# taz.de -- Enkel arbeitet NS-Vergangenheit auf: Opa war ein Schreibtischmörder | |
> Bruno Nette war während der NS-Zeit an der Verfolgung und Ermordung von | |
> über 800 Menschen beteiligt. In einem Buch arbeitet sein Enkel nun das | |
> gründlich auf | |
Bild: Nach der Verhaftung durch britische Einheiten im April 1945 | |
Lange Zeit galt er als Freund der Juden, der Bremer Gestapo-Beamte und | |
Judenreferent Bruno Nette (1887-1960). Er war einer, der „human dachte und | |
für viele Juden sein Möglichstes tat“, heißt es über ihn in dem 1986 | |
veröffentlichten Grundlagenwerk „Bremen im 3. Reich“ von Inge Marßolek und | |
René Ott. Doch das stimmt gar nicht. Davon erzählt das jetzt erschienene | |
Buch „Vergesst ja Nette nicht!“ Verfasst hat es sein Enkel Bernhard Nette, | |
ein pensionierter Lehrer, der als Historiker schon öfter über die Zeit des | |
Nationalsozialismus geschrieben hat. | |
Bruno Nette war zwischen 1941 und 1945 an der Verfolgung und Ermordung von | |
über 800 als jüdisch klassifizierten Menschen beteiligt – genaue Zahlen | |
lassen sich nicht mehr ermitteln. Die meisten Opfer wurden nach Minsk oder | |
ins KZ Theresienstadt verschleppt, nur ganz wenige unter ihnen kehrten | |
zurück. Und Nette war einer derer, die diese Deportationen aus Bremen und | |
dem Regierungsbezirk Stade organisiert haben, nach rassistischen Kriterien. | |
Viele Dokumente über Nettes Rolle im NS-Staat hat die Gestapo kurz vor | |
Kriegsende hektisch verbrannt. Geblieben sind die Akten der Spruchkammer, | |
die ihn zunächst als „belastet“ einstufte, sowie der Berufungskammer, die | |
Nette 1950 zum „Mitläufer“ erklärte. Das war „ein Unding“, sagt der | |
Rechtshistoriker Christoph Schminck-Gustavus von der Uni Bremen. | |
Knapp 85 Prozent der überlebenden ZeugInnen belasteten Bruno Nette | |
seinerzeit „teilweise erheblich“, schreibt Nette in seinem Buch. Und die | |
anderen 15 Prozent hätte er wegen der herannahenden Allierten „aus | |
Eigennutz“ vorsichtiger behandelt. Die Opfer erinnerten sich an | |
Beleidigungen, Drohungen und Schikanen bei den Verhören. Und daran, wie er | |
gegen Menschen, die in „privilegierter Mischehe“ lebten, vorging und | |
„Arier“ zur Scheidung von jüdischen Ehepartnern zwingen wollte. „Dazu kam | |
seine fast pornografisch zu nennende Lust an der Verfolgung von | |
„Rassenschande“, schreibt Bernhard Nette. Er selbst sah sich indes eher als | |
einen korrekten Beamten. | |
Nette erfuhr erst 1987, dass sein Großvater der Bremer Judenreferent war. | |
„In der Familie hat davon niemand erzählt“, sagt der Autor – sie habe ihn | |
eher „missachtet“, schon weil er der einzige Nazi in der Familie war. Aber | |
auch, weil er Frau und Kinder prügelte und ein „arger Wüterich“ war, wie | |
der Enkel sagt. Er selbst hat übrigens nur wenig Erinnerungen an seinen | |
Großvater. 1952 wurde er als Sechsjähriger von einer Bremer Milchfrau | |
abgewiesen:„Nettes werden hier nicht bedient“. | |
Als er 2002 mit seinem eher sozialdemokratisch gesinnten Vater über dessen | |
Vater sprach, verteidigte der ihn gleichwohl: „Mein Vater ein Nazi? Nein, | |
das war er nicht. Was er tat, musste er tun“, sagte er, und dass Bruno | |
Nette auch Skat mit den Juden gespielt habe. | |
Nach dem Krieg seien dann viele Juden „plötzlich aufgestanden“ und hätten | |
seinen Vater bezichtigt, „ein großes Schwein“ gewesen zu sein. „Er musste | |
das tun“, weil er sonst selbst ins KZ gebracht worden wäre, sagte der Vater | |
kurz vor seinem Tod verteidigend. Für Bernhard Nette war sein | |
„schreibtischmördernder Großvater“ jedoch einer der „NS-Gewaltigen | |
Bremens“. Als 1941 die Juden vor der Deportation noch ihre Wertgenstände | |
abgeben mussten, war der neue Judenreferent Bruno Nette einer, der damals | |
die Aufsicht hatte. | |
Nach seinen dreijährigen Recherchen steht für den Historiker fest, dass | |
Inge Marßolek und René Ott einst irrten: „Bruno Nette war kein humaner | |
Mensch“. Vorwerfen will er den beiden HistorikerInnen ihr Fehlurteil aber | |
nicht. Und auch Schminck-Gustavus sagt: Mit den Möglichkeiten und Akten, | |
über die Bernhard Nette verfügte, „wären sie sicher auch zu einem anderen | |
Ergebnis gekommen“. Nettes Buch sei „die Frucht einer neuen Zeit“, sagt | |
Schminck-Gustavus – und ein „eindrucksvolles“ Werk. | |
Der Historiker Karl Heinz Roth nennt es eine „kompromisslos offene Suche | |
nach der historischen Evidenz“, in welcher der Enkel nicht nur alle | |
Abgründe auslote, sondern auch seine eigene Berechtigung zum Urteil immer | |
wieder abwäge. Bernhard Nette will nicht mit seinem Großvater abrechnen, | |
sondern den Opfern „eine Stimme zurückgeben“, wie er sagt. | |
5 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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