# taz.de -- Whitney Biennale in New York: Schwarzes Leid als Material | |
> Die weiße Künstlerin Dana Schutz malte den von Rassisten ermordeten | |
> Emmett Till und wird kritisiert. Aktivisten fordern die Zerstörung des | |
> Werks. | |
Bild: Dana Schutz' „Open Casket“ (2016) in der Whitney Biennale | |
Verbrennen, [1][wie es die afroamerikanische Künstlerin Rafia Santana | |
fordert], geht gar nicht. Wir wissen, wie bösartig, dumm und rassistisch | |
die Beweggründe waren, die zum Verbrennen von Gemälden und Büchern in | |
Deutschland führten. Es gibt keine moralisch gerechtfertigten Gründe für so | |
ein barbarisches Tun. | |
Um eine barbarische Tat, ein bösartiges, rassistisches Verbrechen, und um | |
Geschichtsbewusstsein geht es auch in dem Streit, in dem Rafia Santana | |
glaubt, die richtige Lösung zu haben. In der Mitte März eröffneten und von | |
der Kritik viel gelobten [2][Whitney Biennale in New York] zeigten die | |
Kuratoren Christopher Y. Lew und Mia Locks ein Gemälde von Dana Schutz mit | |
dem Titel „Open Casket“ (2016). Wie der Titel anzeigt, bezieht sich Schutz�… | |
Gemälde auf die berühmte Fotografie des zu Tode geprügelten Emmett Till, | |
wie er in seinem Sarg zu Grabe getragen wird. | |
Der afroamerikanische Junge war 1955, im Alter von 14 Jahren in Mississippi | |
brutal ermordet worden, weil er es angeblich gewagt hatte, mit einer weißen | |
Südstaatlerin zu flirten. Emmett Tills Mutter bestand darauf, dass der Sarg | |
offen blieb, so dass die Menschen die Brutalität, mit der er gelyncht | |
worden war, mit eigenen Augen sehen konnten und sie eben nicht mehr vor dem | |
in den USA herrschenden Rassismus verschließen konnten. Das war eine sehr | |
mutige Tat, der eigentlich nichts hinzuzufügen ist. | |
Dana Schutz aber glaubte, das sei nötig: Nach der [3][Häufung der | |
Vorfälle], in denen Polizisten unbewaffnete Schwarze erschießen – fast | |
möchte man meinen, vor der Bürgerrechtsbewegung mussten weiße Rassisten die | |
ihnen verhassten Schwarzen noch selbst umbringen, heute erledigt es die | |
Polizei für sie –, sah sie in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem | |
Fotomotiv eine Möglichkeit, ihr Entsetzen über das Fortdauern des Rassismus | |
in den USA zu bekunden und auch, wie sie selbst sagt, ihre Hochachtung für | |
Tills Mutter, der ihr Mitgefühl gilt. | |
## Weiße Privilegien, schwarzes Leid | |
Dana Schutz ist eine herausragende Malerin, und ihr nur mittelgroßes | |
Gemälde, das Tills Gesicht und seinen Oberkörper zeigt, wie er im Sarg | |
liegt, ist bestimmt eine gelungene malerische Übersetzung der Fotografie. | |
Schutz abstrahiert das Foto in Farbflächen, über deren reliefartigen | |
Erhöhungen sie gleichzeitig die tiefen Schnitt- und Fleischwunden des | |
Kindes ganz deutlicher herausarbeitet. In dieser Hinsicht ist ihr wenig | |
vorzuwerfen. | |
Anlass für den Wunsch, das Gemälde zu verbrennen, ist allein das Bildmotiv. | |
Am Tag der Eröffnung der Whitney Biennale rief der Künstler Parker Bright | |
über Facebook zum Protest gegen das Bild auf und organisierte eine kleine | |
Gruppe von fünf bis sechs Leuten, die während der Öffnungszeiten so vor dem | |
Bild stand, dass es für andere nicht sichtbar war. Die britische, in Berlin | |
lebende Künstlerin Hannah Black befeuerte den Protest mit einem offenen | |
Brief auf Facebook, in dem sie die Entfernung und Zerstörung des Gemäldes | |
forderte. Es gehe nicht an, so schrieb sie, dass eine weiße Person | |
Schwarzes Leid in Profit und Unterhaltung ummünze, auch wenn das eine lange | |
Tradition habe. | |
Danach kam es in den Social Media zu einer erbitterten Debatte über weiße | |
Gewalt, weiße Privilegien, schwarzes Leid, die Möglichkeiten der Kunst und | |
zu teils fragwürdigen Anmerkungen zur Frage, wer für wen sprechen und wer | |
wessen Erfahrungen kommentieren kann. Dreißig Künstler unterzeichneten | |
Blacks Brief, die aber nur die Unterschriften schwarzer Künstler und | |
Künstlerinnen gelten lassen wollte. Inzwischen ist ihr Brief auf Facebook | |
entfernt. | |
## Perspektive der Mutter als Ausgangspunkt | |
Dennoch haben ihre Argumente Gewicht. Wenn sie schreibt, dass | |
nicht-schwarze Künstler, die ernsthaft wünschen, die beschämende Natur | |
weißer Gewalt ins Licht der Aufmerksamkeit zu bringen, zuerst aufhören | |
müssen, schwarzes Leid als Material zu nutzen, knüpft sie wissentlich oder | |
nicht an eine alte Debatte der 1970er Jahre an. In ihr artikulierte sich | |
der Verdruss, dass immer nur die Opfer, nicht aber die Strukturen, gar die | |
Täter ins Bild gerückt wurden und damit immer nur Mitleid evoziert wurde, | |
statt radikalen politischen Forderungen Raum zu geben. | |
Gerade weil sie die Perspektive der Mutter als Ausgangspunkt ihre Gemäldes | |
benennt, hätte es für Dana Schutz naheliegen können, sich die weiße Frau | |
genauer anzuschauen, die Emmett Till beschuldigte, sie angemacht zu haben, | |
wohl wissend, dass diese Anschuldigung seinen Tod bedeuten würde. Auch | |
diese infame Rassistin war zweifache Mutter. Sie kam erst gar nicht vor | |
Gericht, wo Tills Mörder freigesprochen wurden. Die Proteste gegen diesen | |
Freispruch leiteten den Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein. | |
30 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/RAF_i_A/status/842364436346204160/photo/1?ref_src=twsrc… | |
[2] http://whitney.org/Exhibitions/2017Biennial | |
[3] /Uebergriffe-durch-Polizisten-in-den-USA/!5348651 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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