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# taz.de -- Ausstellung „Sankt Luther“ in Berlin: Ein Fetzen vom Rock des R…
> Mit der Ausstellung „Sankt Luther“ will das Stadtmuseum Berlin den Kult
> um den berühmten Wittenberger aufarbeiten.
Bild: Möglicherweise klebt hier noch Reformatoren-DNA dran: im 19. Jahrhundert…
Ist es gehässig, im Lutherjahr 2017 darauf herumzureiten, was der große
Reformator für menschenfeindliche Ansichten hatte? Dass er die Juden aus
tiefstem Herzen hasste, Muslime für Diener des Satans hielt und den
revolutionären Bauern das fürstliche Schwert an den Hals wünschte? Dass er
Frauen gering achtete und Behinderte nicht für Menschen hielt? Dass er also
alles andere als jener Vorkämpfer von Aufklärung und Menschenrechten war,
zu dem ihn seine Kirchen in den vergangenen Jahren immer wieder umfrisieren
wollten?
Zumindest ist es fair, darauf hinzuweisen, dass auch die aktuelle
protestantische Luther-Rezeption mit den dunklen Seiten ihrer Gründerfigur
offener umgeht. Aus freien Stücken geschah das nicht unbedingt. Vielmehr
dürfte gerade der beharrliche Versuch im Vorfeld des 500.
Reformationsjubiläums, Luther zur grundsympathischen, irgendwie modernen
Figur zu machen – inklusive Playmobilmännchen mit Bibel und Talar –, die
religionskritische Gegenbewegung befeuert haben, die zuletzt wieder lauter
wurde.
Wenn nun das Stadtmuseum Berlin am Rande von Jubiläum und Kirchentag eine
Sonderausstellung in der Sakristei der Nikolaikirche [1][„Sankt Luther“]
betitelt und aufzuzeigen verspricht, wie Martin Luther „verehrt, verklärt
und verkehrt“ wurde, dann klingt auch das nach einer gehörigen Portion
Irreverenz. Den „Heldenkultus“ rund um Luther mit all seinen „Ambivalenzen
und Widersprüchen“ wolle man ausleuchten, versprach Stadtmuseums-Direktor
Paul Spies bei einer Pressebesichtigung der Schau am Donnerstag.
Allerdings wird die Liebe zu Luther in Berlins ältester Kirche, auch wenn
sie längst Museum und kein Sakralbau mehr ist, nicht allzu heftig gegen den
Strich gebürstet. Die evangelische Landeskirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz firmiert bei der Ausstellung
immerhin als Partner des Stadtmuseums, und Landesbischof Markus Dröge nahm
an der Eröffnung am Freitag teil.
Ob deshalb etwa Zeugnisse der nationalistischen und nationalsozialistischen
Stilisierung Luthers zum deutschen Heros weitestgehend fehlen? Ein Plakat
von 1917, das mit einem Lutherzitat für die Zeichnung von Kriegsanleihen
wirbt, ist die einzige Ausnahme.
Stattdessen zeigt „Sankt Luther“, wie der Feind von Heiligenkult und
Ablasswesen selbst zum Reliquienspender gemacht wurde. Das sprechendste
Exponat ist ein kleiner Fetzen des Messgewands, das Luther 1545 trug, als
er Fürst Georg III. von Anhalt zum ersten evangelischen Bischof von
Merseburg weihte. Aufgenäht auf ein Stück Papier, das die Echtheit der
„Reliquie“ bezeugt, hat es die Jahrhunderte im Fundus des Stadtmuseums
überdauert.
## Mein zauberhafter Zahnstocher
Eher belustigend wirken heute weitere Ansätze der Reliquienverehrung: Im
berühmten Studierzimmer auf der Wartburg kratzten „Luther-Pilger“
Putzbröckchen von der Wand – dort, wo sich der Fleck befand, den das
Tintenfass des Bibelübersetzers beim Wurf auf den Teufel hinterlassen haben
soll. Und vom „Lutherbett“ von Coburg, in dem der Doctor Theologiae
vermutlich nie geschlafen hatte, brachen Wallfahrer immer wieder winzige
Splitter ab. Diese, so glaubte man, wirkten als Zahnstocher Wunder bei
Zahnschmerzen.
Andere Exponate sind weniger zwangsläufig. Zwar ist Kurator Albrecht Henkys
– sicherlich zu Recht – sehr stolz auf die Lutherbibel des Seidenstickers
Hans Plock, der das zweibändige Werk Mitte des 16. Jahrhunderts mit
Collagen aus handschriftlichen Tagebucheinträgen und Stichen der
Reformatoren ergänzte. Um ein „einzigartiges Zeugnis des Lebens und Denkens
in der Reformationszeit“, wie es im Begleittext heißt, mag es sich handeln,
eine übertriebene Verehrung Luthers lässt sich daraus nicht ablesen.
Schon gar nicht aus dem ebenfalls als Highlight angekündigten „Halleschen
Heiltumbuch“, einer Art Werbekatalog für die umfangreiche Reliquiensammlung
des Kardinals Albrecht von Brandenburg. Es steckt als Zeugnis des
katholischen Heiligenkults nur den Rahmen für das Thema der Schau ab – das
dann selbst viel zu kurz kommt. „Klein, aber besonders fein“ sei sie, so
Museumsdirektor Spies. Genau genommen ist sie vor allem: klein.
31 Mar 2017
## LINKS
[1] https://www.stadtmuseum.de/ausstellungen/sankt-luther
## AUTOREN
Claudius Prößer
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