# taz.de -- Agrarminister über Vogelgrippe: „Die Freilandhalter sind Opfer“ | |
> Niedersachsens grüner Agrarminister Meyer fordert Entschädigungen für | |
> Höfe, die wegen der Vogelgrippe Legehennen nicht mehr nach draußen lassen | |
> dürfen. | |
Bild: Pelikane des Wildparks Lüneburger Heide | |
taz: Herr Meyer, viele Bauern dürfen ihre Legehennen derzeit nur im Stall | |
halten, damit sich die Tiere nicht bei Wildvögeln mit der Geflügelpest | |
anstecken. Sollten diese Landwirte entschädigt werden, weil sie ihre | |
„Freiland“-Ware nur noch als billigere Eier aus Bodenhaltung verkaufen | |
dürfen? | |
Christian Meyer: Die gesellschaftlich sehr gewünschte Freilandhaltung | |
erhält trotz wirtschaftlicher Verluste wegen einer Stallpflicht keine | |
Entschädigung – anders als zum Beispiel Putenmastbetriebe. Da gibt es | |
bundesweit Zahlungen aus der Tierseuchenkasse und staatlichen Mitteln. | |
Deshalb fordern die grünen Minister auf der Agrarministerkonferenz von der | |
EU und dem Bund Entschädigungen für betroffene Freilandhalter. | |
Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben das ja auch schon aus | |
Landesmitteln angekündigt. Die Halter würden dann etwa 3 Cent pro Ei | |
bekommen, wobei die Deckelung pro Betrieb bei 15.000 Euro liegt. | |
Wie viel verlieren die Freilandhalter wegen der Stallpflicht? | |
Bundesweit schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Euro. | |
Seuchen gehören genauso wie ungünstiges Wetter zum unternehmerischen Risiko | |
in der Landwirtschaft. Warum soll die Gesellschaft dafür aufkommen? | |
Weil die Freilandhalter Opfer der Vogelgrippe sind. Sie haben sie nicht | |
verursacht. Und sie leiden unter einer staatlich angeordneten Stallpflicht. | |
Ich habe Zweifel an der Behauptung, dass allein Wildvögel die Vogelgrippe | |
übertragen. Wir haben in Niedersachsen das Friedrich-Loeffler-Institut für | |
Tiergesundheit gefragt, warum wir in den großen Putenmastställen solche | |
Ausbrüche haben. Es ist zu dem Schluss gekommen, dass es nicht an | |
Wildvögeln oder der Luft in der Umgebung liegt, sondern an Mängeln in der | |
Biosicherheit zwischen den Betrieben. Einige große Mastbetriebe haben | |
geschlampt. Wir haben daher in großen Teilen des Landes die Stallpflicht | |
vor wenigen Wochen aufgehoben. Dennoch haben wir keine | |
Geflügelpestausbrüche bei Freilandhaltern, sondern die Vogelgrippe | |
konzentriert sich auf große Putenmastställe in der geflügeldichtesten | |
Region Niedersachsens. | |
Der Schaden ist auch deshalb so hoch, weil viele Bauern sich spezialisiert | |
haben und Zehntausende Legehennen pro Betrieb halten. Sind die Landwirte | |
selbst schuld? | |
Die durchschnittliche Zahl der Legehennen pro Betrieb ist in Niedersachsen | |
seit 2014 um rund 19 Prozent auf 9.293 zurückgegangen. Wir haben | |
Hühnermobile gefördert, also bewegliche Ställe für zum Beispiel 500 bis | |
1.000 Tiere. Wir wollen nicht, dass diese wachsende tierwohl- und | |
umweltorientierte Branche einbricht, sobald es eine Vogelgrippe gibt. Wir | |
sollten nicht Betriebe der industriellen Massentierhaltung vor der | |
Freilandhaltung schützen, sondern vor der Vogelgrippe. Mastbetriebe in | |
geschlossenen Systemen leiden nicht unter der Stallpflicht, weil die Tiere | |
ja schon vorher keinen Auslauf hatten. Wenn bei den Mästern etwas passiert, | |
werden sie entschädigt. In Niedersachsen sind bislang schon ungefähr 14 | |
Millionen Euro wegen der Vogelgrippe gezahlt worden. | |
Sind auch Bio-Legehennenhalter betroffen? | |
Wenn eine staatliche Anordnung zur Aufstallung besteht, dürfen die Eier | |
oder das Fleisch von Biotieren weiterhin als Bio verkauft werden. Denn bei | |
Bio wird deutlich mehr verlangt als nur Auslauf. Ökotiere müssen zum | |
Beispiel auch mehr Platz im Stall und Bio-Futter bekommen. Die Freiland- | |
unterscheidet sich dagegen von der Bodenhaltung nur im Auslauf. | |
Die Grünen fordern die Agrarwende hin zu einer ökologischeren | |
Landwirtschaft. Aber ausgerechnet Niedersachsen hat einen so geringen | |
