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# taz.de -- Braunkohletagebau in Deutschland: Abbau der Geschichte
> Etliche Bewohner von Pödelwitz in Sachsen sind dem Braunkohletagebau
> bereits gewichen. Sie haben eine Abfindung erhalten.
Bild: Pödelwitz soll dem Tagebau weichen – doch die verbliebenen Bewohner wo…
LEIPZIG/PÖDELWITZ taz | Wenige Schritte hinter der Pödelwitzer Kirche
beginnt der Tagebau Vereinigtes Schleenhain. Seit Jahren stellt er den
Fortbestand des Dorfes in Frage, unter dem geschätzte 20 Millionen Tonnen
Braunkohle lagern. Um den Abbau zu ermöglichen, müsste das Dorf
verschwinden. Schon 2009 hat deshalb die Umsiedlung der Einwohner begonnen.
33 Pödelwitzer wollen jedoch bleiben.
Das Dorf liegt in der Leipziger Tieflandsbucht und gehört zur Kleinstadt
Groitzsch. Seine Geschichte reicht 700 Jahre zurück. Bis ins 20.
Jahrhundert war die Region durch das fruchtbare Land von bäuerlicher Kultur
geprägt. Dann kam der Tagebau. Seit den 70er Jahren liegt Pödelwitz auf
einem schmaler werdenden Streifen Land zwischen den mondgleichen Kratern
der Braunkohlebagger.
Im Sommer 2009 begann dann ein Dialog zwischen der Mitteldeutschen
Braunkohlengesellschaft Mibrag, einer Tochter des tschechischen
Energiekonzerns EPH, und den Einwohnern. Eine Mehrheit der damals 130
Pödelwitzer erklärte sich gegen eine Abfindung zur Umsiedlung bereit. Man
habe den Bewohnern Angst vor den Emissionen durch den Tagebau gemacht, vor
denen die Mibrag sie eigentlich verpflichtend schützen muss, erinnert sich
Jens Hausner.
Gemeinsam mit anderen Pödelwitzern, die nicht gehen wollten, gründete er
2013 die Bürgerinitiative Pro Pödelwitz. Derzeit hat der Ort nach Angaben
der Gruppe noch 37 Einwohner, von denen nur noch 4 umsiedeln möchten.
## Geschichtsträchtiges Dorfleben
Weite Teile des kleinen Dorfes sind als Kulturdenkmal anerkannt. Zu den
geschützten Gebäuden zählen die Kirche und sechs Bauernhöfe, die vom
ländlichen Leben im 18. und 19. Jahrhundert zeugen. Hellgelb verputzt steht
das kleine Gotteshaus auf einer Anhöhe am nördlichen Ortsrand, umgeben von
Kirchhöfen, in denen sich alte Eschen und Linden über die Gräber neigen.
Friederike Kaltofen ist Pfarrerin des Evangelisch-Lutherischen Kirchspiels
Groitzsch, zu dem das Gotteshaus gehört. Für eine Dorfkirche sei es
ungewöhnlich groß, meint sie. Früher sei hier das Zentrum des geistigen
Lebens der Umgebung gewesen. Das kleeblattförmige, romanische Fenster in
der Westwand verrät ihren Ursprung im 13. Jahrhundert. Mit dem Umbau 1703
kam das barocke Erscheinungsbild dazu: Innen fallen die blumenverzierte
Kassettendecke und die große Orgel mit dem spätbarocken Prospekt auf der
weißlackierten Empore ins Auge.
Mit Blick auf die Zukunft wählt Kaltofen ihre Worte bedächtig und drückt
ihre Solidarität mit denen aus, die bleiben möchten. Es sei einfach nicht
zwingend, das Dorf zu zerstören. „Die Biografien derjenigen, die so etwas
erleben, sind davon gezeichnet“, sagt sie. Ein solcher Verlust des Zuhauses
wirke lange nach: „Erfahrungsgemäß leiden Menschen darunter, wenn sie Orte,
mit denen sie Erinnerungen an ihre Kindheit verbinden, nicht mehr besuchen
können.“ Die Zerstörung von Orten durch den Braunkohletagebau hat sich in
der Region oft wiederholt. Allein im Tagebau Vereinigtes Schleenhain sind
seit 1957 insgesamt 13 Dörfer verschwunden.
## Denkmal schützt nur bedingt vor Abriss
Die vielen Denkmäler schützen das Dorf nur bedingt vor der Zerstörung. Mit
Genehmigung des zuständigen Landesamts für Denkmalpflege Sachsen könnten
selbst geschützte Bauwerke abgerissen werden. Voraussetzung dafür ist eine
vorangegangene Dokumentation. Umgesetzt werden nur als besonders hochwertig
eingeschätzte Gebäude.
