# taz.de -- Die Wahrheit: Mein erster Marathon | |
> Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die | |
> Leserschaft an einem athletischen Poem über die ganz große Rennerei | |
> erfreuen. | |
Ich denk bei Kilometer eins: | |
dies Schuhpaar, viel zu eng! Nicht meins. | |
Ich denk bei Kilometer zwei: | |
die Schuhe – super, einwandfrei! | |
Ich denk bei Kilometer drei: | |
Jetzt denk ich nichts mehr, ich bin high. | |
Ich denk bei Kilometer vier: | |
Was? Nicht mal ’n Zehntel war’s bis hier?! | |
Ich denk bei Kilometer fünf: | |
Jetzt aufzuhörn, das wär vernünf- | |
tig. Denk bei Kilometer sechs: | |
Im Ziel trink ich zehn Bier auf Ex. | |
Bei Kilometer sechseinhalb: | |
Dazu Geschnetzteltes vom Kalb. | |
Ich denk bei Kilometer sieben: | |
Mensch, wär ich bloß zuhaus geblieben. | |
Ich denk bei Kilometer acht: | |
Jetzt krampft die Wade, na gut Nacht. | |
Ich denk bei Kilometer neun: | |
Jetzt geb ich auf. Und werd’s bereu’n. | |
Ich denk bei Kilometer zehn: | |
Gleich wechsl’ ich zum normalen Gehn. | |
Ich denk bei Kilometer elf: | |
Yes, You need help, so help Yourself. | |
Ich denk beim zwölften Kilomet: | |
Auf zwölf, was reimt da? Äh – zu spät. | |
Ich denk bei Kilometer dreizehn: | |
So quält das, Bauchfett abzubeizen. | |
Ich denk bei Kilometer vierzehn: | |
Schön schlank werd ich Nicole bezirzen. | |
Ich denk bei Kilometer fünfzehn: | |
Sind das die Sammelunterkünft'? Sehn | |
voll oll aus. Kilometer sechzehn: | |
Sind’s Knochen oder Schuh, die ächzen? | |
Ich denk bei Kilometer siebzehn: | |
Wenn Ruth den Hans so anguckt, liebt sen. | |
Ich denk bei Kilometer achtzehn: | |
Die beiden möcht ich nicht heut Nacht sehn. | |
Ich denk bei Kilometer neunzehn: | |
Lauf barfuß! Das spart Schuh und bräunt Zeh’n. | |
Ich denk bei Kilometer zwanzig: | |
vier Tage brauch ich so bis Danzig. | |
Bei Kilometer einundzwanzig: | |
Wie viele Fraun hat Don Juan? Zich! | |
Bei Kilometer zweiundzwanzig: | |
Mein Mund schmeckt schal, mein Gaumen ranzig. | |
Bei Kilometer dreiundzwanzig: | |
Der Weg hat gar nichts Hübsches an sich. | |
Bei Kilometer vierundzwanzig | |
Ka-em war’n das bis hier rund zwanzig. | |
Bei Kilometer fünfundzwanzig: | |
Ich geb gleich auf. Das weiß ich ganz sich- | |
er, Kilometer sechsundzwanzig: | |
Schluss, Ende, unser Held verrannt sich. | |
Bei siemundzwanzig und ein Drittel: | |
Wo gibt’s hier Antidurchfallmittel? | |
Bei Kilometer achtundzwanzig: | |
Und wer ist schwächster Mann des Lands? Ich. | |
Bei Kilometer achtundvierzig: | |
Ich glaub, mein Laufcomputer irrt sich. | |
Bei Kilometer neunundsechzig: | |
Die Batterie war alt, das rächt sich. | |
Bei Kilometer dreiundsiebzig: | |
jetzt spinnt er, nein, schau her, das gibt sich. | |
Bei Kilometer zweiunddreißig: | |
mein Fleisch wird Dörrfleisch, gleich vereis ich. | |
Bei Kilometer dreiunddreißig: | |
Was? Quer läuft der mir rein? Den beiß ich! | |
Bei Kilometer vierunddreißig: | |
Nie wieder Marathon, das weiß ich. | |
Bei Kilometer fünfunddreißig: | |
nie wieder Marathon, das weiß ich. | |
Bei Kilometer sechsunddreißig: | |
nie wieder Marathon, das weiß ich. | |
Bei Kilometer siemunddreißig: | |
nie wieder Marathon, das weiß ich. | |
Bei Kilometer achtunddreißig: | |
Da rechts hat’s gutes Anheiz-Reisig. | |
Bei Kilometer neununddreißig: | |
Da horch, da drüben singt ein Zeisig. | |
Ich denk bei Kilometer vierzig: | |
Das Glück heißt Laufen. Wer kapiert’s? Ich. | |
Bei Kilometer einundvierzig: | |
Wer Marathon nicht schafft, blamiert sich. | |
Ich denk bei zweiundvierzig: Ziel! | |
Im Grunde war’s ja nicht so viel! | |
Bei zweiundvierzig Komma zwei: | |
Wie bitte? Alles schon vorbei? | |
Ich denk im Bett nachts: Desolater | |
Konflikt – hier Durst, da Muskelkater! | |
Ich denke nachts um drei: Respekt! | |
Der kalte Toast mit Ketchup schmeckt! | |
Ich denk um fünf: Nur Schmerz! Ich hass | |
mich selbst, wieso nur tat ich das? | |
Ich denk am Nachmittag tagsdrauf: | |
So, Zeit wird’s, dass ich wieder lauf! | |
22 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Betz | |
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