# taz.de -- Hungersnot im Südsudan: Ein Land stirbt | |
> Mit der kommenden Regenzeit beginnt im Südsudan das große Sterben. Wer | |
> jetzt nichts zu essen hat, wird nicht überleben. | |
Bild: Achol Amman mit ihrem Sohn Majok (Mitte) warten zusammen mit anderen Fami… | |
WAU taz | Am Himmel über Wau ziehen die Raubvögel ihre Kreise. Über ihnen | |
ballen sich dunkle Wolken. Sie hängen wie eine Drohung über der Stadt. Noch | |
wirbelt nur ein heißer Wind Staub zwischen den Hütten auf. | |
In ein paar Wochen werden Regentropfen den Staub in Schlamm verwandeln. Wo | |
jetzt noch Lastwagen rollen, werden die Straßen im Morast versinken. Wau | |
wird einer Insel gleichen, die niemand mehr auf dem Landweg erreichen kann. | |
Nur die Flieger der UN werden durch die Regenschauer noch die Landepiste | |
erkennen. | |
Aber auch die Antonow-Flugzeuge mit ihren Hilfsgütern werden nicht mehr | |
regelmäßig landen. Die Unwetter werden zu stark sein, oder die Rebellen | |
nutzen die Regenzeit für eine Offensive. Denn auch die Panzer der Regierung | |
versinken dann im Schlamm. | |
Der Regen wird auf Menschen niederprasseln, die schon seit einem Jahr nicht | |
mehr regelmäßig gegessen haben. Sie haben zwei Jahre lang keine Vorräte | |
anlegen können. Denn die Bauern von Wau fuhren in diesem und im vergangenen | |
Kriegsjahr keine Ernte ein. Auf ihren Feldern lauern marodierende Kämpfer | |
und der Tod. Die Aasgeier am Himmel über Wau müssen vielleicht nur noch | |
warten bis zum Ende der Regenzeit. Dann könnte es ein Festmahl für sie | |
geben. | |
## Leere Bäuche | |
Achol Amman ist damit beschäftigt, dass ihre Kinder schon jetzt Hunger | |
leiden. Die Mutter sitzt vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem | |
Dorf unweit von Wau auf einer Mauer und wiegt den dreijährigen Majok auf | |
dem Schoß. In ihrer Hütte blieben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen | |
zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht gefallen, und die | |
Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu | |
verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu beschaffen. | |
Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zum verzehrten Rest seines Körpers. | |
An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine Augen | |
treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. Die Haare sind in Büscheln | |
ausgefallen. Was wird die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter | |
schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen von den Helfern erhält? | |
Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn | |
der Junge ist dabei zu verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister | |
auch weiterhin nur Hirse – zu wenig. Teilt sie den Kuchen unter ihren | |
Kindern auf, wird Majok sterben. Die Mutter muss sich entscheiden. | |
Achol Amman gehört zum Volk der Dinka. Die Dinka sind die größte | |
Volksgruppe in Südsudan, sie leben traditionell von der Viehhaltung. Die | |
Dinka-Frauen nördlich von Wau kauften vor dem erneuten Kriegsausbruch im | |
Sommer 2016 ihre Lebensmittel von Bauern südlich der Stadt, die zu anderen | |
Ethnien gehören. Nachdem der Krieg in Südsudans Hauptstadt Juba im | |
vergangenen Juli erneut ausbrach, zogen Dinka-Männer plündernd durch die | |
Bauerndörfer und vertrieben, wen sie nicht töteten. | |
## Schutzsuche bei UN-Soldaten | |
Diejenigen, von denen sie bisher Hirse und Gemüse kaufen konnten, | |
flüchteten nach Wau und suchten Schutz. Denn in Wau sind UN-Soldaten | |
stationiert. Dann fraßen die Kühe der Dinka auf, was noch auf den | |
verlassenen Feldern wuchs. Und dann begannen die Dinka zu hungern. | |
Auf die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Dinka-Kämpfer den | |
Bauern ihre Felder gelassen hätten, fällt den Frauen vor dem Saint Mary’s | |
Hospital keine Antwort ein. Nach einer Weile meint eine, dass der Krieg | |
eine Angelegenheit der Männer sei. Die Dinka haben in Südsudan die Macht. | |
Dinka-Führer beherrschen die Unabhängigkeitsbewegung SPLM, die | |
jahrzehntelang Krieg führte, um in Südsudan die Herrschaft des arabischen | |
Nordens abzuschütteln. | |
Als Südsudan 2011 unabhängig wurde, kam der Dinka Salva Kiir an die Macht, | |
der Nuer Riek Machar wurde Vizepräsident. Aber 2013 zerbrach die SPLM und | |
die beiden Fraktionen gingen mit Waffen aufeinander los. Von 2013 bis 2016 | |
verwüstete der Krieg nur die nördlichen Bundesstaaten mit ihren Ölquellen. | |
Der Rest des Landes ächzte unter der Last der Binnenvertriebenen. | |
Aber im Juli 2016 zerbombten beide Seiten ein von Salva Kiir und Riek | |