Bio-Anteil wie kaum ein anderes Bundesland. Haben Sie versagt? | |
Niedersachsen zahlte unter der CDU-Landesregierung die geringsten | |
Öko-Prämien aller Bundesländer. Jetzt gehören wir zu den Spitzenreitern. | |
Und wir hatten 2016 rund 20 Prozent Wachstum bei der Fläche auf nun etwa | |
87.200 Hektar. Das sind 141 neue Betriebe. Damit ist der Bio-Landbau | |
nirgendwo in Deutschland so stark gewachsen wie bei uns. Es gibt einen | |
richtigen kleinen Bioboom in Niedersachsen vor allem bei Milch, Eiern und | |
Äpfeln. Jetzt sind weit mehr als 3 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche | |
öko. Ein Prozentpunkt mehr als 2015. | |
Das ist immer noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. Aber wie erklären Sie | |
sich das Wachstum? | |
Wir haben die Förderung und die Beratung für umstiegswilllige Landwirte | |
verbessert. Und wichtig ist auch, dass Unternehmen wie Molkereien | |
Bio-Rohware nachfragen. Bislang mussten unsere Öko-Milchvieh-Betriebe nach | |
Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen liefern, das ändert sich jetzt. 50 der | |
neuen Betriebe sind Milchviehbetriebe. | |
Die EU verhandelt auch nach Jahren erfolgloser Gespräche immer noch über | |
eine neue Öko-Verordnung. Sinnvoll? | |
Wir wollen auf der Agrarministerkonferenz Bundesminister Christian Schmidt | |
von der CSU rügen. Alle Bundesländer hatten ihn einstimmig aufgefordert, | |
die Totalrevision der EU-Öko-Verordnung zu stoppen. Gerade auch nach dem | |
Interview, das der EU-Agrarkommissar Phil Hogan der taz gegeben hat, wo er | |
die Biobranche für Tote wegen eines Seuchenausbruchs verantwortlich gemacht | |
und suggeriert hat, dass es mehr Rückstände als im konventionellen Bereich | |
gebe. Dabei zeigen Untersuchungen, dass Bio natürlich sauberer ist als | |
andere Produkte. Und aus Tierschutz- und Umweltsicht ist es auch besser. | |
Doch Schmidt hat sich sogar dafür ausgesprochen, weiter über die Revision | |
zu verhandeln. Das schürt Verunsicherung im Biobereich. Ohne sie könnten | |
noch viel mehr Betriebe umsteigen. | |
Was halten Sie von dem Kompromissvorschlag von Malta, das gerade die | |
EU-Ratspräsidentschaft hat? | |
Er enthält Rückschritte etwa im Tierschutz. Zum Beispiel soll das | |
Schnabelkürzen bei Biotieren wieder zugelassen werden, was Niedersachsen | |
auch bei konventionellen Tieren verboten hat. Von Obergrenzen für die | |
Tierzahlen pro Betrieb ist nicht die Rede. | |
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Niedersachsen sagt: | |
Weidehaltung geht nur ohne Wolf. Er könnte der letzte Tropfen sein, der das | |
Fass zum Überlaufen bringt und der Bauern davon abhält, auf Weidehaltung | |
umzustellen. Sollte sich der Wolf unbegrenzt ausbreiten dürfen? | |
Der Wolf ist nicht die grundlegende Gefahr für die Weidehaltung. Das sind | |
eher die agrarindustriellen Strukturen. Genauso könnte ich sagen, der | |
Habicht verhindert die Freilandhaltung von Legehennen, weil der sich auch | |
ab und zu Legehennen holt. | |
Aber der Habicht ist schon da, der Wolf kommt jetzt erst wieder. Da könnte | |
man noch eingreifen, oder? | |
Der Wolf wird sich weiter ausbreiten. Aber die Dichte wird nicht zunehmen. | |
Durch die Schutzmaßnahmen der Tierhalter stagniert die Zahl der Schafsrisse | |
in Niedersachsen, obwohl die Zahl der Wölfe ja etwas zugenommen hat. 99 | |
Prozent der Nahrung eines Wolfes sind nicht Nutztiere, sondern Wildtiere. | |
Diese Zahlen stammen aus Sachsen, wo es viel weniger Weidetiere gibt. | |
Das stimmt. Aber wir fördern sowohl Herdenschutzhunde als auch Zäune. Jeder | |
Wolfsriss ist ein Drama. Doch wir haben seit 2013 rund 20.000 Hektar | |
Schafsweiden in die Agrarförderung aufgenommen gegenüber der | |
Vorgängerregierung. Das sind jedes Jahr mehrere Millionen Euro, die an | |
Schafshalter gehen. Und das hat dazu geführt, dass die Zahl der Schafe in | |
Niedersachsen von 2013 bis 2016 gegen den Bundestrend von 154.00 auf | |
171.000 gestiegen ist. | |
29 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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