Mit der Dokumentation der historischen Bauernhöfe in Pödelwitz, die die
Mibrag bislang aufkaufen konnte, hat eine Gruppe von Bauhistorikern bereits
begonnen. In dem vom Konzern herausgegebenen Blättchen Pödelwitz Info hieß
es Anfang 2016: „Zur Erforschung des ursprünglichen Bauzustandes und
zwischenzeitlicher Bauzustände sind Freilegungsarbeiten am und im Gebäude
notwendig.“ Die gesamte Geschichte der Gebäude und damit des Dorfes solle
rekonstruiert werden. Tatsächlich sind in vielen Hauswänden große Löcher zu
sehen, die von den Untersuchungen stammen sollen. „Bei der Untersuchung
einzelner Gebäude wurden diese schon massiv geschädigt“, kritisiert
Hausner.
Auch das Dorf als ganzes habe einen Wert als historisches Zeugnis.
„Pödelwitz hat die historische Siedlungsform eines slawischen Rundlings“,
erklärt Hausner. Ob oder wann der Abriss beginnen könnte, steht nicht fest.
Auf Nachfrage erklärte Sylvia Werner, Pressesprecherin der Mibrag: „Derzeit
stehen keine Rückbauarbeiten in Pödelwitz an.“
## Hoffen auf die Energiewende
Von der Bundesstraße aus betrachtet, ragen die Kühltürme des
Kohlekraftwerks Lippendorf direkt neben der Pödelwitzer Kirchturmspitze in
den Himmel. Hier wird die Kohle verbrannt, die im angrenzenden Tagebau
abgebaut wird. Die Versorgung ist durch den Braunkohleplan „Tagebau
Vereinigtes Schleenhain“ genau geregelt. Die darin festgelegte förderbare
Braunkohlemenge würde den Betrieb des Kraftwerks bis 2040 ermöglichen.
Das Gebiet Pödelwitz gehört in diesem Plan nicht zu den genehmigten
Abbaugebieten. Im Heuersdorf-Gesetz, das die Abbaggerung des Nachbardorfes
regelte, wurde es sogar explizit als Schutzgut ausgewiesen. Nachdem aber
die Mehrheit der Pödelwitzer ihre Bereitschaft zur Umsiedlung signalisiert
hatte, wurde am 16. November 2012 von den Entscheidungsträgern der Stadt
Groitzsch der „Grundlagenvertrag zur Umsiedlung der Ortslage Pödelwitz“ mit
der Mibrag geschlossen.
Der Vertrag bezöge sich ausschließlich auf eine freiwillige Umsiedlung,
unterstrich unlängst der Groitzscher Bürgermeister Maik Kunze im Amtsblatt
der Stadt. „Somit steht die Mibrag in der Pflicht, vor der geplanten
Devastierung des Ortes eine einvernehmliche Lösung zu erzielen“, schrieb
er.
Dem erklärten Bleibewillen der Pödelwitzer zum Trotz stellte die Mibrag im
Mai 2016 beim sächsischen Oberbergamt einen Antrag auf Einleitung eines
bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens, das die Fortschreibung des
Rahmenbetriebsplanes des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain erreichen soll.
Sollte diese Fortführung bewilligt werden, hieße das, dass weitere
Millionen Tonnen Braunkohle gefördert und die Orte Pödelwitz und Obertitz
devastiert – also abgerissen – werden könnten. Im Rahmen des Bergrechts
können unter bestimmten Bedingungen, in denen Bodenschätzen große Bedeutung
für die Allgemeinheit zugesprochen werden, einzelne Bewohner zur Umsiedlung
gezwungen werden.
Die Bürgerinitiative Pro Pödelwitz ist jedoch optimistisch. Das
völkerrechtlich bindende Klimaabkommen von Paris sehen sie als Meilenstein,
weil es das Ende fossiler Brennstoffe bis 2050 bedeutet. Die Kohle unter
Pödelwitz würde im Widerspruch dazu die Laufzeit des Kraftwerks Lippendorf
um etwa anderthalb Jahre verlängern – oder aber sie würde exportiert werden
und Kraftwerke anderenorts befeuern. Eine klare zeitliche Regelung, wann
der Kohleausstieg in Deutschland erfolgt, könnte eine sichere Entscheidung
über den Erhalt des Dorfs mit sich bringen.
Im vergangenen Dezember forderte der Grünen-Abgeordnete Gerd Lippold im
sächsischen Landtag die schnellstmögliche Festlegung des Kohleausstiegs. Er
rechnete vor, dass der Braunkohleausstieg bis 2030 unvermeidlich sei, um
gleichzeitig Klimaziele und Versorgungssicherheit während der Energiewende
zu erreichen. Den drohenden Abriss von Pödelwitz nannte er „einen Irrsinn,
der niemandes ungedeckten Kohlebedarf deckt und keinen Arbeitsplatz
sichert.“
Gegen einen Planfeststellungsbeschluss, der die Zerstörung von Pödelwitz
gestatten würde, bereitet die Bürgerinitiative bereits eine Klage vor. Sie
hofft auf neues Leben im Dorf. Pfarrerin Kaltofen sagt: „Es ist natürlich
derzeit schwierig. Aber wir wollen nicht immer ein Fragezeichen in der
Zukunft sehen.“
28 Feb 2017
## AUTOREN
Tabea Köbler
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