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# taz.de -- Extremsportler über Ultra-Marathon: Griff ins Klapperschlangennest
> Ultraschwer, ultralang und ultraverrückt: Distanzläufer Georg Kunzfeld
> erzählt von seinem Start beim berüchtigten Barkley-Marathon. Ein
> Protokoll.
Bild: Beim Rennchef: Laz Cantrell, Erfinder des Barkley-Marathons (l.) und Läu…
An diesem Wochenende steigt der berüchtigte Barkley-Marathon, vielleicht
das schwerste Ausdauerrennen überhaupt. Im Frozen-Head-Naturschutzpark in
der Nähe von Wartburg, Tennessee, starten 40 Athleten zu einem
Orientierungslauf im Wald über Stock und Stein. Sie müssen in verschiedenen
Schleifen bestimmte Punkte anlaufen, dort Bücher finden und zum Nachweis
Seiten herausreißen. Es geht darum, in 60 Stunden etwa 160 Kilometer zu
schaffen. Das schaffen nur sehr, sehr wenige, manchmal schafft es gar
keiner.
Das Rennen wurde vom ehemaligen Läufer Gary „Lazarus Lake“ Cantrell 1986
aus der Taufe gehoben. Laz, wie der kauzige Typ von den Läufern genannt
wird, wunderte sich darüber, dass der 1977 aus dem im Park befindlichen
Brushy-Mountain-State-Gefängnis entflohene James Earl Ray, Mörder von
Martin Luther King, in den 55 Stunden seiner Flucht nur 13 Kilometer weit
gekommen war. Zwei Deutsche sind bislang an den Start gegangen, einer war
der Frankfurter Georg Kunzfeld. In der taz spricht er über seine
wahnwitzigen Erfahrungen beim Barkley:
Ich bin jetzt 43 und mache seit 15 Jahren Ausdauersport. Den
Barkley-Marathon kennt man als Ultraläufer natürlich. Wobei: Durch das
geheime Anmeldeverfahren und die wenigen Infos, die man bekommt, es gibt ja
auch keine offizielle Website, hatte ich mich relativ oberflächlich damit
beschäftigt. Ich habe in den letzten Jahren viele lange Läufe gemacht über
200 Kilometer, irgendwann überlegt man doch, ob man nicht in Tennessee an
den Start geht. Ein Freund von mir war 2014 am Start (Thomas Ehmke; d.
Red.) und ist grandios in der ersten Runde gescheitert. Ich hatte im
November 2014 einen Wettkampf gewonnen und zur Belohnung wollte ich den
Barkley wagen und zeigen, dass es die Deutschen doch können.
Man muss jemanden kennen, der schon am Start war, und nachdem ich die
E-Mail-Adresse bekommen hatte, habe ich mich mit dem Veranstalter, mit Laz
in Verbindung gesetzt. So habe ich erfahren, dass es eine Yahoo-Gruppe
gibt, die relativ geheim ist. Ich musste die Veteranen überzeugen, dass ich
würdig bin.
Man muss dann ein japanisches Haiku schreiben, um in die Gruppe aufgenommen
zu werden. Ich habe mich an die großen Meister gehalten und ein eigenes
Haiku kreiert. Weil ich auch an der Doshisha-Universität in Kioto studiert
habe, habe ich wohl das einzig richtige Haiku geschrieben. Und drin war
ich. Dann muss man einen Essay an Laz schreiben, begründen, warum man
genommen werden soll.
## Brutale Vorbereitung
Der Laz sagt ja selbst, der Barkley ist eine Parodie auf einen Ultralauf.
Das sehe ich auch so. Man kann das Ganze nicht richtig ernst nehmen. Laz
verlangt als Startgebühr nur einen Cent pro Kilometer. Kostet dann 1,60
Dollar. Ich hab mir relativ schnell gedacht, dass es wenig bringt,
seitenlang meine Beweggründe darzulegen. Also habe ich nur zwei Sätze
geschrieben: Ich bin gespannt auf die Tränen, die fließen, wenn der erste
Deutsche finished. Das hat ihm gereicht.
