| # taz.de -- Ultra-Marathonlauf im US-Staat Tennessee: Um Haaresbreite | |
| > Der Barkley-Marathon endet dramatisch. US-Läufer John Kelly kommt | |
| > rechtzeitig ins Ziel, der Kanadier Gary Robbins aber scheitert | |
| > spektakulär. | |
| Bild: Am Checkpoint: John Kelly und Gary Robbins (r.) im Basislager des Barkley… | |
| Kaum zu glauben, aber Gary Robbins legte noch mal einen Sprint hin. Mit | |
| letzter Kraft wuchtete sich der kanadische Extremsportler in Richtung Ziel | |
| des wohl schwersten Geländelaufs der Welt, des Barkley-Marathons. Das Ziel | |
| besteht nur aus einer gelben Schranke, viel mehr ist da nicht in der | |
| Wildnis. | |
| Hier warteten Freunde, Journalisten und der berüchtigte Rennchef Gary | |
| „Lazarus Lake“ Cantrell auf ihn. Sie feuerten ihn an, klatschten, und der | |
| völlig ausgemergelte Läufer mit dem Hipsterbart rang seinem Körper die | |
| letzten Kraftreserven ab. | |
| Robbins kam an – und brach zusammen. In regennassen Klamotten legte er sich | |
| aufs Pflaster, halbtot, erschöpft, ausgelaugt nach einem Berg-und-Tal-Lauf | |
| über 160 Kilometer. Seine Erschöpfung steigerte sich ins Unermessliche, als | |
| er erfuhr, dass er das Zeitlimit um lächerliche sechs Sekunden | |
| überschritten hatte. Sechs Sekunden. | |
| ## Im Wald von Tennessee | |
| Sechzig Stunden wären erlaubt gewesen, aber Robbins, der nördlich von | |
| Vancouver lebt und trainiert, hatte sich auf der letzten Runde etwas in den | |
| Wäldern von Tennessee verfranzt. Deswegen brauchte er sechzig Stunden und | |
| sechs Sekunden. Was für ein Drama! | |
| Im Ziel saß ein anderer Held, kein tragischer wie Robbins, sondern ein | |
| echter, John Kelly, mit dem Robbins lange Zeit unterwegs gewesen war auf | |
| der mörderisch anspruchsvollen Strecke. Sie hatten gemeinsam den „Fun Run“ | |
| absolviert, die ersten zwei Runden, und vielleicht hatten die beiden sogar | |
| etwas Spaß gehabt, denn das Wetter war da noch recht gut und in Topform | |
| waren sie sowieso. Doch auf der letzten Runde zog Kelly davon. Der | |
| US-Amerikaner kam nach 59:30:33 Stunden an. | |
| Kelly ist in der 31-jährigen Geschichte des Barkley-Marathons erst der 15. | |
| Läufer, der es bei diesem Ultralauf rechtzeitig ins Ziel geschafft hat. Man | |
| fragt sich, wie er das überhaupt geschafft hat: Kelly arbeitet in Vollzeit | |
| als Informatiker in Washington, D. C., er hat drei Kinder, und nebenbei | |
| findet er die Zeit, Leistungssport zu betreiben. In den wenigen Wochen des | |
| Jahres 2017 ist Kelly 1.613 Kilometer weit gerannt, quasi von Berlin nach | |
| Moskau. | |
| ## 214 Tafeln Schokolade | |
| Er hat über 77 Höhenkilometer überwunden und ist damit fast neunmal den | |
| Mount Everest hochgekeult. Dabei hat er über 107.000 Kalorien verbrannt, | |
| was etwa 214 Tafeln Schokolade entspricht. Diese Zahlen legt Kelly offen | |
| und ist damit einer jener Ultra-Läufer, die soziale Medien bespielen und es | |
| nicht so haben mit der reinen, hermetischen Lehre des Langstreckenlaufs. | |
| Robbins ist ähnlich unterwegs. | |
| Als der Kanadier so haarscharf am Zeitlimit vorbeischrammte, saß Kelly | |
| leicht apathisch in einem Campingstuhl, in eine wärmende graubraune Jacke | |
| gehüllt. Auch er war gezeichnet von den Anstrengungen, schien um Jahre | |
| gealtert. Dabei wusste er sehr genau, worauf er sich einlässt. Er war in | |
| den Vorjahren beim Barkley-Marathon angetreten und hatte sich immer mehr | |
| herangetastet an die Möglichkeit, dieses Rennen zu „finishen“, also in | |
| zweieinhalb Tagen zu beenden. | |
| Der Barkley-Bezwinger ist nun, zumindest in der Szene der Ultra-Marathonis, | |
| eine Größe. Die war er freilich vorher schon, auch wenn er da seinen Ruhm | |
| zum Beispiel auf einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde stützen musste – | |
| Kelly gilt als der schnellste Mann, der einen Marathon über 42,196 km in | |
| einem Videospiel-Charakter-Kostüm absolvierte; er trug die Sachen von Link, | |
| Held von Hyrule, und kam beim Boston-Marathon nach 2:57 Stunden ins Ziel. | |
| Erst zwei deutsche Läufer haben sich beim Barkley-Marathon versucht, Thomas | |
| Ehmke (Hildesheim) und Georg Kunzfeld (Frankfurt). Sie scheiterten in Runde | |
| eins oder drei. Dieses Rennen sei vor allem mental extrem schlauchend, sagt | |
| Kunzfeld: „Wenn man im Barkley ist, dann weiß man, dass es wehtun wird.“ | |
| Darüber könnten Robbins und Kelly lange Geschichten erzählen. | |
| Georg Kunzfeld hat sich aber aus einem anderen Grund von diesem Rennen | |
| distanziert. Er findet es mittlerweile zu „kommerziell“. | |
| 4 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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