# taz.de -- Science-Fiction im Stil von „Alien“: Wenn der Schleimpilz aufmu… | |
> Daniel Espinosa recycelt in „Life“ die Idee einer invasiven | |
> außerirdischen Lebensform. Sie hasst Menschen nicht, findet sie nur | |
> nahrhaft. | |
Bild: Jake Gyllenhaal als David Jordan auf verzweifelter Mission | |
Menschen sind gewohnt, sich als Monopolisten am Ende der Nahrungskette zu | |
sehen. Wissenschaftlich wurde dies zwar inzwischen bestritten, das Bild vom | |
Wesen an der Spitze hält sich jedoch hartnäckig. Und natürliche Feinde sind | |
extrem rar geworden: In der Regel wissen wir uns zur Wehr zu setzen. Die | |
Angst, zur Beute eines überlegenen Gegners zu werden, und sei es bloß als | |
Brutstätte für dessen Nachwuchs, bleibt gleichwohl bestehen. Besonders | |
schön ins Bild gesetzt hat diese Angst der Regisseur Ridley Scott in seinem | |
Science-Fiction-Horror-Klassiker „Alien“ aus dem Jahr 1979. | |
Im Bild des Außerirdischen, der nicht verhandelt – womöglich gar nicht in | |
menschlicher Sprache kommunizieren kann – und mit seinen Opfern kurzen | |
Prozess macht, finden sich selbstverständlich noch andere Ängste | |
verdichtet, allen voran die vor dem Fremden und Anderen als solchen. Man | |
kann das mit dem Fressen und Gefressenwerden gleichwohl durchaus | |
buchstäblich nehmen, zumindest wenn es um den von „Alien“ stark | |
inspirierten neuen Beitrag zum Thema geht, den der chilenisch-schwedische | |
Filmemacher Daniel Espinosa jetzt ins Kino bringt: „Life“. | |
Der Titel klingt harmlos, scheint aber einen finsteren Sinn in seiner | |
Verkehrung zu tragen: Aus Leben kann schnell Tod werden, wenn man nicht | |
aufpasst. Bei der Weltraummission, von der „Life“ erzählt, wird rasch | |
deutlich, dass die Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS, | |
die als Handlungsort des Geschehens dient, zu Recht um ihr eigenes Leben | |
bangen müssen. In der näheren Zukunft begibt sich die ISS auf die „Mars | |
Pilgrim 7 Mission“, um eine beschädigte Marssonde samt Marsproben zu | |
bergen. | |
Espinosa inszeniert diese Anfangsszene, in der die Sonde auf ihrem | |
Schlingerkurs mit Greifarmen abgefangen wird, als eine kontinuierliche | |
Kamerafahrt durch das Röhrensystem der ISS, in dem sich die Crew dank | |
Schwerelosigkeit elegant schwebend auf allen Raumachsen bewegt. Die | |
Menschen sind hier noch ganz in ihrer innerartlichen Binnenperspektive | |
unter sich. | |
## Es wird Calvin getauft | |
Gleich in der nächsten Szene setzen scharfe Schnitte ein. Der Mikrobiologe | |
Hugh Derry (Ariyon Bakare) hat einen von der Sonde eingesammelten winzigen | |
Organismus unter dem Mikroskop, untersucht ihn auf Lebenszeichen, | |
stimuliert ihn, zunächst ohne Erfolg. Irgendwann klappt es, das | |
einzellerartige Gebilde bewegt sich, beginnt zu wachsen. Wie eine Mischung | |
aus Qualle und Pflanzenblüte sieht das Ding in seinem frühen Stadium aus. | |
Als Vorbild dienten Espinosa die Schleimpilze, Einzeller, die sowohl | |
Eigenschaften von Pilzen als auch von Tieren aufweisen. Derry tauft seinen | |
Findling Calvin. | |
Dieser Calvin erweist sich jedoch schon bald als überaus wandlungsfähig und | |
stark. Bei seinen Versuchen nimmt Derry, abgeschirmt durch | |
Schutzhandschuhe, physischen Kontakt mit dem mutmaßlichen Marswesen auf. | |
Der so Angesprochene packt beherzt zu. Hinterher ist Derrys Hand Matsch. | |
Von da an ist klar, dass mit Calvin nicht zu spaßen ist. Dieser wächst | |
unterdessen immer weiter zu einem rochenartigen Wesen, und auch die Zahl | |
seiner Opfer nimmt zu. Wie schon bei „Alien“ läuft die Sache auf eine Jagd | |
hinaus, bei der die menschliche Besatzung vollzählig auf der Seite der | |
Gejagten steht. Das ist zwar spannend, aber in der Abfolge von | |
Verfolgungsszenen und Rückzugsmomenten, in denen die Crew verzweifelt | |
überlegt, wie sich der unerwünschte Gast wieder loswerden lässt, etwas | |
vorhersehbar. | |
Auch die Figuren bleiben weitgehend zurückhaltend konturiert. Weder Rebecca | |
Ferguson als Missionsleiterin Dr. Miranda North noch Jake Gyllenhaal als | |
Bordarzt David Jordan dürfen ihren Rollen so richtig Ausdruck geben, um | |
bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Allein Aryion Bakare versieht seinen | |
Hugh Derry mit einer fast kindlichen Faszination des Wissenschaftlers. | |
Derry ist es denn auch vorbehalten, den zentralen Satz des Drehbuchs | |
auszusprechen. Als ihm bewusst wird, dass Calvin menschliche Körper als | |
Wirt benutzt und sich von ihnen „ernährt“, sagt Derry fast mit | |
erleichterter Gewissheit: „Calvin hasst uns nicht, aber er braucht uns, um | |
zu überleben.“ | |
Die Mission hat fortan ein anderes Ziel: Verhindern, dass Calvin auf die | |
Erde gelangt und dort alles Leben vernichtet. Mit Derrys Perspektive bringt | |
der Film allerdings so etwas wie einen posthumanen Standpunkt ins Spiel: | |
Angenommen, Calvin würde auf der Erde ankommen und dort alles Leben im | |
Namen seines eigenen Fortbestands zerstören – was dann? Wäre das schlimm? | |
Andererseits, selbst wenn man sich eine solche Haltung zu eigen machen | |
würde: Warum sollte es in Ordnung sein, wenn zufällig eine andere | |
Lebensform als der Mensch bestehendes Leben bedroht? | |
Womöglich ist das ethische Dilemma in „Life“ gar nicht so ernst gemeint. | |
Dann bliebe ein zynisches Ende-der-Menschheit-Posing, verpackt in einen | |
etwas ungelenken, aber allemal spannenden Horrorthriller. Mit der ISS als | |
dräuendem Realitätsverweis. | |
23 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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