Ich habe nach zwei Tagen erfahren, dass ich auf die Warteliste gekommen
bin, Platz 14. Mir wurde von Freunden gesagt: Du bist so gut wie drin, denn
das Training ist so immens brutal, dass sich viele auf dem Weg dorthin
verletzen oder krank werden. Oder Angst kriegen. Ende Februar 2015 habe ich
das Kondolenzschreiben vom Laz bekommen, in dem er sich entschuldigt, es
tue ihm leid, aber man sei angenommen.
Ich habe dem Laz zuerst ein Autokennzeichen mitgebracht, das ist für die
Virgins, die Neulinge, so vorgegeben. Als Veteran im zweiten Jahr war es
ein T-Shirt. Das ist alles Teil seines Ruhestandsplans. Er hat gesagt, er
braucht ausländische T-Shirts. Oder Socken oder Hemden. Ich habe ihm auch
eine Kiste mit deutschen Büchern mitgebracht. Für den Barkley musste ich
viele Bergläufe trainieren. In der Gegend von Frankfurt habe ich mir eine
Rampe von 50 Prozent ausgesucht, und die bin ich zum Beispiel zehn Stunden
nachts hoch- und runtergerannt.
## Saufen und laufen
Es geht darum, möglichst viel Höhenmeter zu sammeln. Ein Veteran hat mir
mal gesagt, wie man sich am besten auf den Barkley vorbereitet: Die Nacht
vorher feiern und saufen gehen. Am nächsten Tag, wenn du einen Kater hast,
nimm dir ein bisschen Wasser mit, kein Essen, und geh den ganzen Tag
laufen, nachts nimm ’ne kaputte Stirnlampe mit, lauf die halbe Nacht, gehe
wieder tanzen und saufen und mach das Gleiche noch mal.
Im Training geht es vor allem darum, das Mentale zu trainieren.
Mittlerweile bin ich der Meinung, der Barkley ist machbar, auch für mich.
Aber vor Ort, tja. Es ist unvorstellbar, was da verlangt wird. Dass ich
2015 in der dritten Runde ausgestiegen bin, lag daran, dass ich mental
nicht hungrig genug war. Ich bin in der ersten Runde stark aufs Handgelenk
gestürzt und dann war der Verdacht auf Bruch. Sie haben mir mit
Panzerklebeband den Arm versteift. In der dritten Runde, als ich allein
war, habe ich Angst bekommen.
Da gibt es eine sechs Meter hohe Felswand. Die ist relativ senkrecht. Und
die muss man hoch- und runterklettern. Es hatte geregnet. Die Aussicht, die
Wand nachts im Regen und mit nur einer Hand runter zu müssen, hat mich zum
Aufgeben gezwungen. Heute sage ich aber: Wenn ich mir die Sieger anschaue,
zwei Finisher sind mit ausgekugelter Schulter angekommen, dann ist ein
verstauchtes oder angebrochenes Handgelenk wirklich kein Grund aufzuhören.
Die erste Runde lief gut. Wir waren zu sechst. Die Runde konnten wir zügig
machen. In der zweiten Runde gab es eine typische Barkley-Story. Ein Buch
war auf einem Baum versteckt, und wir hatten es beim ersten Mal innerhalb
von Sekunden gefunden. Zwölf Stunden später haben wir das Buch mit
denselben sechs Leuten 90 Minuten lang gesucht. Daraufhin sind drei
Veteranen völlig entnervt ins Lager zurückgekehrt.
## 330 km durch Kalifornien
Wir drei Neulinge sind nochmal zu dem Berg hin und haben das Buch innerhalb
von einer Minute gehabt. Das sind diese mentalen Sachen. Der Barkley ist
extrem, wenn man die Finisher-Quote von 1,5 Prozent nimmt, aber es gibt
auch andere extreme Läufe. In diesem Jahr mache ich einen 200-Meilen-Lauf
in Kalifornien, 330 Kilometer. Der Barkley ist noch nicht einmal körperlich
der schwerste, sondern vielleicht mental der anstrengendste.
Der Marathon des Sables in Marokko, ein 250-Kilometer-Wüstenlauf, ist immer
unter den Top Ten der schwersten Läufe. Da war ich mehrfach am Start, aber
das ist von jedem normalen Wanderer zu finishen. Beim Barkley ist die
Frage, schafft es überhaupt jemand ans Ziel. Und der Jared (Jared Campbell,
Finisher und damit Sieger 2012, 2014 und 2016; d. Red.), der eine absolute
Maschine ist, schafft es gerade mal, 28 Minuten vorm Zeitlimit ins Ziel zu
kommen.
