Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Geplante Bürgerbeteiligung in Berlin: Die neuen Brückenbauer
> Rot-Rot-Grün will die Bürgerbeteiligungstärken und
> Beteiligungsbeauftragte einführen. Zuständig sind die Bezirke. Dort gibt
> es bereits einiges Engagement.
Bild: Wenn viele Menschen sich beteiligen, macht das gleich was her!
Station 1. In den leicht muffigen Gängen des Schöneberger Rathauses sieht
es aus, als wäre die Uhr vor Jahrzehnten stehen geblieben. Doch hinter Jörn
Oltmanns Tür herrscht Aufbruchstimmung. Seit Ende 2016 ist der Grüne
stellvertretender Bezirksbürgermeister in Tempelhof-Schöneberg sowie
Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und damit zuständig für Partizipation.
In seinem Bezirk haben SPD und Grüne vereinbart, dass es am Ende der
Legislaturperiode sieben Stellen für BrückenbauerInnen zwischen Verwaltung
und Bürgern geben soll. Bisher ist dafür nur eine Frau zuständig. Geld vom
Senat für die Beteiligungsbeauftragten sei aber nicht zu erwarten, so
Oltmann.
„Klare Hinweise, wie sich die Landesregierung die Ausweitung der
Partizipation konkret vorstellt, haben wir auch noch nicht bekommen“,
ergänzt sein zuständiger Abteilungsleiter Jens-Peter Eismann. Er plant, ein
digitales Raumbuch anzulegen, eine Online-Plattform, auf der engagierte
Bürger Räume für ihre Aktivitäten finden können. Und bei der Neugestaltung
der Lichtenrader Bahnhofstraße für 20,5 Millionen Euro soll ein Gremium aus
gewählten BürgerInnen entscheidende Impulse geben.
Station 2. Im Germaniagarten südlich vom Tempelhofer Flughafen warten
Dutzende von Eltern im ehemaligen Seniorenheim, dass endlich die Tür zum
Saal aufgeht: Gleich werden ihre Kinder ein Schauspiel aufführen. Seit
einem Jahr gibt es hier einen Nachbarschaftstreff, wo neben Gymnastik und
Gedächtnistraining für Ältere vielfältige andere Aktivitäten stattfinden.
Dafür Räume zu finden sei „oft ein Hauptproblem“, sagt Claudia
Hillmann-Martin, seit 2013 bezirkliche Regionalkoordinatorin und nun die
erste der sieben avisierten Beteiligungsbeauftragten in
Tempelhof-Schöneberg.
## Veto des Grünflächenamts
Einmal die Woche ist die junge Frau im Kiez unterwegs und versucht,
BürgerInnen den Weg durch den Behördendschungel zu bahnen. Auch eine
regelmäßig tagende Netzwerkrunde hat sie initiiert. Einen Etat hat
Hillmann-Martin nicht, manches scheitert am Widerstand der Verwaltung. Als
Bürger den verwilderten Rosengarten pflegen wollten, legte das
Grünflächenamt ein Veto ein; so wuchert das Unkraut weiter.
„Ja“ bestätigt eine Frau auf der Straße, ein Newsletter über Aktivitäte…
Kiez liege jetzt regelmäßig in ihrem Briefkasten. Viele andere dagegen
haben noch nichts von Hillmann-Martins Engagement mitgekriegt. „Das
Einzige, was sich hier in den letzten Jahren geändert hat, sind die rasant
steigenden Mieten“, sagt die Kioskbesitzerin.
Station 3. Bürgerbeteiligung war schon immer das Anliegen der
Diplomverwaltungswirtin Petra Patz-Drüke, die im Rathaus des Bezirks Mitte
seit Jahrzehnten dafür zuständig ist. Draußen auf der Müllerstraße pockert
ein Presslufthammer, vorm Fenster steht ein verwaister Blumentopf, aber die
56-Jährige strahlt: „Ich bin glücklich, dass in Berlin jetzt Leitlinien zur
Bürgerbeteiligung entwickelt werden sollen.“
Die Frau mit den langen blonden Haaren und dem jugendlichen Auftreten gilt
in Berlin als Vorreiterin in Sachen Partizipation; sie ist bundesweit
vernetzt mit Gleichgesinnten und hat im vergangenen Jahr Geld für eine
Bürgerwerkstatt in Mitte „zusammengekratzt“. Die Teilnehmenden wurden
ausgelost – und gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Verwaltung
entstand ein Partizipationsplan für den Bezirk.
Für alle beteiligten Gruppen soll es künftig Qualifizierungsangebote für
eine demokratische Alltagspraxis geben: BürgerInnen, Verwaltungsbeamte und
PolitikerInnen sollen dabei lernen, was bei der Zusammenarbeit miteinander
zu bedenken ist. Darüber hinaus ist geplant, spezielle Beteiligungsformate
für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. „Bei Jugendlichen
und sogenannten Bildungsfernen wollen wir mit Festen und Spielen anfangen,“
so Patz-Drüke: Diese zu erreichen sei „das dickste Brett“. Wohlhabendere
dagegen seien in Freiwilligengremium stets überrepräsentiert.