Machar unterschriebenes Friedensabkommen. Das entfesselte eine Bestie: Der | |
ethnische Hass, von allen Kriegsparteien im ersten Krieg geschürt, frisst | |
sich jetzt durch jeden Winkel des Landes. Niemand kann sich heraushalten. | |
Wer nicht Partei ergreift, wird beschuldigt, dem Feind zu helfen. Südsudan | |
verbrennt. | |
Vertriebene berichten Furchtbares: In vielen Regionen würden ganze Stämme | |
von den Dinka-Soldaten ausgelöscht. Weite Teile des Landes sind weder für | |
Helfer noch Journalisten zugänglich. Das Grauen im Busch spielt sich ohne | |
Zeugen ab. Ein hochrangiger Diplomat spricht von „Genozid“. | |
Die Alten und Kranken siechen als Erste dahin. Unter einer Zeltplane im | |
Flüchtlingslager rund um die Kathedrale von Wau stinkt es nach ihrem | |
Fieber. Fliegen wandern über das Gesicht und die Arme einer älteren und | |
einer jüngeren Frau. Beide liegen auf Matten und winden sich still in | |
Krämpfen. Die Insekten fliegen davon, sobald die beiden Körper sich | |
aufbäumen wie Marionetten an unsichtbaren Seilen. Ein Junge nestelt an dem | |
Hemd der jungen Frau herum. Er greift nach ihrer Brust. Das Kind beginnt, | |
an der Warze der sterbenden Frau zu saugen. | |
Die Helfer der Malteser schauen betreten auf die Szene des Grauens. | |
Eigentlich wollten sie den Gästen aus dem Ausland zeigen, wie sie den | |
Vertriebenen Hilfe leisten. Ein Malteser erklärt, dass die Organisation mit | |
Unterstützung des Nothilfebündnisses „Aktion Deutschland hilft“ tiefe | |
Bohrlöcher gegraben hat, damit die Ausscheidungen von 8.000 Menschen nicht | |
ins Grundwasser sickern. Die Organisation habe Latrinen angelegt und | |
verteile Seife. „Unsere Mittel sind begrenzt“, sagt der Helfer. | |
## Zwischen Vergangenheit und Zukunft | |
Manchmal hat die indische Schwester Grace Albträume. In ihren Träumen | |
kriechen Mütter mit Kindern auf dem Rücken auf sie zu, um vor ihren Augen | |
zusammenzubrechen. Immer kommt sie in ihren Träumen zu spät. Ist das | |
Vergangenheit, oder Zukunft? | |
Die Schwester in der Station der Mary Help Association in Wau rührt in | |
einer Tasse Tee und erzählt ihre Geschichte. Als sie Ende der 90er Jahre | |
nach Wau kam, hungerte das Regime in Khartum die aufständischen Dinka aus. | |
Sudan ließ damals keine Hilfsorganisation in den rebellierenden Süden. Nur | |
die Kirche blieb. „Gott sei Dank ist das heute anders“, sagt Schwester | |
Grace. Es seien zahlreiche Hilfswerke in Wau tätig. | |
Aber in einem Land, in dem über Monate alle Straßen überschwemmt sind, | |
verschlingt allein der Transport von Hilfsgütern Unsummen. Die | |
internationale Gemeinschaft dürfe jetzt keine Zeit verlieren, sagt die | |
indische Schwester. „Bevor die Regenzeit richtig begonnen hat, muss genug | |
Essen im Land sein, und zwar mindestens für ein Drittel der zwölf Millionen | |
Einwohner Südsudans.“ | |
Außer der Hungersnot im Südsudan gibt es noch die Dürre am Horn von Afrika | |
und die kriegsbedingten Krisen im Jemen und in Nigeria. Die UN sprechen von | |
der schwersten humanitären Krise seit 1945 mit fünf Epizentren | |
gleichzeitig. „Wir beten, dass es jetzt nicht noch irgendwo auf der Welt | |
ein Erdbeben gibt“, sagt Schwester Grace. Südsudan könne sich frühestens | |
nach dem Ende der Regenzeit 2018 wieder selbst versorgen. „Wenn im | |
kommenden Jahr die Waffen schweigen und die Bauern wieder auf ihre Felder | |
können.“ | |
## Mit dem Regen komm die Angst und der Hunger | |
Die graue Wolkendecke hängt auch über Juba, der Hauptstadt zwei Flugstunden | |
südlich von Wau. Immer wieder gehen Regenschauer nieder. Angst und Hunger | |
sind in jeden Winkel der Stadt gekrochen. Lehrer halten sich an ihren | |
Pulten fest, um nicht vor den Schülern ohnmächtig zu werden. Täglich | |
verschwinden aus ihren Klassen Kinder. | |
Ein Mädchen, kaum älter als zehn, schäkert im Stadtzentrum mit einem | |
Wachmann vor dem Gebäude einer internationalen Organisation. Als der Mann | |
merkt, dass er beobachtet wird, scheucht er das Mädchen davon. Er dreht | |
sich aber noch kurz zu ihr um und greift sich in den Schritt. Wenige Meter | |
entfernt liegt ein anderer Mann entkräftet auf der Straße und leckt wie ein | |
Hund Wasser aus einer Pfütze. Über den Köpfen brauen sich am Himmel die | |
Wolken zusammen. Das Land erwartet den großen Regen. | |
Der Text entstand im Rahmen einer Pressereise der „Aktion Deutschland | |
hilft“ | |
29 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Cedric Rehman | |
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