Der Reiz ist, mal dort gewesen zu sein. Allein die Orientierung ist eine
Wissenschaft. Ich habe mir die Kompasszahlen akribisch ausgerechnet. Beim
Barkley kann man ja den berühmten Barkley-Nebel haben, und da sieht man die
Hände zehn Zentimeter vorm Gesicht nicht mehr. Die Kompasszahlen helfen
einem zu 30 Prozent. Man muss sich aber am besten an Veteranen dranhängen,
um die Bücher zu finden. Ein Buch war in einem Klapperschlangennest
versteckt. Wenn man nicht weiß, wie die Location aussieht, dann findet man
die nicht.
Der Barkley hat sich leider verändert. Vor zehn Jahren gab es nur diese
Typen, die sich in Cargo-Pants und mit einem Flaschengürtel aufgemacht
haben. Heute ist auch der ganze Kommerzzirkus dort angekommen. Das ist der
Hauptgrund für mich, nicht mehr zu starten. Die Leute kommen in
Kompressionsklamotten, Drohnen fliegen, es gibt Kamerateams, die trotz
Verbots in den Kurs reingehen, was ein absolutes No-Go ist.
## Der Spirit ist weg
Der Spirit ist stark verwässert worden durch die Präsenz von Medien. Man
hat viele Läufer, die Druck aufbauen, die ihren Blog haben, Podcasts. Es
gab auch Leute, die heimlich auf dem Kurs trainiert haben und im Vorfeld
die Bücher suchen. Das ist in einem Naturschutzgebiet auch ein rechtliches
Problem. Die Gefahr, dass der Barkley in ein paar Jahren nicht mehr
stattfinden darf, ist durchaus da.
Der Netflix-Film über den Barkley hat dazu geführt, dass es mehr Leute
gibt, die denken, sie könnten das schaffen. Der Film zeigt in keiner
einzigen Einstellung, was es bedeutet, dort zu laufen und zu leiden. Der
Laz müsste auch mal sagen: Ich erlaube keine Kamerateams mehr. Es ist schon
sehr nervig, wenn man vorm Start noch von Journalisten interviewt wird.
Plötzlich stehen auch mitten auf dem Kurs Kameras. Das entzaubert dieses
Rennen. Für mich war es aber trotzdem toll, vor Ort diese Helden, diese
legendären Gestalten zu sehen, die ich nur von Bildern kannte.
Ich war auch am berühmten Son-of-a-Bitch-Ditch, einer Kuhle, wo man auf der
anderen Seite wieder hochspringen muss. So etwas zu sehen, war schon cool.
Ich hätte allerdings nie geglaubt, in was Laz uns da hineinschickt, in
Bergabpassagen, wo man permanent mit dem Knöchel gegen Felsen schrammt und
hinkracht. Wovor immer alle Respekt haben, sind die Sägedornen, die einen
zerkratzen – und die aufgeweichten Füße wegen der Nässe. Aber wenn man im
Barkley ist, dann weiß man, dass es wehtun wird.
Man hat Dornen in den Ohren. Einmal hing ich mit dem Augenlid in einer
Dorne fest. Meine Mitläufer haben mich befreit. Es käme niemandem in den
Sinn, darüber zu jammern oder sich darüber zu beschweren. Das gehört dazu.
Es ist sinnlos zu erklären, warum man so etwas macht. Es gibt einen Spruch
in der Ultraszene: Schmerzen sind unabdingbar, Leiden ist optional.
Es ist nicht so, dass ich Schmerzen negativ empfinde. Wenn es mir
schlechtgeht, ist entscheidend: Welche Wertung gebe ich dem? Wenn ich nach
200 Kilometern kaputte Beine habe, dann jammere ich nicht. Ich wollte das
ja machen. Wir Ultraläufer machen trotz der Schmerzen weiter, weil wir
wissen, was danach kommt. Zum Beispiel Lauffreundschaften, die im normalen
Leben nach zwanzig Jahren nicht so stark sind.
(Protokoll: Markus Völker)
2 Apr 2017
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