# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Größer als diese Herren | |
> Die Helden der Kindheit lebten in Büchern. Die Helden von heute sitzen im | |
> Knast – und müssen sich dafür von niemandem bekritteln lassen. | |
Bild: Demo für Deniz Yücel vor der türkischen Botschaft in Berlin Ende Febru… | |
Als ich ein kleiner Junge war, gruppierte ich um mein Klappbett ritterliche | |
Gestalten aus Sagen und Märchen. Sie sollten mich vor den Monstern und | |
Dämonen beschützen, die in der Tiefe der Nacht aus ihren armseligen Löchern | |
hervorkrochen. | |
Später in der Schule machte ich mich hartnäckig lächerlich, weil ich | |
behauptete, mit den Tieren sprechen zu können, inspiriert von den | |
Dschungelbuch- und Tarzanplatten, die ich zum Einschlafen hörte. | |
Aber auch den weißen Hirsch im Wildpark Poing bei München, der mir im Traum | |
erschienen war, übernahm ich in die Realität – denn ich hatte ihn ja | |
gesehen und vor allem: Ich brauchte einen weißen Hirsch in meinem Leben. | |
So wie ich später die Privatermittler der „Schwarzen Serie“ brauchte, den | |
„Continental Op“ Dashiell Hammetts, der in Pissville aufräumt, und den | |
nicht minder hartgesottenen Sam Spade, den es am Ende von „Der Malteser | |
Falke“ förmlich zerreißt, als er die Liebe der Frau, die seinen Partner auf | |
dem Gewissen hat, zurückweist, weil er nicht „den Trottel für sie spielen“ | |
kann. | |
## Wie Philip Marlowe | |
Und obwohl oder gerade weil mein Aufwachsen in der noch | |
friedvoll-konsumorientierten Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre | |
ohne große Ausschläge war, hatte ich einen unstillbaren Hunger nach den | |
Werten Philip Marlowes, den die Polizei im Gefängnis meint weichkochen zu | |
können und der sie einfach auslacht. | |
Diese Geschichten waren meine Verbündeten in einer Welt, die einen dauernd | |
auf Spur zu bringen versuchte. „Manchmal, wenn du den großen Horror hast, | |
ist eine gute Geschichte das Einzige, was noch hilft“, las ich später bei | |
[1][Jörg Fauser] und glaubte das da schon nicht mehr so ganz, weil die | |
Realität mir immer mehr auf den Pelz rückte und ich feststellen musste, wie | |
schwierig es ist, sich allein im Alltäglichen wie ein Held zu verhalten – | |
und gerade da wird es gebraucht. | |
Ich bewundere all die Kolleginnen und Freunde, die sich nicht lähmen | |
lassen, sondern laut und fröhlich ihre Solidarität und Liebe mit und zu | |
Deniz Yücel zum Ausdruck bringen; und es macht mich glücklich, wenn ich | |
lese, dass das bei Deniz auch tatsächlich ankommt. Jetzt ist keine Zeit für | |
Romantisierungen, sondern, wie es Georg Diez gerade [2][aufgeschrieben] | |
hat, „a time for press solidarity, not finger-pointing“. Finger-pointing, | |
wie es bekanntermaßen von ewig zu kurz gekommenen Kollegen in der | |
[3][Süddeutschen Zeitung ] und der [4][Frankfurter Allgemeinen Zeitung] | |
betrieben wurde. | |
Dazu, lieber Deniz, aber auch zu dem sehr viel Schlimmeren, was Du gerade | |
erleiden musst, habe ich keine Geschichte, nur das deutscheste Zitat wo | |
gibt, das mir immer in den Sinn kommt, wenn Deine Bekrittler aus ihren | |
Löchern kriechen. | |
„Bei Schiller“, sagt da ein Herr Eckermann, „bei Schiller spricht doch | |
immer ein grandioser Geist und Charakter.“ „Das wollte ich meinen“, | |
antwortet ein Herr Goethe. „Schiller mochte sich stellen, wie er wollte, er | |
konnte gar nichts machen, was nicht immer bei weitem größer herauskam als | |
das Beste dieser neueren; ja wenn Schiller sich die Nägel beschnitt, war er | |
größer als diese Herren.“ | |
2 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ambros-waibel.de/2008/04/07/fausers-block/ | |
[2] http://niemanreports.org/articles/a-time-for-press-solidarity-not-finger-po… | |
[3] http://www.sueddeutsche.de/medien/welt-korrespondent-in-der-tuerkei-yuecels… | |
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kommentar-fuer-immer-tuerke-1488… | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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