300.000 Euro zahlt Mitte für die dezentrale Stadtteilkoordination an zehn
Stellen. Darüber hinaus gibt es seit Anfang des Jahres eine Kasse, bei der
Bürger Geld für Aktivitäten beantragen können; Jurys bestimmen über die
Verteilung der jeweils 5.000 Euro. „Desto vielfältiger die Gesellschaft
wird, desto wichtiger ist es, bei Entscheidungen unterschiedliche Leute zu
beteiligen“, ist Patz-Drüke überzeugt. Dass sie bei ihren
Verwaltungskollegen mit ihren Vorschlägen und Initiativen oft auf wenig
Begeisterung stößt, verschweigt sie nicht: „Tendenziell ist das natürlich
lästig.“
Station 4. In der Nachbarschaftsetage der Fabrik Osloer Straße befindet
sich eine der Stadtteilkoordinationen von Mitte. Hier hoffen sie auf mehr
Geld, seit der Senat das Wort Partizipation mehr als ein Dutzend Mal in den
Koalitionsvertrag geschrieben hat. „Konkret gehört haben wir noch nichts.
Aber wenn es da Veränderungen gibt, kriegen wir das schnell mit“, ist sich
Ruth Ditschkowski, die die Einrichtung leitet, sicher. Anna Asfandiar
organisiert hier seit Jahren eine Freiwilligenagentur. 7,5 Stunden pro
Woche wird sie dafür bezahlt. Als vor einer Weile ein Förderprogramm
auslief, führte sie die mühsam aufgebauten Strukturen ein Jahr lang
ehrenamtlich weiter; sie wollte einfach nicht riskieren, dass alles umsonst
gewesen sein sollte.
Station 5. „Ich bin die Dorftratsche“, stellt sich Thomas Kilian vor. Im
Soldiner Kiez ist der Mann mit dem grauen Bart bestens bekannt – und er
weiß Bescheid, welcher Rentner nicht mehr in den vierten Stock hochkommt
und deshalb bald seinen Heimatkiez verlassen muss, weil dort die Mieten
steigen und ein Umzug innerhalb des Stadtteils nahezu ausgeschlossen ist.
## Politik versus Verwaltung
Seit 14 Jahren engagiert sich Kilian im Kiezverein und musste sich schon
mehrfach als „Berufsbürger“ beschimpfen lassen. „Viele Leute aus Behörd…
sitzen in Mitbestimmungsgremien ihre Zeit ab“, fasst er seine Sicht
zusammen. Dass die neue Regierung mehr Partizipation angekündigt hat,
begrüßt der 50-Jährige zwar; grundsätzliche Änderungen erwartet er aber
nicht.
„Mit Politikern und solchen Menschen wie Frau Patz-Drüke kommen wir seit
jeher viel besser zurecht als mit der Verwaltung. In vielen Fällen haben
wir uns abgeschminkt, dass Politiker etwas gegen die Verwaltung erreichen
können“, so seine Erfahrung. Das Garten- und Straßenbauamt ersticke jede
Initiative mit dem Argument, total überlastet zu sein. Zugleich sei es in
seinem Kiez aber auch schwierig, Leute zu finden, die ohne materielles
Eigeninteresse in Mitbestimmungsgremien sitzen wollten.
Resigniert hat Kilian dennoch nicht. „Ich sehe nur die Mitmenschen und die
Strukturen“, konstatiert der Mann, der früher an der Humboldt-Uni
gearbeitet hat und nach einer schweren Krankheit frühpensioniert wurde.
Natürlich hat er sich Gedanken gemacht, wie es besser laufen könnte.
Gremien, bei denen BürgerInnen und Fachleute gemeinsam Lösungen erarbeiten,
erscheinen ihm in vielen Fällen zielführender als die Kooperation mit der
Verwaltung.
Darüber hinaus gibt es aber für ihn noch einen grundsätzlicheren Aspekt:
Vielleicht kranke Berlin noch stärker an Bildungsproblemen als an
mangelnden Partizipationsmöglichkeiten: Würden diese nicht angegangen, sei
auch das weit verbreitete Desinteresse an gesellschaftlicher Mitgestaltung
kaum zu beheben, glaubt Kilian.
10 Apr 2017
## AUTOREN
Annette Jensen
## TAGS
Berliner Senat
Bürgerbeteiligung
R2G Berlin
Bürgerbeteiligung
Berlin-Wedding
Die Linke Berlin
R2G Berlin
Cuvrybrache
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bürgerbeteiligung an Stadtentwicklung: Bürger sollen mitentscheiden
Mit konkreten Maßnahmen soll die Beteiligung der Bürger bei Baumaßnahmen
geregelt werden. Senatorin Lompscher spricht von einem „Klimawandel“.
taz-Serie Lieblingskiez: Soldiner Straße: Eine Straße im Schwebezustand
Die Soldiner galt mal als die härteste Straße in Gesundbrunnen. Längst
traut sich auch der Prenzlauer Berg rüber. Das bringt neue Probleme mit
sich.
Berlins Staatssekretär für Wohnen: „Im Herzen bin ich Punk geblieben“
Sebastian Scheel ist Staatssekretär für Wohnen. Die Erwartungen an den
Nachfolger von Andrej Holm sind vor allem in der MieterInnenbewegung hoch.
Linken-Klausur in Leipzig: Rot und Rot wollen sich grün sein
Die Linksfraktion zeigt sich bei der Klausurtagung in Leipzig zufrieden,
setzt auf Bürgerbeteiligung – und freut sich über die allgemeine
Wechselstimmung.
Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Mehr Bürgerbeteiligung!
Nachhaltige Stadtentwicklung: Was wird aus der Cuvry-Brache in Kreuzberg?
Und was hat der Staatssekretär für Wohnen, Andrej Holm, damit zu tun?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.