierte Jugendliche aus zu unterschiedlichen Themen wie Identität, | |
| Zugehörigkeit, religiöse Vielfalt, Judentum, Antisemitismus, Islam, | |
| antimuslimischer Rassismus, Demokratie. Die neuen Erkenntnisse und | |
| Erfahrungen machen sie dann als Peer Educators in ihren eigenen Communitys | |
| sichtbar. | |
| Wer meldet sich da so? Doch wohl eher Jugendliche, die keine Antisemiten | |
| sind? | |
| Die Kategorie Antisemit ist eher hinderlich. Hilfreich wäre, von | |
| antisemitischen Vorurteilen und Stereotypen zu sprechen, und die haben sehr | |
| viele Menschen. Auch unsere Peers. Sie bringen alle möglichen Einstellungen | |
| und Vorurteile mit, das sind ganz gewöhnliche BerlinerInnen, die hier | |
| geboren und aufgewachsen sind, aber zusätzlich eben auch Arabisch oder | |
| Türkisch können und einen Bezug zum Islam haben. | |
| Bekommen Sie mit, wie deren Arbeit wirkt, welchen Erfolg sie in ihrem | |
| Umfeld haben? | |
| Ja. Die meisten unserer Jugendlichen „teamen“ an Schulen, leiten Workshops | |
| oder initiieren eigene Projekte bei anderen Trägern. Viele haben ihre | |
| Präsentationsprüfung im Abitur zu dem Thema gehalten, einer hat seine | |
| MSA-Prüfung dazu gemacht, eine andere ist jetzt Guide am Jüdischen Museum. | |
| Als der Rabbiner Alter überfallen wurde, sind zwei der Jugendlichen nach | |
| Friedenau gefahren zu einer Kundgebung, haben dem Rabbi ihre Trauer, ihr | |
| Mitgefühl ausgedrückt. Auch wenn die Jugendlichen damit ein gewisses Risiko | |
| auf sich nehmen: Sie beziehen Position, privat wie öffentlich, auf der | |
| Straße wie online. Sie riskieren damit Konflikte in ihrem unmittelbaren | |
| sozialen Umfeld. Aber „unsere“ Jugendlichen sind selbstbewusst genug, um | |
| eine klare Haltung zu verteidigen. | |
| Kommt es vor, dass Schulen auf die Kiga zukommen und nach Hilfe fragen, | |
| weil sie ein Problem mit Antisemitismus bei SchülerInnen haben? | |
| Ja, das passiert. LehrerInnen sagen uns, dass sie das Thema Religion | |
| behandeln wollen, und beim Brainstormen, welche Religionen es gibt, hat ein | |
| Schüler bei der Nennung des Judentums „Iiihh“ gerufen. Oder „Jude“ ist… | |
| Schimpfwort gefallen, und der Lehrer sagt, er könne es nicht einordnen, | |
| wolle das aber auch nicht so stehen lassen. Solche Anfragen bekommen wir, | |
| nicht aber zu solchen Fällen wie in Friedenau mit krassem Mobbing. | |
| Welche Rolle spielen Lehrer bei dem Thema? Ist das ein Versagen der Schule | |
| als Institution, wenn solche Meinungen bei Schülern so grassieren? | |
| Ich kann mit solchen Verallgemeinerungen nichts anfangen. Es gibt natürlich | |
| auch bei LehrerInnen – wie überall – eine große Unsicherheit. Aber so eine | |
| pauschale Aussage zu einer Gruppe macht wenig Sinn, egal ob es eine | |
| Berufsgruppe ist oder eine Religionsgemeinschaft. Wenn ich Interesse an | |
| LehrerInnen oder MuslimInnen habe und etwas verbessern will, dann muss ich | |
| Wege der Kommunikation finden, um meine Kritik ordentlich an den Mann zu | |
| bringen, ohne diejenigen ausschließlich vor den Kopf zu stoßen. | |
| Sie sind ja auch Lehrer. Was macht man denn, wenn etwa bei einer Diskussion | |
| über den Nahostkonflikt ein Schüler sagt: „Alle Juden sind Mörder“? | |
| Wir bei Kiga halten zwei Dinge für wichtig. Erstens soll man solche | |
| Aussagen keineswegs ignorieren. Man sollte den Schüler gleich damit | |
| konfrontieren. Zweitens sind aber auch konzeptionelle Überlegungen wichtig | |
| für den nachhaltigen Umgang mit solchen Herausforderungen sowohl für | |
| Lehrende als auch für SchülerInnen. | |
| Wie geht das mit dem schnellen Konfrontieren? | |
| Ich würde sagen: „Wie kommst du darauf?“ – „Na ja, sie töten | |
| Palästinenser.“ – „Wer?“ – „Juden.“ – „Woher weißt du das?�… | |
| gesehen.“ – „Wo? Wer genau?“ Man versucht also, konfrontativ im schnell… | |
| Dialog zu reagieren. Schnell stellt die Klasse dann fest, aha, das sind | |
| nicht „die Juden“, sondern ein israelischer Soldat. Hier kann man auch | |
| sagen, es gibt Soldaten, die in besetzten Gebieten den Dienst verweigern, | |
| es gibt viele Koexistenzprojekte und Friedensinitiativen. Man kann die | |
| Vielfalt jüdischer Identitäten herausarbeiten. Genauso ergiebig ist es, | |
| wenn man die Folgen solcher Verallgemeinerungen umgekehrt vor Augen führt: | |
| „Guck mal, hier sagen viele, ‚Muslime sind alle Terroristen‘. Du bist doch | |
| Muslim. Bist du ein Mörder?“ Solche Ansätze irritieren und bringen zum | |
| Nachdenken. Letztlich geht es darum, zu zeigen, es gibt nicht „die Juden“ �… | |
| genauso wenig, wie es „die Muslime“ gibt. | |
| 13 Apr 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28253 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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