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# taz.de -- Trickreiche Freizeitsportler: Klassischer Betrug
> Beim 42-Kilometer-Lauf von Marathon nach Athen wird reichlich
> geschummelt: Übergewichtige Hobbyathleten überraschen mit Weltrekordnähe.
Bild: Läufer des Marathons passieren das griechische Parlament
Athen taz | Eingefleischte Marathonläufer wissen: Die klassische Strecke,
die vom Badeort Marathon auf historischen Spuren zum Einlauf in das weiß
leuchtende Marmorstadion von Athen führt, gilt als genüsslicher Höhepunkt
eines herbstlichen Griechenland-Urlaubs.
Aber auch als Herausforderung. Denn der Anstieg nimmt in Richtung Athen
nach und nach zu, bis bei Kilometer 30 der vorläufige Gipfel mit 245
Höhenmetern erreicht wird. Und das bei spätsommerlichen Temperaturen von
bis zu 20 Grad.
Daher können die besten griechischen Marathonläufer ihre Bestleistung
meistens nicht in vertrauten Gefilden abrufen, sondern eher in Berlin oder
Amsterdam, wo es eben flach und gemütlich zugeht.
Auf geniale Weise hat der japanische Schriftsteller und Marathonliebhaber
Haruki Murakami das Problem elegant umlaufen: Im Sommer 2005 fuhr er nach
Athen und lief die klassische Strecke in umgekehrter Richtung, nämlich von
der Athener Innenstadt bis Marathon. Der Sportler Murakami rannte nicht
stramm bergauf, sondern locker bergab, schaffte eine beachtliche Zeit von 3
Stunden und 51 Minuten und belohnte sich mit einem kühlen Bier am Strand
von Marathon.
Der Schriftsteller Murakami wiederum hat freien Blick für Details, die er
beim offiziellen Marathonlauf garantiert nicht zu Gesicht bekäme. Etwa für
eine brutal überfahrene Katze am Straßenrand, die „wie eine misslungene
Pizza“ aussieht – so der Autor in seinem Büchlein „What I talk about whe…
talk about running“. Gut, bei Murakami fällt Derartiges unter die
Kunstfreiheit.
Freizeitsportler ohne kreative Veranlagung weichen auf brutale Methoden
aus: Laut griechischen Medienberichten wollten sehr viele Teilnehmer am
jüngsten Athener Marathon ganz ungeniert schummeln und in den
42-Kilometer-Lauf einfach später einsteigen. Doch glücklicherweise werden
Spielverderber durch ihren Zeitmessungs-Chip und die sorgfältige Analyse
von Zwischenzeiten im Nachhinein entlarvt.
## Fehlende Zwischenzeiten
Ein amüsantes Beispiel nennt die Athener Tageszeitung Kathimerini: Da kommt
ein pummeliger Sonnenbrillenträger beschwingt zum Finish und verzeichnet
eine für seine Altersklasse rekordverdächtige Zeit von 3 Stunden und 31
Minuten.
Die Veranstalter sind alarmiert, prüfen seinen Chip und kommen zu dem
erstaunlichen Ergebnis, dass bei dem 47-Jährigen alle Zwischenzeiten
zwischen Start und Kilometer 20 fehlen. Offenbar schwänzte der Sportfreund
die erste Halbzeit. Wäre er tatsächlich in der angegebenen Gesamtzeit alle
42 Kilometer gelaufen, dann hätte der Mann laut Zwischenrechnungen auf den
ersten 21,1 Kilometern eine Wahnsinnszeit von 56:13 Minuten hinlegen
müssen. Läppische 2 Minuten mehr als der aktuelle Weltrekordhalter.
Sein Name wurde von der offiziellen Ergebnisliste des Athener Marathons
gestrichen. Viel mehr könne man gegen Freizeitathleten auch gar nicht
unternehmen, sagt ein Sprecher des Marathons.
## Starke Eitelkeit
Etwas anderes würde freilich gelten, wenn die Schummler Profisportler oder
Teilnehmer der griechischen Leichtathletik-Meisterschaften wären. Dann
fiele dem zuständigen Verband die Verantwortung zu, einschlägige Sanktionen
zu verhängen. Doch warum schummeln die Leute eigentlich, wenn nicht einmal
Geldprämien oder Privilegien winken? Giorgos Dousis, Koordinator des
Athener Marathonlaufs, liefert eine verblüffend einfache Antwort: „Diese
Menschen verfügen über eine stark ausgeprägte Eitelkeit. Sie wollen über
die Ziellinie laufen und die Freude genießen, ohne sich dafür anstrengen zu
müssen“.
Nicht alle Schummler sind allerdings einfach zu entlarven. Als schwieriger
Grenzfall galt ein älterer Marathonteilnehmer, Arzt von Beruf, der eine
Laufzeit von 3 Stunden und 30 Minuten erreichte und auch an allen
Kontrollpunkten erfasst wurde. Scheinbar war alles in Ordnung. Doch eine
genauere Analyse seiner Zwischenzeiten sorgte für Verblüffung. Angeblich
brauchte der Mann für die ersten, eher flachen 15 Kilometer 1 Stunde und 20
Minuten, während ihm die nächsten 20 Kilometer, wo es bergauf geht, mühelos
in 1 Stunde und 18 Minuten gelangen.
Optimale Krafteinteilung oder bloße Schummelei? Letztlich wurde auch dieser
Mann disqualifiziert. Seiner Stimmung tut dies keinen Abbruch: Auf Facebook
nimmt der Held weiterhin Gratulationen entgegen. Und nächstes Mal,
verspricht er, werde er seine persönliche Bestleistung verbessern.
18 Dec 2016
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
## TAGS
Marathon
Griechenland
Betrug
Leichtathletik
Marathon
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Tour de France
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